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Teil 3 / Geschlechtsspezifische Körpersprache nach Marianne Wex /  Dieser Artikel wurde veröffentlicht am 2020mrz08

Geschlechtsspezifische Körpersprache und das Matriarchat in Ägypten

Die Beobachtungen von Marianne Wex zur geschlechtsspezifischen Körpersprache zeigen, wie diese sich geschichtlich verändert hat. Die bei modernen Menschen üblichen Kennzeichen des Geschlechts in der Sitzhaltung - Männer breitbeinig - Frauen Knie zusammen - fehlen bei alt-ägyptischen Skulpturen völlig. Und dann gibt es da außerdem eine seltsame Art, wie ägyptische Paare am häufigsten dargestellt werden.

Beginnen wir mit den sitzenden Paaren.

Schauen Sie auf den Knie-Abstand beim Mann und bei der Frau!

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Herr Sennefer, Bürgermeister von Theben mit Ehefrau Sentnay und Tochter Mutnefert, in der Zeit der 18.Dynastie, jetzt im Ägyptischen Museum Kairo, Photo Djehouty, Lizenz cc-by-sa

modernes Paar

Modernes Paar mit moderner Sitzhaltung, Photo von Brandon Hoogenboom @unsplash.com

aegyptisches Paar

Altägyptisches Paar, altägyptische Sitzhaltung, 14. Jahrhundert v.Chr., jetzt im Louvre, Photo Rama, Lizenz cc-by-sa

modernes Paar

Modernes Paar mit moderner Sitzhaltung, Photo von Peggy Anke @unsplash.com

aegyptisches Paar

Altägyptisches Paar und Sohn, altägyptische Sitzhaltung, zwischen 2620 und 2500 v.Chr., Photo Rama, Lizenz cc-by-sa

modernes Paar

Modernes Paar mit moderner Sitzhaltung, Photo von Kelly Sikkema @unsplash.com

aegyptisches Paar

Herr Neferhebef mit Gattin und Sohn, altägyptische Sitzhaltung, zwischen 1550 und 1295 v.Chr., Photo Rama, Lizenz cc-by-sa

modernes Paar

Modernes Paar mit moderner Sitzhaltung, Photo von Ben White @unsplash.com

Oliver Hardy und Stan Laurel, lachende Breitbeinigkeit und weinende Hilflosigkeit

Oliver Hardy und Stan Laurel, lachende Breitbeinigkeit und weinende Hilflosigkeit, sind das die modernen Zeiten?

Frauen und Männer sitzen gleich!

Jeder Mensch hat das selbe Recht, Raum in Anspruch zu nehmen, zumindest im alten Ägypten, nicht aber in modernen Zeiten. Die hier wiedergegebenen Darstellungen ägyptischer Paare stammen teils aus der Zeit des Neuen Reiches, meist aus der 18. Dynastie, einige aber auch aus dem Alten Reich, 4. bis 6. Dynastie. Schauen Sie auf die einheitliche Stellung von Knie und Fußpitzen. Da ist kein Unterschied von Mann und Frau. Beide Geschlechter halten ihre Knie etwa gleich breit auseinander und die Füße parallel. Trotz aller politischen Wechselhaftigkeiten vom Alten bis zum Neuen Reich bleibt es dieselbe Kultur, zumindest dasselbe Verhältnis der Geschlechter, sofern es an der Sitzhaltung abgelesen werden kann. Vergleichen Sie diese ägyptische Haltung mit den modernen Sitzhaltungen. Die Unterschiede sind frappierend. Und es sind keine speziell ausgewählten Darstellungen, die nur zufälligerweise in das System von Marianne Wex passen, sondern diese andere Art des Paarverhältnisses im alten Ägypten ist durchgängiger Standard über mehrere Jahrtausende. Als kleinen Überblick kann man die Wikimedia Kategorie "Ancient Egyptian statues of sitting couples" verwenden. Damit wird sozusagen eine "Mini-Statistik" geliefert, die den Eindruck der Einzelphotos bestätigt.

