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Küstermann



menue-symbol   Kirche. Reformation und Industrialisierung 
02 Max Weber und Benjamin Franklin »» 03 Max Weber. Das protestantische Berufsethos »» 04 Berufsethos. Wert der Arbeit. Erklärendes »»

Textabschnitte aus: „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ von Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. I, Tübingen (Mohr Siebeck) 1920, ab Seite 63, Luthers Berufskonzeption (Text unter Lizenz cc0)

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Luthers Berufskonzeption führt zum protestantischen Berufsethos

Nun ist unverkennbar, dass schon in dem deutschen Worte »Beruf« ebenso wie in vielleicht noch deutlicherer Weise in dem englischen »calling«, eine religiöse Vorstellung: – die einer von Gott gestellten Aufgabe – wenigstens mitklingt und, je nachdrücklicher wir auf das Wort im konkreten Fall den Ton legen, desto fühlbarer wird. Und verfolgen wir nun das Wort geschichtlich und durch die Kultursprachen hindurch, so zeigt sich zunächst, dass die vorwiegend katholischen Völker für das, was wir »Beruf« (im Sinne von Lebensstellung, umgrenztes Arbeitsgebiet) nennen, einen Ausdruck ähnlicher Färbung ebensowenig kennen wie das klassische Altertum, während es bei allen vorwiegend protestantischen Völkern existiert.

Es zeigt sich ferner, dass nicht irgendeine ethnisch bedingte Eigenart der betreffenden Sprachen, etwa der Ausdruck eines »germanischen Volksgeistes« dabei beteiligt ist, sondern dass das Wort in seinem heutigen Sinn aus den Bibelübersetzungen stammt und zwar aus dem Geist der Übersetzer, nicht aus dem Geist des Originals. Es scheint in der lutherischen Bibelübersetzung zuerst an einer Stelle des Jesus Sirach (11, 20 u. 21) ganz in unserem heutigen Sinn verwendet zu sein. Es hat dann sehr bald in der Profansprache aller protestantischen Völker seine heutige Bedeutung angenommen, während vorher in der profanen Literatur keines derselben irgendein Ansatz zu einem derartigen Wortsinn zu bemerken war und auch in der Predigtliteratur, soviel ersichtlich, nur bei einem der deutschen Mystiker (Tauler), deren Einfluß auf Luther bekannt ist.

Und wie die Wortbedeutung so ist auch – das dürfte im ganzen ja bekannt sein – der Gedanke neu und ein Produkt der Reformation. Nicht als ob gewisse Ansätze zu jener Schätzung der weltlichen Alltagsarbeit, welche in diesem Berufsbegriff vorliegt, nicht schon im Mittelalter, ja selbst im (späthellenistischen) Altertum, vorhanden gewesen wären: – davon wird später zu reden sein. Unbedingt neu war jedenfalls zunächst eins: die Schätzung der Pflichterfüllung innerhalb der weltlichen Berufe als des höchsten Inhaltes, den die sittliche Selbstbetätigung überhaupt annehmen könne. Dies war es, was die Vorstellung von der religiösen Bedeutung der weltlichen Alltagsarbeit zur unvermeidlichen Folge hatte und den Berufsbegriff in diesem Sinn erstmalig erzeugte. Es kommt also in dem Begriff »Beruf« jenes Zentraldogma aller protestantischen Denominationen zum Ausdruck, welches die katholische Unterscheidung der christlichen Sittlichkeitsgebote in »praecepta« und »consilia« verwirft und als das einzige Mittel, Gott wohlgefällig zu leben, nicht eine Ueberbietung der inner-weltlichen Sittlichkeit durch mönchische Askese, sondern ausschließlich die Erfüllung der innerweltlichen Pflichten kennt, wie sie sich aus der Lebensstellung des einzelnen ergeben, die dadurch eben sein »Beruf« wird.

(und dazu in Anmerkung 56:) Vor den lutherischen Bibelübersetzungen kommt, wie die Lexika ergeben und die Herren Kollegen Braune und Hoops mir freundlichst bestätigten, das Wort »Beruf«, holländisch: »beroep«, englisch: »calling«, dänisch: »kald«, schwedisch: »kallelse« in keiner der Sprachen, die es jetzt enthalten, in seinem heutigen weltlich gemeinten Sinn vor. Die mit »Beruf« gleichlautenden mittelhochdeutschen, mittelniederdeutschen und mittelniederländischen Worte bedeuten sämtlich »Ruf« in dessen heutiger deutscher Bedeutung, einschließlich insbesondere auch – in spätmittelalterlicher Zeit – der »Berufung« (= Vokation) eines Kandidaten zu einer geistlichen Pfründe durch den Anstellungsberechtigten – ein Spezialfall, der auch bei den skandinavischen Sprachen in den Wörterbüchern hervorgehoben zu werden pflegt. In dieser letzteren Bedeutung braucht auch Luther das Wort gelegentlich. Allein, mag später diese Spezialverwendung des Wortes seiner Umdeutung ebenfalls zugute gekommen sein, so geht doch die Schöpfung des modernen »Berufs«-Begriffs auch sprachlich auf die Bibelübersetzungen, und zwar die protestantischen, zurück und nur bei Tauler (+ 1361) finden sich später zu erwähnende Ansätze dazu.

Alle Sprachen, welche durch die protestantischen Bibelübersetzungen beherrschend beeinflußt sind, haben das Wort gebildet, alle, bei denen dies nicht der Fall ist (wie die romanischen) nicht oder nicht in der heutigen Bedeutung. – Luther übersetzt zweierlei zunächst ganz verschiedene Begriffe mit »Beruf«. Einmal die paulinische »κλῆσις« im Sinne der Berufung zum ewigen Heil durch Gott. Dahin gehören: 1 Kor. 1, 26; Eph. 1, 18; 4, 1. 4; 2 Thess. 1, 11; Hebr. 3, 1; 2. Petri 1, 10. In allen diesen Fällen handelt es sich um den rein religiösen Begriff jener Berufung, die durch Gott vermittelst des durch den Apostel verkündeten Evangeliums erfolgt ist, und hat der Begriff κλῆσις nicht das Mindeste mit weltlichen »Berufen« im heutigen Sinne zu tun. Die deutschen Bibeln vor Luther schreiben in diesem Fall: »ruffunge« (so sämtliche Inkunabeln der Heidelberger Bibliothek), brauchen auch wohl statt »von Gott geruffet«: »von Gott gefordert«. –Zweitens aber übersetzt er – wie schon früher erwähnt – die in der vorigen Note wiedergegebenen Worte Jesus Sirachs: in der Uebertragung der LXX ἐν τῷ ἔργῳ σου παλαιώθητι und καὶ έμμενε τῷ πόνῳ σου mit: »beharre in deinem Beruf« und »bleibe in deinem Beruf«, statt: bleibe bei deiner Arbeit, und die späteren (autorisierten) katholischen Bibelübersetzungen (z.B. die von Fleischütz, Fulda 1781) haben sich hier (wie in den neutestamentlichen Stellen) ihm einfach angeschlossen. Die lutherische Uebersetzung bei dieser Sirachstelle ist, soviel ich sehe, der erste Fall, in welchem das deutsche Wort »Beruf« ganz in seinem heutigen rein weltlichen Sinn gebraucht wird.