Einige Denkweisen, die in der Neuzeit eine Rolle spielten und noch spielen, sollen hier angerissen werden, um Zugänge zu schaffen oder sogar zu einem Überblick zu helfen. / Teil 0 / Dieser Artikel wurde veröffentlicht am 16.Okt.2022
Die Erfindung der modernen Hermeneutik erfolgte ...
... gegen die Dogmen der klassischen Naturwissenschaft
Der Vorteil des Beweisenkönnens ...
... brachte für manche Wissenschaften nur Nachteile
Verstehen ist notwendigerweise subjektiv, also eine Kunst, keine Wissenschaft
Hermeneutik ist die Kunst des Verstehens
Hermeneutik ist eine besondere, geisteswissenschaftliche Methode
Verstehen ist die Verbindung zwischen dem Vertrauten und dem Unvertrauten.
Andere Horizonte
Die Arbeit des Verstehens
Vorverständnis
Zukunftsoffenheit
Geschichtsbewusstsein
Die Klärung des eigenen Vorverständnisses
Die hermeneutische Demut
Die hermeneutische Grundentscheidung
Der hermeneutische Zirkel
Nach-klassische Naturwissenschaft nähert sich der Hermeneutik an
Woraus besteht Wirklichkeit, woraus Wissenschaft?
Die Zeitgenossenschaft der klassischen Naturwissenschaften
Wahrheitsmodelle und die darin enthaltenen Vorurteile
Taugt Hermeneutik für Konflikt-Situationen?
Gesellschaftliche Bedingungen des Verstehens (Jürgen Habermas)
Feministische Hermeneutik (Luce Irigaray)
Wahn und Hermeneutik (Clifford Geertz)
Die Unsicherheit der Logik
Hermeneutik wirkt therapeutisch
Das Potential der Hermeneutik
Hermeneutik für die Außenansicht der Wissenschaft
Übriggebliebene Stichworte zur Hermeneutik
Kulturrelativismus gegen Evolutionismus
Kulturrelativismus und Menschenrechte
Philosophisch
Missionierend
Wissenschaftlich
Logisch
Passah
Sola Gratia und die Anfälle der Eingeborenen
Ahnenreihe der Menschenrechte
Spinnerei
Die folgenden Abschnitte sollen die Fragestellung für die ganze Artikelreihe Denkweisen der Moderne aufwerfen.
Seit mindestens dreihundert Jahren ist die Wissenschaft die vorherrschende Geistesmacht auf diesem Planeten. Es gibt auch keine realistische Alternativkandidatin für diesen schwierigen Job. Welche Geistesmacht sonst sollte der Menschheit als Orientierung und Verständigungsbasis gelten? Schauen wir in die Runde auf der Suche nach eventuellen außerwissenschaftlichen Alternativ-Lösungen:
Vom Christentum als der größten Weltreligion erhofft sich die Menschheit wohl kaum eine weltweite Führungsrolle, besonders seit die Einheit des christlichen Abendlandes in Reformation und Gegenreformation zerbrochen ist. Weder der Vatikan als Kopf der größten Einzel-Kirche, noch der Ökumenische Weltrat der Kirchen als größter Dachverband der übrigen Kirchen würden von der Menschheit insgesamt als maßgebliche Autorität anerkannt werden, ganz zu schweigen von den Tausenden von Minipäpsten der evangelikalen Gemeinden und Freikirchen. Der christliche Fundamentalismus merkt nicht einmal, dass Kreationismus der falsche Punkt ist, Wissenschaft zu kritisieren. Die orthodoxen Kirchen sind ohnehin zu klein und mit ihren Ländern zu arm und zu rückständig. Das skandinavische Luthertum hat zwar in seinen Gebieten die wohl progressivsten Gesellschaften hervorgebracht, aber nicht ganz aus eigener Kraft, sondern immer gemeinsam mit der Wissenschaft und mit anderen profanen Geisteskräften wie Marxismus und Feminismus. Das Christentum insgesamt schickt also keine Kandidatin ins Rennen gegen die Wissenschaft, sondern passt sich ihr an.
Der Islam als zweitgrößte Weltreligion hat immer noch Mühe, sich aus den Folgen des Kolonialismus herauszuarbeiten. Das religöse Wiedererwachen kann für den islamischen Bereich ein kulturelles Selbsbewusstsein zurück gewinnen, aber weder Ölreichtum noch Fanatismus sind Zeichen einer ermutigenden Weiterentwicklung. Der Islam spielt eine wichtige Rolle für die Weltkultur, aber er kann die Wissenschaften nicht ersetzen. Von früherer Geistesgröße, Gelehrsamkeit und Freiheit sind die islamischen Gesellschaften zur Zeit weit entfernt.
Auch der Buddhismus ist keine Alternative für die Wissenschaft. Er hat zwar im Dalai Lama eine weltweit beliebte Gallionsfigur, aber individuelle Weisheit ist noch keine Weltkultur. Der Tibet ist rückständig geblieben und es fragt sich, ob dies nur auf politische Unterdrückung zurückzuführen ist. Welche anderen Strömungen des Buddhismus könnten auftreten als Globalplayer?
Welche nicht-religiösen Kräfte könnten die geistige Führung übernehmen? Die beeindruckende wirtschaftliche Stärke Chinas und anderer ostasiatischer Staaten beruht auf Wissenschaft und auf dem pragmatischem Fleiß der Bevölkerung, aber wo wäre in diesen großen, alten Kulturen eine heute tragfähige geistige Kraft außerhalb der Wissenschaft auszumachen?
