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Küstermann


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Klasse 8

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Luther's Wirkung für die Schule

Bildung in den Zeiten vor Luther

In den Zeiten vor Luther: Im Mittelalter war Bildung eine Sache der Klöster. In den dortigen Scriptorien (Schreibräumen) wurden die Bücher hergestellt. Außerhalb der Klöster lesen zu lernen war teuer. Die Adligen hatten für ihre Kinder Hauslehrer angestellt. Reiche Bürgersfamilien konnten sich ähnliches leisten. Neben diesem Einzelunterricht in bevorzugten Familien gab es in den Städten Lateinschulen, wo Bürgersöhne ihre Bildung erhielten, nur die Söhne. Für die höhere Ausbildung von Gelehrten, Magistern und Doktoren entanden besonders seit der Rennaissance in den fortschrittlichsten Städten Universitäten. Diese wurden gegründet und finanziert von ehrgeizigen Landesfürsten. Draußen auf dem Lande gab es nichts davon. Der größte Teil der Bevölkerung konnte weder lesen noch schreiben. Analphabetismus war das Normale.

Titelblatt zu Luthers Schrift zum Schulwesen cc0

Luther's Empfehlung zur Schulbildung

Im Jahre 1524 schreibt Martin Luther "an die Ratsherren in allen Städten deutschen Landes" ein kleines, etwa 30 Seiten umfassendes Büchlein über die Pflicht, christliche Schulen für alle Kinder zu schaffen und zu erhalten. Auf dem Titelbild wird dargestellt wie der Schulbetrieb nach Luther's Aufforderung durchgeführt werden soll. Es sind drei einzelne Personen und zwei Gruppen abgebildet.

Aufgabe 1: Beschreibe die Personen und Gruppen auf dem Titelbild von Luther's Büchlein und ihre Tätigkeiten.

Aufgabe 2: Vergleiche die Beschreibung der früheren Lateinschulen im Text mit der von Luther empfohlenen Schule. Was wäre anders bei der Abbildung einer Lateinschule?

Wir lesen einen Abschnitt aus Luther's Büchlein für die Schaffung und Erhaltung von öffentlichen Schulen für alle:

An die Burgermeyster und Radherrn allerley stedte ynn Deutschen landen. Martinus Luther. 1524

„Selbst wenn es nun keine Seele gäbe und man die Schulen und Sprachen nicht um der Schrift (= der Bibel) und um Gottes willen bräuchte, so wäre doch allein schon die folgende Ursache ausreichend, um die allerbesten Schulen für beide, Knaben und Mädlein, an allen Orten aufzurichten, nämlich damit die Welt, auch ihren weltlichen Stand äußerlich erhalten kann. Dazu bedarf es feiner, geschickter Männer und Frauen. Damit die Männer wohl regieren könnten Land und Leute, die Frauen wohl erziehen und halten könnten Haus, Kinder und Gesinde. Weil nun solche Männer müssen aus Knaben werden, und solche Frauen müssen aus Mädlein werden, darum ist zu tun, dass man Knäblein und Mädlein dazu recht lehre und aufziehe. Nun hab ich droben gesagt, der gemeine Mann tut nichts hierzu, kann‘s auch nicht, will‘s auch nicht, weiß es auch nicht. Fürsten und Herren solltens tun, aber sie haben (keine Zeit weil sie beschäftigt sind) auf‘m Schlitten zufahren, zu trinken und in Verkleidung aufzutreten.“

Erklärungen zu diesem Abschnitt:

Auch die Mädchen

In diesem Abschnitt geht es um die gute Wirkung der Schule für das praktische Leben der Gesellschaft. Es ist neu und interessant, dass Luther auch für die Mädchen Schulbildung fordert. Auch wenn die Rollenverteilung (Männer für das öffentliche Leben, Frauen für den Haushalt) heute nicht mehr stimmt, geht Luther's entscheidender Schritt doch in die richtige Richtung: Auch Mädchen brauchen Bildung und sollen sie bekommen.

Pflicht der Fürsten und Herren

Ist Euch der heute fast unverständliche Ausdruck aufgefallen "der gemeine Mann"? Damit sind die "normalen Leute" gemeint, zu Luther's Zeiten waren das hauptsächlich die Bauern. Von diesen könne man nicht verlangen, dass sie ihren eigenen Kindern eine gute Schulbildung geben könnten, sondern die "Fürsten und Herren", also der Staat ist verantwortlich für die Schaffung und Erhaltung der Schulen. Die einzelnen Familien können das nicht. Deshalb kritisiert Luther das Luxus-Leben und die Prestigeprojekte der "Fürsten und Herren". Sie sollen sich lieber um wichtige Sachen wie die Schule kümmern.

