Bild: Leuchtende Feder. Der beste aller Pfadfinder in den Tiefen der Seele. Gimpage HKüstermann aus Foto von MHalberstadt und Federn von Mato-Tope. Lizenz: cc-by-nd Weiterverwendung kostenlos aber nur unverändert und mit Quellenangabe: Harald Küstermann
Der Begriff Übertragung kann hilfreich sein, als Beschreibung für:
Jedes Gefühl hat Geschichte, jedes Verhalten ist eine Reaktivierung der bisherigen Erfahrungen, der Gefühlsapparat entwickelt sich an der neuen Situation weiter. "Zickzack" von Gefühl und Ereignis.
Verhaltensweisen deren Sinn "verrückt" ist. Wenn etwas verdrängt wurde, hängen Gefühle in der Vergangenheit fest, können sich nicht weiterentwickeln. Das Verhalten hätte seinen Sinn in einer alten Situation, wirkt in der aktuellen aber "verrückt".
Der/die Patient*in überträgt seine/ihre bisherige Liebesfähigkeit, auch die neurotischen Teile auf die/den Therapeut*in. Das ist quasi direktes Anschaungsmaterial zur Analyse. Aber die neurotischen Teile wollen nicht analysiert werden, sondern sich ausagieren. Die Analyse arbeitet gegen den Verdrängungswiderstand an. Problematisch ist die Gegenübertragung, wenn also die Gefühle der/des Therapeut*in ebenfalls sich ausagieren, anstatt in Analyse umgesetzt zu werden. Deshalb braucht der/die Therapeut*in parallel ebenfalls psychoanalytische Behandlung, um seine eigenen, neu auftauchenden Verdrängungen zu lösen.
Die folgenden Zitate befassen sich mit dieser dritten Art von Übertragung, also mit dem Kräftespiel in der psychoanalytischen Behandlung.
„Machen wir uns klar, dass jeder Mensch durch das Zusammenwirken von mitgebrachten Anlagen und von Einwirkungen auf ihn während seiner Kinderjahre eine bestimmte Eigenart erworben hat, wie er das Liebesleben ausübt, also welche Liebesbedingungen er stellt, welche Triebe er dabei befriedigt, und welche Ziele er sich setzt. Das ergibt ein Klischee (oder auch mehrere)[Erklärung: Klischee im Sinne von Muster], welches im Laufe des Lebens regelmäßig wiederholt, neu abgedruckt wird, insoweit die äußeren Umstände und die Natur der zugänglichen Liebesobjekte es gestatten, welches gewiss auch gegen rezente Eindrücke nicht völlig unveränderlich ist. Unsere Erfahrungen haben nun ergeben, dass von diesen das Liebesleben bestimmenden Regungen nur ein Anteil die volle psychische Entwicklung durchgemacht hat; dieser Anteil ist der Realität zugewendet, steht der bewussten Persönlichkeit zur Verfügung und macht ein Stück von ihr aus. Ein anderer Teil dieser libidinösen Regungen ist in der Entwicklung aufgehalten worden, er ist von der bewussten Persönlichkeit wie von der Realität abgehalten, durfte sich entweder nur in der Phantasie ausbreiten oder ist gänzlich im Unbewußten verblieben, so dass er dem Bewusstsein der Persönlichkeit unbekannt ist. Wessen Liebesbedürftigkeit nun von der Realität nicht restlos befriedigt wird, der muss sich mit libidinösen Erwartungsvorstellungen jeder neu auftretenden Person zuwenden, und es ist durchaus wahrscheinlich, dass beide Portionen seiner Libido, die bewusstseinsfähige wie die unbewusste, an dieser Einstellung Anteil hat.“ (365)
„Es ist also völlig normal und verständlich, wenn die erwartungsvoll bereitgehaltene Libidobesetzung der teilweise Unbefriedigten sich auch der Person des Arztes zuwendet. Unserer Voraussetzung gemäß wird sich diese Besetzung an Vorbilder halten, an eines der Klischees anknüpfen, die bei der betreffenden Person vorhanden sind oder, wie wir auch sagen können, sie wird den Arzt in eine der psychischen „Reihen“ einfügen, die der Leidende bisher gebildet hat. Es entspricht den realen Beziehungen zum Arzte, wenn für diese Einreihung die Vater-Imago (nach Jungs glücklichem Ausdruck) maßgebend wird. Aber die Übertragung ist an dieses Vorbild nicht gebunden, sie kann auch nach der Mutter- oder Bruder- Imago usw. erfolgen.“ (365-366)
Die Übertragung auf den Arzt wird durch die bewussten und unbewussten Erwartungen hergestellt. Die Übertragung ist bei neurotischen Personen in der Analyse viel intensiver, was nicht der Analyse sondern der Neurose zuzuschreiben ist. Die Übertragung tritt bei der Analyse als der stärkste Widerstand auf: Wenn die freien Assoziationen versagen, „jedesmal die Stockung beseitigt werden kann durch die Versicherung, er stehe jetzt unter der Herrschaft eines Einfalles, der sich mit der Person des Arztes oder mit etwas zu ihm Gehörigen beschäftigt.“ (366)
„Es scheint auf den ersten Blick ein riesiger methodischer Nachteil der Psychoanalyse zu sein, dass sich in ihr die Übertragung, sonst der mächtigste Hebel des Erfolgs, in das stärkste Mittel des Widerstandes verwandelt.“ (366-367)
