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Küstermann



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... eine provisorische Veranschaulichung dessen ..., was hier mit dem "Geist" des Kapitalismus gemeint ist.

Max Weber: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Zuerst 1904 und 1905, überarbeitet 1920. Hier leicht redigiert aus Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. Band 1, Tübingen 8/1986, ab Seite 30

... wir halten uns zu diesem Behufe an ein Dokument jenes "Geistes", welches das, worauf es hier zunächst ankommt, in nahezu klassischer Reinheit enthält und doch zugleich den Vorteil bietet, von aller direkten Beziehung zum Religiösen losgelöst, also – für unser Thema –- "voraussetzungslos" zu sein:

Benjamin Franklin

"Bedenke, dass die Zeit Geld ist; wer täglich zehn Schillinge durch seine Arbeit erwerben könnte und den halben Tag spazieren geht, oder auf seinem Zimmer faulenzt, der darf, auch wenn er nur sechs Pence für sein Vergnügen ausgibt, nicht dies allein berechnen, er hat nebendem noch fünf Schillinge ausgegeben oder vielmehr weggeworfen.

Bedenke, dass Kredit Geld ist. Lässt jemand sein Geld, nachdem es zahlbar ist, bei mir stehen, so schenkt er mir die Interessen, oder so viel als ich während dieser Zeit damit anfangen kann. Dies beläuft sich auf eine beträchtliche Summe, wenn ein Mann guten und großen Kredit hat und guten Gebrauch davon macht.

Bedenke, dass Geld von einer zeugungskräftigen und fruchtbaren Natur ist. Geld kann Geld erzeugen und die Sprößlinge können noch mehr erzeugen und so fort. Fünf Schillinge umgeschlagen sind sechs, wieder umgetrieben sieben Schilling drei Pence und so fort bis es hundert Pfund Sterling sind. Je mehr davon vorhanden ist, desto mehr erzeugt das Geld beim Umschlag, so dass der Nutzen schneller und immer schneller steigt. Wer ein Mutterschwein tötet, vernichtet dessen ganze Nachkommenschaft bis ins tausendste Glied. Wer ein Fünfschillingstück umbringt, mordet (!) alles, was damit hätte produziert werden können: ganze Kolonnen von Pfunden Sterling.

[Seite 31] Bedenke, dass – nach dem Sprichwort – ein guter Zahler der Herr von jedermanns Beutel ist. Wer dafür bekannt ist, pünktlich zur versprochenen Zeit zu zahlen, der kann zu jeder Zeit alles Geld entlehnen, was seine Freunde gerade nicht brauchen. Dies ist bisweilen von großem Nutzen. Neben Fleiß und Mäßigkeit trägt nichts so sehr dazu bei, einen jungen Mann in der Welt vorwärts zu bringen, als Pünktlichkeit und Gerechtigkeit bei allen seinen Geschäften. Deshalb behalte niemals erborgtes Geld eine Stunde länger als du versprachst, damit nicht der Ärger darüber deines Freundes Börse dir auf immer verschließe.

Die unbedeutendsten Handlungen, die den Kredit eines Mannes beeinflussen, müssen von ihm beachtet werden. Der Schlag deines Hammers, den dein Gläubiger um 5 Uhr morgens oder um 8 Uhr abends vernimmt, stellt ihn auf sechs Monate zufrieden; sieht er dich aber am Billardtisch oder hört er deine Stimme im Wirtshause, wenn du bei der Arbeit sein solltest, so läßt er dich am nächsten Morgen um die Zahlung mahnen, und fordert sein Geld, bevor du es zur Verfügung hast. Außerdem zeigt dies, dass du ein Gedächtnis für deine Schulden hast, es lässt dich als einen ebenso sorgfältigen wie ehrlichen Mann erscheinen und das vermehrt deinen Kredit.

Hüte dich, dass du alles was du besitzest, für dein Eigentum hältst und demgemäß lebst. In diese Täuschung geraten viele Leute, die Kredit haben. Um dies zu verhüten, halte eine genaue Rechnung über deine Ausgaben und dein Einkommen. Machst du dir die Mühe, einmal auf die Einzelheiten zu achten, so hat das folgende gute Wirkung: Du entdeckst, was für wunderbar kleine Ausgaben zu großen Summen anschwellen und du wirst bemerken, was hätte gespart werden können und was in Zukunft gespart werden kann....

