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Das protestantische Berufsethos. Wert der Arbeit. Erklärendes

Erklärung zu Max Weber "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" Luthers Berufskonzeption.

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Im ganzen Altertum und im christlichen Mittelalter wurde Arbeit (griechisch: Ergon) als die notwendige, aber ungeliebte Mühsal des Lebens verstanden. Manchmal wurde Arbeit sogar als etwas Unwürdiges angesehen, das sich für einen freien Mann nicht ziemt. Arbeit gehörte zu den unteren, verachteten Rängen der Gesellschaft. Auch wenn Mönche im Mittelalter von ihren Klosterregeln zur Arbeit angehalten wurden, war dies nur als eine Demutsübung gemeint, diente also der spirituellen Weiterentwicklung und hatte keinen eigenen Wert. Hinter diesem Verständnis stand die biblische Erzählung von der Vertreibung aus dem Paradies, wo Adam, der Mensch, als Strafe für seinen Ungehorsam die Arbeit zugewiesen bekommt: "verflucht sei der Acker um deinetwillen. Mit Mühsal sollst du dich von ihm ernähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen... Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot verdienen, bis du wieder zu Erde wirst, von der du genommen bist. Denn Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück."

Arbeit wurde als Strafe empfunden, als schlimme Folge der Sünde und als zugehörig zu Vergänglichkeit und Sterblichkeit. Die Folge davon war die traditionalistische Einstellung zur Arbeit: Möglichst nur soviel zu arbeiten, wie zum Lebensunterhalt unbedingt nötig ist. Möglichst wenig zu arbeiten, galt als natürliches und normales Ziel. Es gab zwar auch in der Antike und im Mittelalter Handwerker, die auf ihre Produkte stolz waren, dann bezog sich aber der Stolz und die Bewunderung auf die speziellen Fähigkeiten, Außergewöhnliches hervorzubringen. Nicht die Arbeit selbst wurde gelobt, sondern die Kunstfertigkeit, die sich von der Masse der "normalen" Arbeit abhob. Es gab auch das Lob der guten Hausfrau, die sich im Spinnen, Weben und Nähen anstrengte, um für sich und ihre Angehörigen Kleidung und Decken zu schaffen, aber hier war die gute, vorausschauende Versorgung der Familie insbesondere für den Winter, das zu lobende Element. Es ging bei Arbeit immer um die irdischen Notwendigkeiten und Annehmlichkeiten, nie um etwas religiös Würdevolles.

Etwas ganz anderes war die "Berufung" (latein: Vocatio). Dieser Begriff wurde vorzugsweise für hohe geistliche Ämter gewählt. Zum Bischof konnte einer von Gott und von der Kirche berufen werden. Gottes Berufung spielte eine Rolle, wenn ein Mensch zum Priester, zum König oder Propheten wurde. Von Gott auserwählt zu sein für eine besondere, wichtige, ehrenvolle Aufgabe, dafür wurde das Wort Berufung verwendet.

Diese Unterschiedenheit von Arbeit und Beruf änderte sich mit der Reformation. Der entscheidende Schritt wurde von Martin Luther in seiner Bibelübersetzung vollzogen. Wo im griechischen "Ergon" (Werk, Arbeit, Handwerk) stand, übersetzte er zunächst vereinzelt, dann immer stärker, dies mit "Beruf".

Der Impuls, dem Luther dabei folgte war sein Mitgefühl und seine Leidenschaft für die Mitmenschen, für das Volk, für die kleinen Leute. Er wollte ihnen ihre Würde geben. Für euch ist Christus gestorben, für die Elenden und Armen. Für die Gedemütigten hat Christus sich demütigen lassen, für die Leidenden hat er das Leiden auf sich genommen. Euer Tun ist wichtig vor Gott. Eure Mühe und Arbeit wird von Gott anerkannt.

Der andere Impuls war sein Konflikt mit der religiösen Hierarchie. Die kirchlichen Würdenträger wurden seine Gegner. Diesen Würdenträgern ihr Übermaß an Würde abzunehmen und es stattdessen auf die kleinen Leute zu verteilen, diese "Demokratisierung" der Würde des Menschen vor Gott, ereignete sich besonders folgeträchtig in jener Übersetzungsänderung, bei der die "Berufung" aus dem hochkirchlichen Rahmen herausgenommen und auf die normale, alltägliche Arbeit übertragen wurde. Jeder Mensch ist von Gott "berufen". Der Kardinal sollte sich nicht für wertvoller halten als der Holzhacker. Die gewöhnliche Näherin hat vor Gott genauso viel Würde wie irgendein Bischof, auch der von Rom.

Luther's Entdeckung, dass der Mensch seine Rechtfertigung vor Gott allein aus Gnade erhalte, führt auf ziemlich direktem Wege zur Aufhebung des kirchlichen Heilsvermittlungsapparates und damit der Heiligkeitsgrenzen. Nicht mehr das vom geweihten Priester vollzogene Eucharistie-Opfer gewährt das Heil, sondern jeder Mensch steht höchstselbst vor Gott. Einziger Mittler zwischen Gott und Mensch ist Christus. Theologisch war es der Begriff vom "allgemeinen Priestertum aller Gläubigen", der diese Demokratisierung der Religion ausdrückte. Soziale Folge war die Aufhebung des "geistlichen Standes". Priester, Nonnen, Mönche, Bischöfe hatten keine anderen Weihen mehr als jeder Christenmensch. "Alles was aus der Taufe kroch, hat das Bischofszepter schon im Tornister".

Indem ganz gewöhnliche "Arbeit" als "Beruf" übersetzt wurde, änderte sich in den folgenden Jahrhunderten das Selbstbewusstsein derer, die diese Arbeit leisteten. Jeder Handwerker konnte sich zu seiner Arbeit von Gott erwählt und berufen fühlen. Arbeit war nicht länger nur ein unvermeidliches Übel, ein Job um den Lebensunterhalt zu verdienen, sondern der Beruf wurde zum Daseinsgefühl, zum Identifikationskern, zum Sinn des Lebens. "Ich bin Bäcker", "Ich bin Zimmermann", das wurde dann mit Stolz gesagt und gelebt. Die eigene Arbeit zu machen und gut zu machen, wurde zur religiösen Pflicht und Ehre, weil Gott, dein Schöpfer, dich dazu berufen hat. Mit diesem religiösen Gewicht versehen, erhielt die Arbeit einen eigenen Wert, ganz unabhängig davon, ob sie zum Lebensunterhalt nötig war, auch unabhängig davon, ob sie Spaß machte oder nicht. Diese neue Einstellung zur Arbeit, das "protestantische Berufsethos" wurde eine der Triebfedern für die Jahrhunderte später stattfindende Industrialisierung.

Reformation und Industrialisierung. Blatt 4. Material von RoteSchnur.de





Folien zur Diskussion um die Ursachen der industriellen Revolution

Folien zu den religiösen Ursachen der industriellen Revolution


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