Bei jeder Neurose findet sich eine Introversion (nach Jung) der Libido, d.h. der Anteil der bewusstseinsfähigen, der Realität zugewendeten Libido wird geringer, der unbewußte vermehrt. Die Libido hat sich in die Regression begeben und die infantilen Imagines werden wiederbelebt, wohin ihr die Kur folgt, um die Libido wieder bewusstseinsfähig und der Realität dienstbar zu machen. "Wo die analytische Forschung auf die in ihre Verstecke zurückgezogene Libido stößt, muss ein Kampf ausbrechen; alle Kräfte, welche die Regression der Libido verursacht haben, werden sich als „Widerstände“ gegen die Arbeit erheben, um diesen neuen Zustand zu konservieren. Wenn nämlich die Introversion oder Regression der Libido nicht durch eine bestimmte Relation zur Außenwelt […] berechtigt […] gewesen wäre, hätte sie überhaupt nicht zustande kommen können." (368)
"Die der Persönlichkeit verfügbare Libido hatte immer unter der Anziehung der unbewußten Komplexe […] gestanden und war in die Regression geraten, weil die Anziehung der Realität nachgelassen hatte. Um sie frei zu machen, muss nun diese Anziehung des Unbewußten überwunden, also die seither in dem Individuum konstituierte Verdrängung der unbewußten Triebe und ihrer Produktionen aufgehoben werden. Dies ergibt den bei weitem großartigeren Anteil des Widerstandes, der ja so häufig die Krankheit fortbestehen läßt, auch wenn die Abwendung von der Realität die zeitweise Begründung wieder verloren hat." (368)
Beide Widerstände begleiten die Behandlung auf Schritt und Tritt, „jeder einzelne Einfall, jeder Akt des Behandelten muss dem Widerstande Rechnung tragen, stellt sich als ein Kompromiss aus den zur Genesung zielenden Kräften und den angeführten, ihr widerstrebenden, dar.“ (369)
Verfolgt man einen pathogenen Komplex von seinen bewussten Seiten zu seinen unbewußten Wurzeln, macht sich bald Widerstand bemerkbar und der nächste Einfall ist ein Kompromiss zwischen Widerstand und Forschungsarbeit. Hier tritt die Übertragung ein und wenn sich etwas aus dem Komplex eignet, auf den Arzt übertragen zu werden, stellt sich diese Übertragung her und der nächste Einfall kündigt sich als Stockung an. Von allen Einfallsmöglichkeiten dringt dieser Einfall ins Bewusstsein, weil er auch dem Widerstand Rechnung trägt. Nach Überwindung des Übertragungswiderstandes machen die anderen Anteile des Komplexes keine Schwierigkeiten mehr. Je länger die Kur dauert und der Kranke die Vergeblichkeit der Entstellung des pathogenen Materials erkannt hat, desto konsequenter bedient er sich der Entstellung durch Übertragung. Schließlich werden alle Konflikte auf dem Gebiet der Übertragung ausgefochten. So erscheint die Übertragung in der Analyse als die stärkste Waffe des Widerstandes, Intensität und Ausdauer der Übertragung sind Ausdruck der Wirkung dieses Widerstandes. Die Übertragung ist auf Libido zurückzuführen, die im Besitze infantiler Imagines geblieben ist, diese Beziehung muss in der Analyse aufgeklärt werden. Die Übertragung eignet sich deshalb so zum Mittel des Widerstandes, weil das Geständnis einer verpönten Regung besonders erschwert ist, wenn man es vor der Person ablegt, die Ziel der Regung ist - also eine ganz unmögliche Situation. Andererseits könnte man auch denken, dass dies im Falle des Arztes auch erleichtert sein: Dir kann ich alles sagen. Aber die Verwendung der Übertragung zum Widerstand versteht man nicht, wenn man an Übertragung schlechtweg denkt. „Man muss sich entschließen, eine „positive“ Übertragung von einer „negativen“ zu sondern, die Übertragung zärtlicher von der feindseliger Art, und beide Arten der Übertragung auf den Arzt gesondert behandeln.“ (371)
„Ursprünglich haben wir nur ein Sexualobjekt gekannt; die Psychoanalyse zeigt uns, dass die bloß geschätzten oder verehrten Personen unserer Realität für das Unbewußte in uns immer noch Sexualobjekte sein können.“ (371)
„Die Lösung des Rätsels ist also, dass die Übertragung auf den Arzt sich nur insofern zum Widerstande in der Kur eignet, als sie negative Übertragung oder positive von verdrängten erotischen Regungen ist. Wenn wir durch Bewusstmachen die Übertragung „aufheben“, so lösen wir nur diese beiden Komponenten des Gefühlsaktes von der Person des Arztes ab; die andere bewusstseinsfähige und unanstößige Komponente bleibt bestehen und ist in der Psychoanalyse genau ebenso die Trägerin des Erfolges wie bei anderen Behandlungsmethoden. Insofern gestehen wir gerne zu, die Resultate der Psychoanalyse beruhten auf Suggestion; nur muss man unter Suggestion das verstehen, was wir mit Ferenczi darin finden: die Beeinflussung eines Menschen vermittels der bei ihm möglichen Übertragungsphänomene. Für die endliche Selbständigkeit des Kranken sorgen wir, indem wir die Suggestion dazu benützen, ihn eine psychische Arbeit vollziehen zu lassen, die eine dauernde Verbesserung seiner psychischen Situation zur Folge hat.“ (371-372)
Freud Texte leicht redigiert, sonst zitiert nach: https://www.psyalpha.net/de/themen/behandlungstechnik/freud-technische-schriften/sigmund-freud-1912b-dynamik-uebertragung (teilweise mit den dortigen Paraphrasierungen und Kommentaren)