Wohl keine der Weltreligionen, keine Philosophie und keine Weltanschauung hat die nötige weltweite Geisteskapazität und Integrationskraft, um der Wissenschaft ihre Rolle als allgemein anerkannte Führungsmacht streitig zu machen. Konkurrenzlos beherrscht die Wissenschaft das Feld. Das ist gut so, werden viele sagen, aber dennoch gibt es Grund zur Sorge.
Das menschliche bis übermenschliche Machtgefühl, das die Naturwissenschaft und ihre technischen Resultate seit der Industrialisierung erzeugt haben, war berauschend, aber das Zeitalter der Wissenschaft ist zugleich das Zeitalter des größten Artensterbens, das sich je auf der Erde ereignet hat.
Der Klimawandel ist inzwischen die wohl größte Bedrohung für die Menschheit und für manches andere Leben auf der Erde.
Die Steigerung der Nahrungsmittelproduktion durch die wissenschaftlichen Errungenschaften von Kunstdünger und Pestiziden wurde ein paar Jahrzehnte lang gefeiert als grüne Revolution und Ende aller Hungersnöte. Die Nachwirkungen und die Ausweglosigkeiten der chemischen Landwirtschaft sind heute ein riesiges Problem, nicht nur für die Bienen.
Die Bedrohung der Biosphäre durch die von der Wissenschaft bereit gestellten Atomwaffen und Atomenergien besteht weiter und sehr große Teile der Wissenschaft befinden sich weiterhin im Dienst von Rüstung und Vernichtung.
Die landwirtschaftlichen und medizinischen Möglichkeiten der Gentechnik sind faszinierend, ihre Gefahren unberechenbar.
"Die Wissenschaft kann nichts dafür", rufen ihre Fans und zum Teil auch sie selbst bei jedem der genannten und vielen ungenannten Kritikpunkten. Gerne würden wir dem Zwischenruf Glauben schenken, aber wer war es dann? Welche unsichtbare Macht verwandelt die gloriosen Erkenntnisse der Wissenschaft in tödliches Gift? Gibt es hinter der vorherrschenden Wissenschaft eine andere, womöglich größere Geistesmacht auf diesem Planeten? Vielleicht das Geld? Dann müsste die Wissenschaft sich zuallererst und mit all ihren Kräften gegen diesen Konkurrenten wenden. Tut sie das? Bleiben wir bei der Wissenschaft als Ansprechpartnerin und bitten wir sie, sich selbst zu betrachten. Keine andere Weltreligion oder Weltanschauung hat in den Jahrhunderten ihrer jeweiligen Machtentfaltung den Planeten Erde jemals in einen so gefährdeten und angeschlagenen Zustand versetzt, wie das die Wissenschaft in den dreihundert Jahren ihrer Herrschaft getan hat.
Die Wissenschaft feierte in den Zeiten ihrer Menschheitsführung einen Erfolg nach dem anderen. So ziemlich jeder dieser Erfolge zog dann spätestens ein paar Jahrzehnte später erhebliche Probleme nach sich. Die Bilanz erscheint nur dann berauschend, wenn die Negativposten ausgeblendet werden.
In der Vergangenheit ereigneten sich Zusammenbrüche von Kulturen meist dadurch, dass sie befangen waren in ihrem jeweiligen Diskurs, also ihre eigenen Grenzen nicht selbstkritisch genug hinterfragten. Ihre Fähigkeit zur Selbstkritik und Selbstkorrektur gilt als eine wesentliche Stärke der Wissenschaft, aber geht diese Selbstkritik weit genug, so lautet die überlebensnotwendige Frage. Betriebsblindheit ist ein umso größeres Problem, je größer der Betrieb wird und vielleicht ist Betriebsblindheit ein zu harmloser Begriff für manche Arten des Nicht-Durchschauens der in der Moderne wirksamen Triebkräfte.
Was einer Kultur gut täte und heilsam wäre, liegt in der Regel außerhalb ihrer selbst, in unserem Falle also außerhalb der Wissenschaft. Was innerhalb ihrer Logik liegt, hat sie ja schon oder kann es aus eigener Kraft erwerben. Solange die Wissenschaft nur in ihrer eigenen, wissenschaftlichen Weise wahrnimmt, bewertet und weiterentwickelt, bemerkt sie ihre eigenen Skotome nicht. Außensicht ist lebensnotwendig. In diesem Sinne muss die Aufmerksamkeit sich darauf richten, wie die Wissenschaft über ihren eigenen, wenn auch sehr großen Tellerrand hinausblicken kann. Wie kann die Wissenschaft aus sich heraustreten, um aus ein bisschen Distanz sich selbst zu erkennen?
Die folgenden Artikel versuchen einen allgemeinverständlichen Überblick über die verschiedenen Denkweisen der letzten Jahrhunderte zu geben, die in der Wissenschaft eine Rolle spielten und bis heute spielen. Die meisten dieser Denkweisen lassen sich auch unter dem Aspekt betrachten, sie seien solche Versuche der Wissenschaft, aus sich selbst herauszutreten, um sich selbst zu verstehen. Dem soll hier Vorschub geleistet werden. Was dabei wie Größenwahn erscheinen mag, entsteht aus dem bescheidenen Wunsch "... mit unsrer kleinen Kraft zu üben gute Ritterschaft".
Ist sich die Wissenschaft ihrer Triebkräfte bewusst?
Und woher bekommt sie Außensicht auf sich selbst?
Kennt sie ihr Fußvolk und ihre Fundamentalisten?
Kann sie sich selbst zügeln?
Woraus bestehen die Zügel?
Wer hält diese in der Hand?