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Küstermann


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Klasse 10

Material und Aufgaben zur Kirche in der Nazi-Zeit: Eine Jugendliche in Berlin-Dahlem

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Verhaftung in den Strassen von Berlin 30er-Jahre Theo Matejko

Eine Jugendliche in Berlin-Dahlem

Demonstration auf dem Weg zur Kirche

Am Sonntagabend waren viele Menschen auf der Straße in Berlin-Dahlem. Es hätten große Fürbittengottesdienste werden sollen mit vierhundert Pastoren der Bekennenden Kirche. Viele Anhänger der Bekennenden Kirche waren von weither angereist. Das Verbot der Veranstaltung war von der Gestapo so spät herausgekommen, dass die Gemeinden und Pfarrer erst auf dem Weg zu den Kirchen davon erfuhren. Eine Dahlemer Jugendliche beschreibt zwei Tage später ihre Erlebnisse:

"... zur Jesus-Christus-Kirche. Sämtliche Wege zur Kirche sind abgesperrt. Wir werden mit einem großen Zug Menschen von Schutzmännern weiter gedrängt. Hier und da sind in Grüppchen und einzeln Pastoren mit und ohne Talar zu sehen. Um einen sammelt man sich, er spricht den Segen und wird sofort verhaftet. E. und sein Freund, der Sohn von Pastor Jannasch, stimmen Lieder an. Jannasch wird verhaftet. So drängt der Zug weiter, zwischendurch werden Einzelne herausgegriffen und verhaftet ... Da fahren zwei Polizeiautos an uns vorbei. Ein heftiges Winken beginnt. In jedem der Autos sitzen sechs eben verhaftete Pastoren und fahren zum Polizeipräsidium am Alexanderplatz. Alle sind im Talar.

... Sankt Annen-Kirche. Sie ist von Polizisten versperrt, ebenfalls der Friedhof und das Gemeindehaus. Da füllt sich die Straße und der Platz zwischen Kirche und Gemeindehaus. Da stimmt einer an und tausende von Bekennern singen das Lied: "Ein' feste Burg ist unser Gott". Die Polizei ist außer sich.
Strassen-von-Berlin-30er-Jahre-Theo-Matejko Das Überfallkommando kommt und ein Haufen von Menschen, welche sich gerade an der Kirchhofmauer befinden, werden umringt und sind sämtlichst verhaftet. Als das Lied aus ist, stimmt E. mit einigen anderen, welche auf dem Platz stehen, "Erhalt uns Herr bei deinem Wort" an. Er und die anderen werden als Verhaftete erklärt. Dennoch wird das Lied bis zu Ende gesungen, dann das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser gesprochen. Nun kommen große Lastautos und alle Verhafteten werden zum Polizeirevier und dann zum Alexanderplatz gebracht, wo sie verhört werden. Die anderen Leute sind zur Matthäuskirche gegangen ...
... Ein Teil der Verhafteten ist bald wieder entlassen worden. E. kam in der Nacht um halb zwei nach Hause, und mehrere sind noch heute, am 10.8., gefangen."

Aufgabe 1: Beschreibe den Mut und die Angst dieser Jugendlichen aus Dahlem, soweit du beides erahnen kannst. Wenn du dich traust, versuche es in dichterischer Sprache und nimm dir die dafür nötige Freiheit.

Wenn du magst, nimm dir dazu Worte aus der folgenden Sammlung: "lauer Sommerabend", "Abendspaziergang", "flanieren", "illegal", "Winken als Waffe", "im tiefsten Frieden", "Oldtimer", "surreal", "beklemmend", "Vaterunser", "feste Burg", "herausgegriffen", "gesegnet", "Bekenner*in", "kriminell", "verbrecherisch", "ausgeliefert", "machtlos", "vertrauensvoll".

Was stimmt nicht in dieser Welt der 30er-Jahre?

Betrachte die Bilder! Was für eine Atmosphäre entsteht? An einem Sommerabend durch die Straßen zu flanieren ist eigentlich etwas Schönes. Befreundeten Menschen in vorbeifahrenden Autos zu zu winken, gehört normalerweise zu einer fröhlichen, friedlichen Atmosphäre. Kirchenlieder werden in der Regel in einer schönen Kirche gesungen. Aber im Sommer 1937 ist alles anders. Jede Kleinigkeit bekommt eine neue Bedeutung und verlangt ungewöhnlichen Mut.

