Titelschrift

Küstermann



menue-symbol  1 Ebenbild Gottes - 2 Ebenbild Gottes - 3 Ebenbild Gottes - 4 Frühgeburt - 5 Ich - 6 simul iustus et peccator - 7 Sigmund - 8 Freud - 9 Weiteres Material -


Worterklärung: ZLM in hebraeischen Buchstaben (Zäläm)

hebräisch für: Bildsäule, Abbild, Herrscherbild, Ebenbild, Imago

In altorientalischen Reichen ließen die jeweiligen Herrscher in den beherrschten Gebieten Statuen oder Säulen aufstellen mit einem Abbild ihrer selbst und oft auch mit der Inschrift der von ihnen erlassenen Gesetze oder mit einem Lobgesang auf ihre Ruhmestaten, ihre gewonnen Schlachten, ihre Eroberungsfeldzüge. Diese Säulen fungierten als Herrschafts-Signal. Das Volk sollte ständig vor Augen haben "wer hier der Chef ist". In gewisser Weise waren solche Säulen auch kleine Tempel, da an ihnen dem Herrscher gehuldigt, ihm sogar Opfer dargebracht wurden. Später übernahmen die Römer diesen orientalischen Brauch, dass auch vor den Statuen des vergöttlichten Kaisers geopfert wurde. Die Verweigerung des Opfers oder gar der Umsturz der Säule waren Zeichen der Loyalitätsverweigerung und des Aufstandes gegen den jeweiligen auf der Säule abgebildeten Herrscher. Der Kaiser war zusagen das "Original", das Zentrum der Herrschaft, die Bildsäulen waren sein "verlängerter Arm" in dem durchaus praktischen Sinne, dass er körperlich nicht überall sein konnte, also seine Ebenbilder stellvertretend für ihn in allen Teilen des Reiches seine Herrschaft zum Ausdruck brachten. Überall wo das Ebenbild des Herrschers stand, bedeutete dies z.B.: "Hier regiert Kaiser Augustus, hier gelten die Gesetze des römischen Reiches".

Stele des Hamurapi

Der Kaiser zeigt seine Herrschaft: Die Säule ist das "Ebenbild" (ZLM in hebraeischen Buchstaben) des Kaisers

Im biblischen Schöpfungsbericht wird der Begriff Zäläm auf das Verhältnis zwischen Gott und Mensch übertragen. Der Mensch als Ebenbild Gottes soll zeigen, "wer hier der Chef ist", nämlich Gott. Jeder Mensch ist ein Repräsentant Gottes, ein Symbol seiner Gegenwart. Überall, wo ein Mensch steht, ist dies das sichtbare Zeichen, das der ganzen Umgebung kund gibt: "Hier regiert Gott". Wo ein Mensch gestürzt wird, verachtet wird, mit Füßen getreten wird, ist dies ein Angriff auf Gott, eine Verletzung von Gottes Ehre.

Gott zeigt seine Herrschaft: Der Mensch ist das "Ebenbild" (ZLM in hebraeischen Buchstaben) Gottes

Die biblische Rede vom Menschen als "Ebenbild Gottes" wurde so zur Quelle der Menschenwürde. Wer den Menschen angreift, erniedrigt, zu Boden wirft, hat damit den Allmächtigen angegriffen. Wer den Menschen schützt und ehrt, drückt damit seinen Respekt vor Gott aus und lässt Gottes Herrschaft gelten. Wenn jede menschliche Gestalt als "Ebenbild Gottes" gesehen wird, dann relativiert das die Ebenbilder der Könige. Die Ehrfurcht vor irdischen Herrschern wird dahin übertragen wohin sie gehört. Und die Ehrfurcht vor deren Herrschaftszeichen soll sich verwandeln in Ehrfurcht vor jedem Menschen. Schau Dir Deine Mitmenschen an! Jede menschliche Gestalt bringt durch ihre bloße Anwesenheit zum Ausdruck: Hier ist Gott. Das Reich Gottes ist mitten unter Euch.

Sinn und Würde des Menschen

Der biblische Schöpfungsbericht interessiert sich mehr für den Sinn und die Würde menschlichen Lebens als für Abstammungsfragen. Die Diskussionen zwischen Kreationisten und Evolutionisten lenken ab vom eigentlichen Hauptpunkt der Schöpfungstheologie. Der biblische Text übernimmt unbefangen das zu seiner Zeit modernste Weltbild, nämlich die Siebener-Struktur von Himmel und Erde, abgeleitet aus den sieben sichtbaren Gestirnen. Nicht Weltbildfragen sind es, an denen die Bibel Streit anfinge mit der vorherrschenden babylonischen Lehre, sondern die Frage nach der Menschenwürde ist der Explosivstoff, mit dem der biblische Text einen neuen Diskurs eröffnet.

Foto: Stele des Herrschers Hamurapi I, Babylonien, Version Teheran, oben der Herrscher auf seinem Thron als Gesetzgeber, darunter der Codex Hamurapi als Inschrift (ccby 2.0 generic by 31731-Tehran on flickr, Ausschnitt)

Bild ganz unten: Deckplan des Sklaventransportschiffes Marie Séraphique.