Martin Luthers Wirken muss auf dem Hintergrund der Zeit um 1500 gesehen werden, die in einigen gesellschaftlichen Bereichen eine Zeit des Umbruchs war:
Die Reformation wurde von einer Aufbruchstimmung getragen, die durch wichtige neue Erkenntnisse ausgelöst worden war. „O Jahrhundert! O Wissenschaften! Es ist eine Lust zu leben“, rief der Humanist Ulrich von Hutten aus. Die vielleicht wichtigste neue Erkenntnis hatte der Domherr Nikolaus Kopernikus aus Thorn (1473-1543). Er stellte die These auf, dass die Erde nicht der Mittelpunkt der Welt sei, sondern um die Sonne kreise wie andere Planeten auch. Dies wurde später als das kopernikanische Weltbild bezeichnet. Es hatte zwar auch schon in früheren Jahrhunderten solche Theorien gegeben, aber diese waren wenig bekannt geworden, sondern die meisten - auch unter den Gelehrten - hielten sich gewohnheitsmäßig ans ptolemäische Weltbild, mit der Erde im Mittelpunkt.
Kein neues Weltbild sondern eine "neue Welt" entdeckten die Seefahrer. Im Jahr 1492 stieß Christoph Kolumbus bei seinem Versuch, auf dem Seeweg Indien zu erreichen, auf einen völlig neuen Kontinent, der später Amerika genannt wurde.
Die Erfindung der Buchdruckerkunst durch Johannes Gänsfleisch (genannt Gutenberg) brachte einen revolutionären Wandel in die Informationsvermittlung. Der Buckdruck brachte wörtlich eine "Vervielfältigung" der Wissensvermittlung. Diese neue Kunst half enorm, das Gedankengut der Reformation schnell zu verbreiten.
Eine Revolution der Militärtechnik bedeutete die Erfindung des Schießpulvers, genauer gesagt seine Wiedererfindung im Abendland, die Chinesen hatten es schon vorher erfunden. Damit ging die Bedeutung des Rittertums zurück. Der niedere Adel mit Pferd und Rüstung verlor seine kriegerische Rolle. Stattdessen begann die Zeit der Söldnerheere und es waren die höheren Adelsschichten, Fürsten und Herzöge, die sich diese Art der Kriegsführung leisten konnten (oft nur auf Pump).
Heliozentrisches Weltbild des Kopernikus,
aber irgendwie erscheint die Umlaufbahn der Erde so coronablau ;)
um das genauer zu sehen müsst Ihr draufklicken
Das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation” war zersplittert in Kleinstaaten und freie Reichsstädte, die von weltlichen Fürsten und
Magistraten regiert wurden. Der Einfluss der geistlichen Machthaber war bedeutend. Die Zentralgewalt in Gestalt des deutschen Kaisers
war politisch schwach. Dieser hatte kein stehendes Heer und litt unter chronischem Geldmangel, weil er nicht mit nennenswerten festen
Einkünften im Reich rechnen konnte. Die starke Stellung der einzelnen Territorien begünstigte ab 1521 die Ausbreitung der Reformation gegen
den Kaiser, der am katholischen Glauben festhielt. Aber auch die Städte, die Gewerbe und Handel, Wohlstand und Kultur, Kunst und Bildung voran
brachten, versuchten sich vom Einfluss der Kirche frei zu machen. Deshalb kam dem städtischen Bürgertum die reformatorische Bewegung gerade recht.
Darum hatte die Reformation häufig in den Städten Erfolg (z.B. in Nürnberg, Lübeck, Ulm und Straßburg).
Karte des Heiligen Roemischen Reiches. Zum Vergößern anklicken.
Die Ständepyramide geriet im Spätmittelalter ins Wanken. Die Sozialordnung des Mittelalters teilte die Bevölkerung einzelnen Ständen zu, die in einer klaren Hierarchie politische Macht und Eigentum verteilte. Die drei Stände waren: 1. Die Geistlichkeit (Papst, Bischöfe, Priester), 2. Der Adel (Herzöge, Grafen und Ritter) und 3. Bauern und Bürger. An der Spitze standen Papst und Kaiser als weltliches und geistliches Oberhaupt. Ihnen standen der geistliche und weltliche Adel zur Seite, Bauern und Bürger waren untergeordnet. Dem Adel gehörte um 1500 ca. 50% des gesamten Grundbesitzes in Deutschland. Die Bedeutung des Rittertums nahm freilich eher ab. Viele Bäuerinnen und Bauern rutschten ab zur Leibeigenschaft und am Fuß der Ständepyramide gab es immer mehr „fahrendes Volk“, nämlich Bettler*innen und Landstreicher*innen.