Die Zeichnungen* gehören eigentlich nicht zu diesem Text. Das erste Bild war ursprünglich die Zeitungs-Illustration zu einem ganz normalen Polizeibericht: Es zeigte die Festnahme eines Autodiebes. Polizist verhaftet Verbrecher. So wäre die Welt in Ordnung gewesen, aber sie war es nicht mehr. Die Menschen, die das Gute wollten, mussten erfahren, dass Gut und Böse nicht so verteilt sind, wie es "normalerweise" gedacht wird. Die Dramatik jenes Abends und das Unheimliche jener Zeit war weitaus größer als die simple Zeitungsanekdote "Schutzmann ergreift Autodieb". Was ist anders beim Bericht der Dahlemer Jugendlichen? Was sind die Rollen von Polizei und Verhafteten am Abend des 8.August 1937?

*Der Zeichner heißt Theo Matejko

Aufgabe 2: Beschreibe den Rollenwechsel!

Das zweite Bild mit Autos und Fahrrädern war ursprünglich ein Ausschnitt aus einem Science-Fiction mit dem Titel "Bomben über uns"*. Das war im Sommer 1937 noch nicht Realität. Der Krieg begann erst 1939 und die Bombennächte kamen erst in den 40er Jahren. Beide Illustrationen entstanden in den 30er Jahren und zeigen Szenen in den Straßen von Berlin. Man könnte dem Zeichner Theo Matejko bei seinem Science-Fiction fast schon prophetische Fähigkeiten unterstellen. Seine Illustrationen werden hier scheinbar zweckentfremdet eingesetzt. Sie können aber sehr gut die surreale Atmosphäre spürbar zu machen, in der sich die Bekennende Kirche befand. Anständige Bürger im wohlhabenden Villenviertel waren jetzt illegal. Pfarrer wurden reihenweise verhaftet. Kirchenlieder lösen bei den Staatsorganen Empörung aus. Das Glaubensbekenntnis wird zu einem riskanten Akt. Die Kirchen-Welt ist aus den Fugen geraten.

*Theo Matejko's Zeichnungen von Bombenangriffen und Giftgasangriffen im Jahr 1933, sehen aus wie realistische Abbildungen des Krieges 10 Jahre später.


Weitere Zeichnungen von Theo Matejko, Science Fiction 1933

Theo Matejko Zeppelin-Reise
Stuttgart real 1945 1933 Science-Fiction Bomben über uns
Dresden real 1945 1933 Science-Fiction Bomben über uns
Brandenburger Tor 1945 real 1933_Kinderwagen


Aufgabe 3: Woher weiß ein Mensch, was gut und was böse ist? Beschreibe die Quellen dieses Wissens bei der Dahlemer Jugendlichen.

Der heilige Augustinus (viertes Jahrhundert nach Christus) sagte: "Ein Staat ohne Gerechtigkeit ist nichts anderes als eine große Räuberbande". ("Iustitia remota quid sunt regna nisi magna latrocinia!" De civitate Dei IV, 4, 1)

Aufgabe 4: Wie verhalten sich Moral und Gesetz zueinander? Verwende dazu das Zitat von Augustinus.

Die Fürbittengottesdienste waren angesetzt worden, wegen der Redeverbote, Ausweisungen und Verhaftungen von Pastoren und Aktiven der Bekennenden Kirche, insbesondere der vorausgegangenen Verhaftung von Martin Niemöller. Aus diesen Fürbittengottesdiensten für verhaftete Pfarrer wurde dann in Berlin-Dahlem eine feste Tradition, weil in den folgenden Jahren immer viele Pfarrer in Gefängnissen, Gestapo-Zentralen und KZ's gefangen waren. Die Fürbittengottesdienste waren zugleich die Informationsweitergabe über den Stand des Kirchenkampfes und Spendensammelaktion für die Organisation der Bekennenden Kirche. Unten folgt eine Fürbittliste aus dem Jahr 1937. Der darin genannte Pastor Jannasch war der Vater des im obigen Bericht erwähnten Jannasch.


Fuerbittliste-Bedrohte-und-Verhaftete-1937


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