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Küstermann




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Martin Luther Portrait mit Freiheitsstatue in Rock und Haare projeziert

Freiheit, Religion und Martin Luther

Was hat Freiheit mit Religion zu tun? Genauer gefragt, was hat sie mit Martin Luther zu tun?

Thomas Mann über Martin Luther (Zitate aus einer Rede 1945)

"Martin Luther, eine riesenhafte Inkarnation deutschen Wesens, war außerordentlich musikalisch. Ich liebe ihn nicht, das gestehe ich ganz offen. Das Deutsche in Reinkultur, das Separatistisch-Antirömische, Anti-Europäische befremdet und ängstigt mich, auch wenn es als evangelische Freiheit und geistliche Emanzipation erscheint, und das spezifisch Lutherische, das Cholerisch-Grobianische, das Schimpfen, Speien und Wüten, das fürchterlich Robuste, verbunden mit zarter Gemütstiefe und dem massivsten Aberglauben an Dämonen, Incubi und Kielkröpfe, erregt meine instinktive Abneigung. Ich hätte nicht Luthers Tischgast sein mögen, ich hätte mich wahrscheinlich bei ihm wie im trauten Heim eines Ogers gefühlt und bin überzeugt, dass ich mit Leo X., Giovanni de Medici, dem freundlichen Humanisten, den Luther "des Teufels Sau, der Babst" nannte, viel besser ausgekommen wäre."

"Nichts gegen die Größe Martin Luthers! Er hat nicht nur durch seine gewaltige Bibelübersetzung die deutsche Sprache erst recht geschaffen. Indem er die Unmittelbarkeit des Verhältnisses des Menschen zu seinem Gott herstellte, hat er die europäische Demokratie befördert, denn "Jedermann sein eigener Priester", das ist Demokratie."

Wodurch entsteht das Freiheitspotential der Protestanten, besonders der Lutherischen?

Die Inhalte einer Religion haben Einfluss auf die Mentalität ihrer Anhängerschaft. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wurde erst 1948 verfasst, aber die Spur der Freiheit ist viel älter. Sie zieht sich vom Auszug Israels aus der Sklaverei des Pharao durch die Propheten und Evangelien zu den Briefen des Paulus. Und diese Spur der Freiheit wird von Martin Luther fortgesetzt. Thomas Manns Hinweis bezieht sich auf einen der stärksten Punkte lutherischer Theologie: Das allgemeine Priestertum aller Gläubigen. "Alles was aus der Taufe gekrochen, trägt den Bischofsstab schon im Tornister", so oder so ähnlich kritisiert Luther die religiöse Legitimierung von Hierarchie in der mittelalterlichen Theologie. Jeder Mensch steht selbst direkt vor Gott, nur Christus ist der Mittler zwischen menschlicher und göttlicher Sphäre, keine kirchliche Hierarchie, kein geweihtes Priestertum, keine gesellschaftliche Zwischenschicht trennt dich von Gott. Luthers Konflikte mit der kirchlichen Hierarchie und deren theologische Verarbeitung schaffen starke Impulse für die hohe Verantwortlichkeit des Individuums. Wir lesen ein paar Sätze aus einem der wichtigsten Bücher von Martin Luther.

Von der Freiheit eines Christenmenschen, Martin Luther 1520

Luther beginnt mit zwei Sätzen, die einander scheinbar widersprechen: Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan. Luther behauptet, beide Sätze seien wahr. Und er begründet dies mit zwei Zitaten aus den Briefen des Paulus: 1. Korinther 9,19: "Ich bin frei in allen Dingen und habe mich zu eines jedermann Knecht gemacht." Und Römer 13,8: "Ihr sollt niemandem etwas verpflichtet sein, außer dass ihr euch untereinander lieb habt." Und dann bringt Luther die beiden widersprüchlichen Sätze in Verbindung mit Jesus Christus. Dazu zitiert er aus dem Galaterbrief (Galater 4,4): "Gott hat seinen Sohn ausgesandt, von einem Weib geboren, und dem Gesetz untertan gemacht." Was hat es mit der Freiheit zu tun, dass Christus als Mensch geboren wurde und sich dem Gesetz (des Mose) untertan gemacht hat? Dazu ein ganzer Abschnitt über Königtum und Priestertum:

(Zum 15.:) Wie nun Christus die Erstgeburt (der Gotteskinder) innehat mit ihrer Ehre und Würde, so teilt er sie allen seinen Christen mit, dass sie durch den Glauben auch alle Könige und Priester sein müssen mit Christus, wie Sankt Petrus sagt in 1. Petr. 2,9: "Ihr seid ein priesterliches Königreich, und ein königliches Priestertum." Und das geht so zu, dass ein Christenmensch durch den Glauben so hoch erhaben wird über alle Dinge, dass er geistlich ein Herr aller Dinge wird, denn es kann ihm kein Ding zur Seligkeit schaden. Ja, es muss ihm alles untertan sein und zur Seligkeit helfen, wie Sankt Paulus lehrt in Röm. 8,28: "Alle Dinge müssen den Auserwählten zu ihrem Besten behelfen, es sei Leben, Sterben, Sünde, Gerechtigkeit, Gutes und Böses, wie man es auch nennen möchte." Ebenso in 1. Kor. 3,21f.: "Alle Dinge sind euer, sei es das Leben oder der Tod, Gegenwärtiges oder Zukünftiges usw." Nicht, dass wir aller Dinge leiblich mächtig sind, sie zu besitzen oder zu gebrauchen, wie die Menschen auf Erden, denn wir müssen leiblich sterben und niemand kann dem Tod entfliehen; so müssen wir auch vielen anderen Dingen unterliegen, wie wir an Christus und seinen Heiligen sehen. Denn dies ist eine geistliche Herrschaft, die da in der leiblichen Unterdrückung regiert, das heißt: Ich kann mich ohne alle äußerlichen Dinge in der Seele aufbauen, sodass auch Tod und Leiden mir dienen und nützlich sein müssen zur Seligkeit. Das ist eine sehr hohe, ehrenvolle Würde und eine wirklich allmächtige Herrschaft, ein geistliches Königreich, da ist kein Ding zu gut, zu böse – es muss mit zum Guten dienen, so ich glaube; und ich bedarf dessen doch nicht, sondern mein Glaube ist mir genug. Siehe, was ist das für eine wertvolle Freiheit und Macht der Christen!

Freiheit und Religion 08. Freiheit, Religion und Martin Luther. cc by sa 4.0 int. Material von RoteSchnur.de

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