Für 6£ jährlich kannst du den Gebrauch von 100£ haben, vorausgesetzt, dass du ein Mann von bekannter Klugheit und Ehrlichkeit bist. Wer täglich einen Groschen nutzlos ausgibt, gibt an 6£ jährlich nutzlos aus, und das ist der Preis für den Gebrauch von 100£. Wer täglich einen Teil seiner Zeit zum Werte eines Groschen verschwendet (und das mögen nur ein paar Minuten sein), verliert, einen Tag in den andern gerechnet, das Vorrecht 100£ jährlich zu gebrauchen. Wer nutzlos Zeit im Wert von 5 Schillingen vergeudet, verliert 5 Schillinge und könnte ebensogut 5 Schillinge ins Meer werfen. Wer 5 Schillinge verliert, verliert nicht nur die Summe, sondern alles, was damit bei Verwendung im Gewerbe hätte verdient werden können, – was, wenn ein junger Mann ein höheres Alter erreicht, zu einer ganz bedeutenden Summe aufläuft."

Es ist Benjamin Franklin 1 , der in diesen Sätzen – den gleichen, die Ferdinand Kürnberger in seinem geist- und gift- sprühenden "amerikanischen Kulturbilde" 2 als angebliches [Seite 32] Glaubensbekenntnis des Yankeetums verhöhnt – zu uns predigt. Dass es "Geist des Kapitalismus" ist, der aus ihm in charakteristischer Weise redet, wird niemand bezweifeln, so wenig etwa behauptet werden soll, dass nun alles, was man unter diesem "Geist" verstehen kann, darin enthalten sei. Verweilen wir noch etwas bei dieser Stelle, deren Lebensweisheit Kürnbergers "Amerikamüder" dahin zusammenfasst: "Aus Rindern macht man Talg, aus Menschen Geld", so fällt als das Eigentümliche in dieser "Philosophie des Geizes" das Ideal des kreditwürdigen Ehrenmannes und vor allem: der Gedanke der Verpflichtung des einzelnen gegenüber dem als Selbstzweck vorausgesetzten Interesse an der Vergrößerung seines Kapitals auf. In der Tat: dass hier nicht einfach Lebenstechnik, sondern eine eigentümliche "Ethik" gepredigt wird, deren Verletzung nicht nur als Torheit, sondern als eine Art von Pflichtvergessenheit behandelt wird: dies vor Allem gehört zum Wesen der Sache. Es ist nicht nur "Geschäftsklugheit", was da gelehrt wird – dergleichen findet sich auch sonst oft genug: – es ist ein Ethos, welches sich äußert, und in eben dieser Qualität interessiert es uns.

Wenn Jakob Fugger einem Geschäftskollegen, der sich zur Ruhe gesetzt hat und ihm zuredet, das gleiche zu tun, da er nun doch genug gewonnen habe und andere auch gewinnen lassen solle, dies als "Kleinmut" verweist und antwortet: "er (Fugger) hätte viel einen andern Sinn, wollte gewinnen dieweil er könnte", so unterscheidet sich der "Geist" dieser Äußerung offensichtlich von Franklin: was dort als Ausfluss kaufmännischen Wagemuts und einer persönlichen, sittlich indifferenten, Neigung geäußert wird, nimmt hier den Charakter einer ethisch gefärbten Maxime der Lebensführung an. In diesem spezifischen[Seite 33] Sinne wird hier der Begriff "Geist des Kapitalismus" gebraucht. Natürlich: des modernen Kapitalismus. Denn dass hier nur von diesem westeuropäisch-amerikanischem Kapitalismus die Rede ist, versteht sich angesichts der Fragestellung von selbst. "Kapitalismus" hat es in China, Indien, Babylon, in der Antike und im Mittelalter gegeben. Aber eben jenes eigentümliche Ethos fehlte ihm, wie wir sehen werden. Allerdings sind nun alle moralischen Vorhaltungen Franklins utilitarisch gewendet: die Ehrlichkeit ist nützlich, weil sie Kredit bringt, die Pünktlichkeit, der Fleiß, die Mäßigkeit ebenso, und deshalb sind sie Tugenden: – woraus u.a. folgen würde, dass, wo z.B. der Schein der Ehrlichkeit den gleichen Dienst tut, dieser genügen und ein unnötiges Surplus an dieser Tugend als unproduktive Verschwendung in den Augen Franklins verwerflich erscheinen müsste. Und in der Tat: wer in seiner Selbstbiographie die Erzählung von seiner "Bekehrung" zu jenen Tugenden oder vollends die Ausführungen über den Nutzen, den die strikte Aufrechterhaltung des Scheines der Bescheidenheit, des geflissentlichen Zurückstellens der eigenen Verdienste für die Erreichung allgemeiner Anerkennung habe,[Seite 34] liest, muss notwendig zu dem Schluss kommen, dass nach Franklin jene wie alle Tugenden auch nur soweit Tugenden sind, als sie in concreto dem einzelnen nützlich sind und das Surrogat des bloßen Scheins überall da genügt, wo es den gleichen Dienst leistet: – eine für den strikten Utilitarismus in der Tat unentrinnbare Konsequenz.

