(veröffentlicht im September 2024)
Die historischen Wurzeln von Judenhass und Judenfurcht lassen sich auch in außerbiblischen Quellen zurückverfolgen in vorchristliche Jahrhunderte. Obwohl manche sich sträuben, diese frühen Spuren mit dem modernen Namen Antisemitismus zu belegen, ist es doch eine zusammenhängende Traditionslinie des Hasses, die nur im Laufe späterer Zeiten mit neuen Elementen aufgefüttert wurde. Von den religiösen Vorwürfen des christlichen und islamischen Antisemitismus bis zu den rassistischen Begründungen der Neuzeit sind es immer nur Weiterentwicklungen, die auf die jeweils bereits vorhandenen Hassmuster aufbauen. Durch Aufdeckung der tiefen Quellen des Hasses lassen sich hoffentlich auch die später dazugegebenen Gifte bloßstellen. Gegen den pessimistischen Essay von Jan Philipp Remtsma vom 14.Juni 2024 auf bpb.de ( Antisemitismus - Was gibt es da zu erklären?), soll hier versucht werden, mit historischem Verstehen den Antisemitismus zu bekämpfen. Es ist nämlich sehr wohl eine Besonderheit der jüdischen Religion, die den Antisemitismus verursacht, nicht als wären die Juden selber schuld an den Verbrechen, die ihnen angetan werden, sondern als Anerkenntnis der grandiosen Leistung, die von der jüdischen Religion für die ganze Menschheitsgeschichte erbracht wurde. Und es ist keine Nebensächlichkeit, die den Antisemitismus verursacht, sondern es ist der zentrale Inhalt dieser Religion, gegen den bis heute der dumpfe Hass tobt.
Als Grundlage dienen die Untersuchungen von Peter Schäfer (Judenhaß und Judenfurcht. Die Entstehung des Antisemitismus in der Antike. 2010 Suhrkamp) und David Nirenberg (Anti-Judaismus. Eine andere Geschichte des westlichen Denkens. Übersetzt von Martin Richter. 2015 C.H. Beck), die aber beide den meines Erachtens entscheidenden Schritt nicht vollziehen.
Kurztexte mit dem Hintergrundbild: Fest der Pelikane von Michael Busch. Die Textabschnitte werden unten als purer Text wiederholt.
Die Juden feiern Passah! Dies wird bei der Frage nach dem Ursprung des Antisemitismus meistens übersehen. Das Passah-Fest ist der Kern jüdischer Identität seit über dreitausend, historisch nachweisbar seit mindestens zweieinhalbtausend Jahren. Das im Passah-Fest verankerte kulturelle Gedächtnis reaktiviert jedes Jahr die in der Tora, dem heiligen Buch der Juden, ausformulierte Erzählung vom Exodus, vom Auszug aus der Sklaverei. 1.1
Jedes Jahr zum Frühlingsvollmond versammeln sich weltweit Millionen von Juden in ihren Wohnungen und zelebrieren die Erinnerung an den erfolgreichen und nachhaltigen Massenausbruch aus Zwangsarbeit und Unterdrückung. In etlichen Jahrhunderten der Antike, schon seit König Josia 520 v.Chr., wurde das Passah nicht privat in den jüdischen Häusern, sondern als Wallfahrtsfest am Tempel in Jerusalem gefeiert mit zigtausenden von Pilgern. 1.2
Was für ein Skandal! empörten sich die Herrenmenschen. Flucht aus der Sklaverei galt in allen antiken Reichen als ein schweres Verbrechen. Entlaufene Sklaven wurden gejagt und mit drakonischen Strafen zur (Staats-)Räson gebracht. Oft drohte ihnen die Todesstrafe. Und da beim Passah-Fest feiern ehemalige Sklaven und deren Nachkommen in Freiheit und in aller Öffentlichkeit den erfolgreichen Ausbruch aus der Sklaverei. 1.3
Für die Sklavenhaltergesellschaften des Altertums war kein anderes Verbrechen so hochgradig systemgefährdend wie Ausbruch aus der Sklaverei. Und da sitzen nun jedes Jahr zigtausende von Juden in Jerusalem und feiern sich und die Großtat ihres ungeheuren Gottes, der sie aus Ägypten, aus dem Sklavenhaus herausgeführt habe. Ihre ganze Religion, ihre Moral, ihre Gesetze, ihre Sitten, leiten diese Juden vom Exodus-Ereignis ab. Was für ein Volk, was für eine gefährliche Religion! 1.4
Der ägyptische Priester Manetho (etwa 280-240 v.Chr.) bringt die Gegen-Erzählung: Es sei eine Horde von Aussätzigen gewesen, angeführt von Moyses, diese gefährliche Seuchenträgerbande sei von einem tüchtigen Pharao aus Ägypten verjagt worden. Wenn Manetho's Aussätzigen-Legende tatsächlich eine alte ägyptische Geschichtsschreibung wiedergäbe, dann wäre sie der außerbiblische Beleg für den Exodus. Es ist aber wahrscheinlicher, dass Manetho seine Geschichte neu erfunden hat, als Polemik gegen das Passahfest und dessen Inhalt. 1.5
Der Grieche Diodor und einige seiner Follower meinen, Moses habe den Juden menschenfeindliche und widerrechtliche Sitten zum Gesetz gegeben. Wohl kaum kann er damit die alltägliche Moral gemeint haben: Du sollst nicht töten, nicht ehebrechen, nicht stehlen, solche Regeln gab es bei anderen Völkern auch. Das Besondere bei den Juden war der Gott, der aus der Sklaverei herausführt. Das erregte den Anstoß. So ein Sklavenbefreiungsgott konnte aus Sicht der klassischen Kultur nur eine Art Teufel sein. 1.6
Der Römer Tacitus schreibt, die Juden seien das verachtetste aller Völker, die zu dienen gehabt hätten. ("despectissima pars servientium" Tac, Hist. V,5.). Er lobt den Seleukidenkönig Antiochus für seine Maßnahmen gegen den jüdischen "Aberglauben". Antiochus ließ die jüdischen Bücher verbrennen. Bei wem eine Tora gefunden wurde, der wurde getötet. Der Tempel in Jerusalem wurde ausgeraubt und entweiht. Fast sei es gelungen, den Juden griechische Sitten beizubringen, wenn nur nicht ein anderer Krieg dazwischen gekommen wäre. 1.7
Dieser Tacitus avancierte Jahrhunderte später zum größten römischen Bauchpinsel der deutschen Nationalisten. Das ist der direkte Ausfluss des antiken Antisemitismus in den modernen. Ägypter, Griechen, Römer, die staatstragenden Oberschichten aller Sklavenhalter-Imperien sind entsetzt über die Juden, deren religiöse Identität sich festmacht an einem Buch, mit dem Narrativ von der Befreiung aus der Sklaverei. Das jüdische Passah-Fest ist eine apokalyptische Gefahr für jedes sklavenhaltende Imperium. 1.8