Ständepyramide von Emma im Origami-Stil
Ständepyramide von Keanu im Silhouetten-Stil
Ständepyramide von Jakob im Comic-Stil
Deutschland war um 1500 ein Agrarland; mindestens 90% der Bevölkerung lebte auf dem Land. Die Bauern waren zum größten Teil Analphabeten. Freie Bauern hatten noch eine starke Position etwa an der Nordseeküste und in Westfalen. Anderswo wurden die ehemals freien Bauern mehr und in die Abhängigkeit von Adligen gedrängt oder in die Leibeigenschaft. So gab es in Süddeutschland immer mehr Leibeigene und alle noch freien Bauern hatten Angst vor diesem Schicksal. Hohe Abgaben und Frondienstverpflichtungen waren verbreitet. Dabei wurde das "römische" Recht gegen das "alte" Recht durchgesetzt. Das alte Recht bestand aus mündlich getroffenen Vereinbarungen, wer welchen Brunnen benutzen darf, wer sein Vieh auf welche Weide treiben darf usw.. Viele solcher Vereinbarungen wurden von Generation zu Generation weitergegeben und als Gewohnheitsrecht praktiziert. Das römische Recht dagegen bestand aus schriftlichen Paragraphen. Dafür brauchte man Juristen oder musste zumindest lesen können. So entwickelte sich die rechtliche Situation mehr und mehr gegen die schreibunkundigen Bauern. Jeder juristische Modernisierungsschritt den die Landesherren einführten brachte Nachteile für die Bauern. Das alte Rechtssystem hatte in jedem Dorf eigentümliche Regelungen mit sehr vielfältigen Traditionen. Die Landesherren wollten dagegen eine überall gültige Gesetzgebung mit einer einheitlichen Untertanenschaft. Unmittelbar nach 1500 gab es vereinzelt lokale Aufstände von Bauern; erst 1524 sollte es dann zum großen Bauernkrieg kommen, der sich über weite Landstriche vor allem in Süddeutschland und in Mitteldeutschland ausbreitete. Die Freiheitsbotschaft der Reformation – 1520 war Luthers Schrift ”Von der Freiheit eines Christenmenschen” erschienen – beflügelte die unterdrückten Bauern in ihrem Kampf gegen die Grundherrschaft. Sie meinten damit endlich auch von den Gebildeten eine wirksame Unterstützung für ihre Anliegen zu bekommen.
Große Unterschiede zwischen Stadt und Land zeigten sich auf dem Gebiet der Bildung. Auf dem Land gab es kaum Schulen. Sie lagen nahezu alle in den Städten. In den um 1500 in den Städten verbreiteten „Lateinschulen” stand die Grammatik im Mittelpunkt. Der Unterricht wurde in Latein, der Sprache der Gelehrten, erteilt. Inhalte waren – beeinflusst von den Humanisten – antike Stoffe, aber auch kirchliche und religiöse Elemente. Nach Schätzungen gab es in Deutschland etwa um 150 000 - 400 000 Leser, das waren 3 bis 4% der Bevölkerung, wobei die Bürger zu etwa einem Drittel alphabetisiert waren. Auf dem Land stand es schlechter. Für die Verbreitung der Reformation mit ihrer Konzentration auf das Wort war Bildung ein wesentliches Element. Martin Luther gab für die Verbesserung des Schul- und Bildungswesens starke Impulse.
Auf der einen Seite zeigte sich ein reichhaltiges, vielgestaltiges, religiöses Leben, das auf ein intensives religiöses Engagement der Gläubigen schließen lässt. Zahlreiche Kirchen wurden neu erbaut oder umgebaut. Spitäler wurden gegründet. Bruderschaften zur Pflege frommer Stiftungen entstanden. Heiligenverehrung und Reliquienkult blühten. Neue Wallfahrten wurden eingerichtet. Auf der anderen Seite wurden in Theologie, Frömmigkeit und Kirche Zerfallserscheinungen sichtbar. Der Ablasshandel hatte verheerende pastorale Folgen, die Martin Luther 1517 zum Thesenanschlag brachten. Die Missstände im Spätmittelalter hatten also einen lauten Ruf nach Reformen der Kirche zur Folge. Vereinzelt forderten Universitätstheologen, Bischöfe und Geistliche eine Reform der unhaltbaren Zustände. Bekannt geworden sind einzelne Männer, die man als „Vorreformatoren“ bezeichnet hat. Solche Vorreformatoren waren bspw. John Wiclif (1328 - 1384), Theologieprofessor in Oxford, und der böhmische Universitätslehrer und Prediger von Prag, Johannes Hus (um 1370- 1415), der von Wiclif beeinflusst war und 1415 auf dem Konstanzer Konzil als Ketzer verbrannt wurde, obwohl ihm die Zusicherung auf "freies Geleit" gegeben worden war. Weiter sind hier auch die Reformkonzilien wie das von Basel (1431 - 1449) zu nennen. Sie konnten sich jedoch mit ihrer Forderung nach der Überordnung des Konzils über den Papst nicht durchsetzen. Zu den Reformern kann man auch die Humanisten wie seinen bedeutendsten Vertreter Erasmus von Rotterdam zählen. Dieser lehnte die mittelalterliche Kirche keineswegs ab; er setzte sich für Reformen ein und fand dafür bei den Intellektuellen Rückhalt. Weniger Luther als andere Reformatoren wie der Zürcher Huldrych Zwingli und der Straßburger Martin Bucer standen unter dem Einfluss des Erasmus von Rotterdam. Einige der Mitarbeiter Luthers kamen aus dem Humanismus; der bekannteste unter ihnen war Philipp Melanchthon aus Bretten (heute in Baden-Württemberg).
Die Missstände und die Umbruchsituation in Kirche und Gesellschaft bildeten zwar einen fruchtbaren Boden für Luthers Lehre und begünstigten den Fortgang der Reformation, man kann jedoch schwerlich aus den Zeitumständen mit ihren krisenhaften Erscheinungen das Zustandekommen der Reformation erklären. Vielmehr kam es dadurch zur Reformation, dass Martin Luther mit seinem feinen Gewissen am Heilsangebot der mittelalterlichen Kirche, das an religiöse Leistungen als Bedingung gebunden war, scheiterte. Bezeichnenderweise setzte Luthers Kritik nicht bei der äußeren Organisation der Kirche und ihren Missständen an; es ging ihm vielmehr um den Glauben als Fundament der Kirche. Für ihn war die schriftgemäße Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus das, was Kirche zur Kirche macht.