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Der Duke of Algeciras mit Tropenhelm, Jagdflinte und erlegtem Leoparden. cc0
Das Forscher-Szenario bei Antony Flew hängt nicht nur mit seinen bildhaften Vorstellungen (Forscher im Dschungel) im historischen Bereich des Kolonialismus, sondern denkt auch in den Gottesdefinitionen jener Zeit. Die Gärtnerparabel atmet den Geist der Epoche als europäische Abenteurer auf Entdeckungsfahrt gingen. Europa und Nordamerika fühlten sich als Herren aller Kontinente. Alle Lebewesen, die nicht der Herrenkultur angehörten, wurden der Herrschaft unterworfen. Gleichermaßen fühlte sich die wissenschaftliche Forschung als Herrin über die Wirklichkeit. Die ganze Welt wurde degradiert auf Objekt-Status. Alle Objekte wurden erforscht, gemessen, klassifiziert und den Herren der Welt dienstbar gemacht. Mit eigener Stimme zu reden, wurde weder den Kulturen noch der Natur gestattet. Gehört zu werden, wahrgenommen zu werden, erfolgte nur innerhalb des Objekt-Status. Du wirst erforscht.
Dieses eurozentristische und objektivistische Szenario war nicht nur der Welt, den Menschen, den Kulturen und der Natur gegenüber unangemessen, sondern ebenso der Religion. Ob Logik und Rationalität wirklich zeitlos definiert werden können, oder ob auch solche scheinbar ewigen Denkformen nur in ihrem jeweiligen kulturellen Umfeld entstanden und befangen sind, wäre zu fragen. Hat der Homo sapiens mit der Erfindung der Logik die wirkliche und endgültige, unhinterfragbare Göttin gefunden? Die Ewige, Allgegenwärtige und Allmächtige? Nur Liebe und Barmherzigkeit, die vom christlichen Gott behauptet wurden, fallen als klassische Gottesattribute weg bei der neuen Göttin. Die neue Göttin lässt Stacheldrahtfallen aufstellen gegen ihren Vorgänger. Und wenn er darin sich nicht fangen lässt, dann gibt es ihn nicht. Worin bestünde die prinzipielle Falsifizierbarkeit der Logik?
Der Atheismus argumentiert mit Attributen, die Gott zugeschrieben werden: Allmächtig und liebevoll. Und er behandelt Gott, als wäre es ein genormter Baustein für ein in sich widerspruchfreies Weltbild. Mit dem Nachweis ihrer Widersprüchlichkeit fallen diese Attribute Gottes und damit der Gottesbegriff aus dem erstrebten widerspruchsfreien Weltbild heraus.
Diese Zuschreibungen christlicher Dogmatik hatten in den mehr als tausend Jahren, als das Christentum Staatreligion war, den Charakter einer Weltordnung bekommen. Gottes Allmacht musste funktionieren als Legitimation für die Macht irdischer Herrscher. Könige und Fürsten regierten "von Gottes Gnaden". In den Jahrhunderten davor, als das Christentum noch illegal, verfolgt und verachtet gewesen war, hatten sie eher den Charakter einer Dekonstruktion des Imperiums. Der römische Staat und seine Organe goutierten es nicht, wenn die Christen das Attribut "allmächtig" für ihren gekreuzigten Gott in Anspruch nahmen. Dass unser kleiner Wanderprediger aus Galiläa Gottes Sohn sei, war eine subversive Behauptung gegen die realen gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Nicht ein widerspruchfreies Weltbild war Sache des Christentums, sondern ein Gottesbild im Widerspruch gegen die Machtspiele des Imperiums. Die selben christlichen Aussagen über Gott hören sich sehr unterschiedlich an, je nachdem in welchem sozialen Umfeld sie gesagt werden. Der neuzeitliche Atheismus begreift weder die geschichtlichen Gebundenheiten des Christentums, noch seine eigenen.