Der praktische Nutzen ist nur eine Nebenwirkung

Ganz besonders interessant ist aber der erste Satz dieses Abschnittes:
"Selbst wenn es nun keine Seele gäbe und man die Schulen und Sprachen nicht um der Schrift (= der Bibel) und um Gottes willen bräuchte..."
In den vorigen Abschnitten hatte Luther nämlich den eigentlichen Antrieb zur Schulbildung beschrieben: Jeder Christ und jede Christin muss die Bibel lesen können!

Die Hauptgründe warum wir Schule brauchen

Erstens ist die Bibel die höchste Autorität für den Glauben und zweitens gilt das allgemeine Priestertum aller Gläubigen. Priestertum bedeutet verantwortlich sein für die Beziehung zu Gott. Jeder Christ und jede Christin ist selbst verantwortlich für die eigene Beziehung zu Gott. Und alle sind mitverantwortlich für die Kirche, für die Religion in der Gesellschaft. Also ist es wichtig die Bibel lesen zu können. Das sind die Hauptgründe für die allgemeine Schule. Die praktischen Vorteile, die ein gutes Schulwesen für die Gesellschaft auch noch mit sich bringt, sind nur eine angenehme Nebenwirkung. Die Seele der Menschen braucht diese Beziehung zu Gott. Dafür wird gelernt und ausgebildet.

Die Wirkung über Jahrhunderte

In den evangelischen Gebieten wurde die Schulbildung mit großer Energie vorangetrieben. Die Auswirkungen waren so mächtig, dass sie noch Jahrhunderte später deutlich feststellbar waren. Im Jahr 1966 (also vierhundert Jahre nach Luther) untersuchte der Soziologe (=Gesellschaftwissenschaftler) Ralf Dahrendorf das Bildungssystem in Westdeutschland. Er stellte fest, dass es vier Arten von Benachteiligung gibt, also vier Arten von "Bildungsgefälle". Und er fasste seine Untersuchung in einem Satz zusammen:
Die schlimmsten Benachteiligungen in der Schulbildung hat die katholische Arbeitertochter vom Lande.

Natürlich hatte auch die katholische Kirche schon lange erkannt, wie wichtig Bildung ist. Aber der Vorsprung der Evangelischen in Schul-Bildung war so groß, dass der Unterschied noch 1966 deutlich erkennbar war. Welche drei weiteren Ungleichheiten stecken in Dahrendorf's Satz?

Benachteiligt oder bevorzugt im Jahr 1966

Aufgabe 3: In der folgenden Tabelle sind die vier von Dahrendorf festgestellten Benachteiligungen aufgelistet. Suche aus der darunter stehenden Wortliste die passenden Gegenbegriffe aus und trage die "Bevorzugungen" (= bessere Chancen) in die Tabelle ein. Du brauchst nicht alle Worte aus der Wortliste, nur muss die Tabelle richtig und komplett ausgefüllt sein.

Benachteiligt sind: Die besseren Chancen haben:
Katholische ..................
Arbeiter ...................
Töchter ...................
vom Lande ....................

Wortliste

Arbeiter, Katholische, Söhne, Evangelische, Pferde, Esel, aus der Stadt, im Verein, aus dem Gebirge, Unternehmer, Bauern, Bäuerinnen, Autobesitzer, mit Sonnenbrille, Musiker, Intelligente, weniger Intelligente, Pilotinnen, Spaßmacher, Sportlerinnen, vom Lande, aus der Garage, im Pool.

Bildung für alle!

Natürlich war es nicht Luther's Ziel Bevorzugungen und Benachteiligungen zu schaffen. Ganz im Gegenteil, er wollte Bildung für alle. Das Auseinanderbrechen des Christentums in verschiedene Konfessionen geschah als Folge aber nicht als Absicht von Luther's Reformation.

Seit Dahrendorfs Untersuchung von 1966 hat sich manches geändert. Heute haben zum Beispiel Jungs eher schlechtere Chancen auf eine gute Schulbildung als Mädchen. Aber die Entwicklung des Schulsystems zeigt sehr deutlich die langfristige Wirkung religiöser Impulse. Luther's Lehre vom Priestertum aller Gläubigen und von der Wichtigkeit der Bibel war entscheidend für die Alphabetisierung der ganzen Bevölkerung und für den starken Ausbau des Schulsystems in den evangelischen Gebieten.



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