Das, was Deutsche an den Tugenden des Amerikanismus als "Heuchelei" zu empfinden gewohnt sind, scheint hier in flagranti zu ertappen. – Allein so einfach liegen die Dinge in Wahrheit keineswegs. Nicht nur Benjamin Franklins eigener Charakter, wie er gerade in der immerhin seltenen Ehrlichkeit seiner Selbstbiographie zutage tritt, und der Umstand, dass er die Tatsache selbst, dass ihm die "Nützlichkeit" der Tugend aufgegangen sei, auf eine Offenbarung Gottes zurückführt, der ihn dadurch zur Tugend bestimmen wollte, zeigen, dass hier doch noch etwas anderes als eine Verbrämung rein egozentrischer Maximen vorliegt. Sondern vor allem ist das "summum bonum" dieser "Ethik": der Erwerb von Geld und immer mehr Geld, unter strengster Vermeidung alles unbefangenen Genießens, so gänzlich aller eudämonistischen oder gar hedonistischen Gesichtspunkte entkleidet, so rein als Selbstzweck gedacht, dass es als etwas gegenüber dem "Glück" oder dem "Nutzen" des einzelnen Individuums jedenfalls gänzlich Transzendentes und schlechthin Irrationales erscheint.

Der Mensch ist auf das [Seite 35] Erwerben als Zweck seines Lebens, nicht mehr das Erwerben auf den Menschen als Mittel zum Zweck der Befriedigung seiner materiellen Lebensbedürfnisse bezogen. Diese für das unbefangene Empfinden schlechthin sinnlose Umkehrung des, wie wir sagen würden, "natürlichen" Sachverhalts ist nun ganz offenbar ebenso unbedingt ein Leitmotiv des Kapitalismus, wie sie dem von seinem Hauche nicht berührten Menschen fremd ist. Aber sie enthält zugleich eine Empfindungsreihe, welche sich mit gewissen religiösen Vorstellungen eng berührt. Fragt man nämlich: warum denn "aus Menschen Geld gemacht" werden soll, so antwortet Benjamin Franklin, obwohl selbst konfessionell farbloser Deist, in seiner Autobiographie darauf mit einem Bibelspruch, den, wie er sagt, sein streng calvinistischer Vater ihm in der Jugend immer wieder eingeprägt habe: "Siehst du einen Mann rüstig in seinem Beruf, so soll er vor Königen stehen" 3 . Der Gelderwerb ist – sofern er in legaler Weise erfolgt – innerhalb der modernen Wirtschaftsordnung das Resultat und der Ausdruck der Tüchtigkeit im Beruf und diese Tüchtigkeit ist, wie nun unschwer zu erkennen ist, das wirkliche A und O der Moral Franklins, wie sie in der zitierten Stelle ebenso wie in allen seinen Schriften ohne Ausnahme uns entgegentritt.

1 Max Weber zitiert Benjamin Franklin aus: Der Schlußpassus aus: Necessary hints to those that would berich (geschrieben 1736), das übrige aus: Advice to a young tradesman (1748), Works ed. Sparks Vol. II p. 87.

2 Ferdinand Kürnberger "Der Amerikamüde" (Frankfurt 1855), seine etwas freie Uebersetzung der Franklinschen Traktate wurde von Max Weber nach dem Original korrigiert.

3 Die Bibel, Sprüche Salomonis cap. 22 v. 29. Luther übersetzt: "in seinem Geschäft", die älteren englischen Bibelübersetzungen "business"

Bild: Benjamin Franklin auf einer 100-Dollar-Note, fotografiert von Sahand Hoseini

Reformation und Industrialisierung Blatt 2. Max Weber und Benjamin Franklin, Text gemeinfrei. Material von RoteSchnur.de