Religiöse Erlebnisse und ihre Narrative entspringen anderen Bedürfnissen, Erfahrungen und Wahrnehmungsarten des Menschen, als dem Verlangen nach logischer Richtigkeit. Religiöse Aussagen sind keine feststellende Beschreibung von quasi physikalischen Tatbeständen, sondern oft spannungsgeladene Entgegensetzungen zu gesellschaftlichen Wirklichkeiten. Glaube ist nicht eine Hypothese, dass es ein Objekt namens Gott gäbe, mit gewissen ihm zugeschriebenen Eigenschaften. Selbst die Eigenschaften, die von Gott in klassischen, monotheistischen Dogmatiken behauptet werden, sind keine Eigenschaften im Sinne einer Messwerteliste, sondern es sind Eigenschaften, die darauf angelegt sind, das Szenario von Subjekt und Objekt aus den Angeln zu heben.
Die Rationalität der europäischen Moderne meinte, sich auf den Richterstuhl über die ganze Welt setzen zu müssen. Ist aber der Homo sapiens wirklich das souveräne, rationale, in sich widerspruchsfreie Subjekt der Wirklichkeitserkenntnis? Falls der Mensch Widersprüchliches in sich trüge, in seiner Kultur, in seinem Leben, in seinem Fühlen und dieses Einfluss haben könnte auf sein Denken, womöglich sogar ohne dass der Einfluss ihm bewusst wäre, mit welchen Mitteln wollte dann dieser in sich widersprüchliche Mensch Gewissheit erlangen über die Widersprüchlichkeit oder Widerspruchsfreiheit der übrigen Wirklichkeit? War diese Gedankenfolge logisch genug, um der Möchtegern-Göttin wenigstens den Hauch eines Zweifels an ihrer eigenen Allmacht einzupflanzen?
Die unbestreitbaren Erfolge der Logik sollten nicht hinwegtäuschen über die Fehlbarkeit ihrer Anwendungen. Wirklichkeit ist nicht widerspruchsfrei feststellbar, sondern wird diskutiert. Ganz zu schweigen von der Untersuchung an einem so besonderen "Gegenstand". Wo soll die Untersuchung beginnen, angesichts der Ubiquität Gottes? Wann soll die Untersuchung beendet werden, angesichts der Ewigkeit Gottes? Welches erkennende Subjekt könnte die Untersuchung durchführen, angesichts der Allwissenheit Gottes?
Wenn Gott Gott ist und der Mensch Mensch ist, wie könnte dann die Begegnung zwischen Mensch und Gott sich ereignen? An Gott zu glauben, versetzt den Menschen in ein ganz anderes Szenario, als das Hypothesen-Prüfungsgericht des Antony Flew, nicht an Gott zu glauben, in ein wieder anderes. Es gibt für den Menschen keinen neutralen, über alle Zweifel und Zwiespälte erhabenen Ort, von dem aus ein souveränes Urteil über die Szenarien zu fällen wäre. Erlauben wir uns angesichts der Bedeutung, die die Religion in der Menschheitsgeschichte hatte, dennoch einen frechen, kleinen Vergleich: Das von Antony Flew gesetzte Szenario gleicht einem Schmetterlingsjäger, der mit seinem Netz am Stiel ein ausgewachsenes Nilpferd fangen möchte.
Der Vergleich Gottes mit einem Nilpferd ist nicht blasphemisch gemeint, sondern nur als eine sich harmlos gebende Annäherung an das biblische Bild vom Leviathan (Hiob 41, 2+3) nach der Übersetzung Martin Luthers.
Bild: Auf der Pirsch. Rationalismus und Religion. Zur Kritik der Gärtnerparabel bei Antony Flew.
Gott ohne Ismus. Die Stachedrahtfalle 4. Die nicht falsifizierbare Göttin. Text cc-by-sa 4.0 int. by Harald Küstermann RoteSchnur.de. Bilder unter der jeweils angegebenen Lizenz.
Liebe und Barmherzigkeit sind die Attribute, mit denen sich der alte, jüdisch-christliche Gott von der neuen Göttin Logik unterscheidet. Und es sind die Eigenschaften, durch die er angreifbar wird, verletzlich, zerbrechlich, in sich widersprüchlich, menschlich.