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Sitzende Paare im alten Ägypten. Die Wikimedia Kategorie "Ancient Egyptian statues of sitting couples" als augenfällige Ministatistik

Die Hieroglyphe für vornehm

Marianne Wex vermerkt richtig, dass das Sitzen im alten Ägypten wie auch in anderen alten Kulturen wohl eher als ein "Thronen" verstanden werden muss. Das normale, das alltägliche Sitzen findet eher auf Matten oder dem Erdboden statt. Alle vom Boden abgehobenen Sitzmöbel - Stühle, Hocker, Sessel - sind bereits eine Erhöhung ins Würdevolle. Die Hieroglyphe für das Wort "vornehm" besteht aus einem erhöht sitzenden Menschen. Die relativ enge Sitzhaltung beider Geschlechter könnte interpretiert werden als ein Sich-Zusammennehmen. Die Thronenden fügen sich diszipliniert ein in das System von Würde und Rollenzuweisung. Gerade auch Personen aus den oberen Rängen der Gesellschaft, zum Beispiel der Pharao, sitzen mit relativ enger Beinhaltung, voller Würde. Das mag auch anstrengend sein, aber es ist nicht männlich und nicht weiblich. Die Sitzhaltung ist meistens nicht so eng wie bei Frauen des 19. und 20. nachchristlichen Jahrhunderts, aber auch nicht ganz locker und lässig. Da wird keine breitbeinige Dominanz über andere ausgedrückt, sondern Erhaltung der Ordnung. Es wurde im alten Ägypten wohl nicht unterschieden zwischen der kosmischen Weltordnung und der gesellschaftlichen Ordnung. Die Selbstdisziplinierung beim würdevollen Sitzen ist Ausdruck für die Teilhabe an der Aufrechterhaltung der Weltordnung. Alle Thronenden beiderlei Geschlechts sind Würdenträgerinnen und Würdenträger. Sie übernehmen Verantwortung. Das geht jetzt über die Ausführungen von Marianne Wex hinaus, aber es erklärt vielleicht die Haltung der Ägypterinnen und Ägypter. Wichtig ist für unsere Frage, dass die Platzbeanspruchung beider Geschlechter gleich ist. Kein Geschlecht ist verpflichtet zur breitbeinigen Demonstration von Dominanz. Und kein Geschlecht ist verpflichtet zur engen, unterwürfigen Selbst-Verniedlichung. Kein Geschlecht muss sich schmal machen, keines macht sich breit. Sitzen und Thronen sind im alten Ägypten keine geschlechtsspezifischen Tätigkeiten, sondern ein gemeinsames Aufrechterhalten der geschlechtsübergreifenden Gesamtordnung. Das Selbstgefühl im jeweiligen Geschlecht ist deutlich anders als in der modernen Welt.

Was aber Marianne Wex bei ihren ägyptischen Photos durchaus erkennt und anvisiert, ist dann doch weibliche Macht. Und wo sie diese Machtverhältnisse anhand der Körpersprache analysiert, ist sie sehr präzise und sehr aufschlussreich. Es ist keine Umkehrung von unserer männlich-weiblich Körpersprache, aber manche Körperhaltungen im alten Ägypten gehen über bloße Gleichberechtigung der Geschlechter weit hinaus. Das ist eine wichtige Korrektur an den verharmlosenden Ansichten, im alten Ägypten herrsche nahezu Gleichberechtigung der Geschlechter. Die alten Texte kann man sich so vielleicht zurecht interpretieren, die alten Statuen sprechen dagegen. Dazu zeigt Wex die stehenden, bzw. leicht voranschreitenden Paare, bei denen jeweils die Frau den Mann führt. Das klassische Beispiel ist die Statuengruppe von Priester Tjenti ca. 2400 v.Chr., der sich brav wie ein Kind von seiner Ehegattin an der Hand führen lässt.

Leider scheint das ägyptische Museum Berlin davon keine Abbildung unter Creativ-Commons-Lizenz zu bieten. Ähnliche Photos von händchenhaltenden Paar-Statuen zeigt Marianne Wex aus dem Museum Kairo (auch ca. 2400 v.Chr.) und dem Museum Turin (ca. 1400 v.Chr.). Auch von diesen finde ich leider keine Wiedergaben im freien, öffentlichen Kulturraum, sprich Creativ-Commons. Nehmen wir mal an, ich sei zu ungeschickt im Suchen. Es muss reichen, sich die an der Hand Führenden und Geführten vorzustellen. Bei allen genannten Paaren hat offensichtlich die Frau die Führungsposition, ihre Hand ist eindeutig vorne. Marianne Wex fand zu ihrer Zeit keine altägyptischen Paare, bei denen der Mann geführt hätte. Dieser hundertprozentige Befund muss inzwischen ein bisschen korrigiert werden, es gibt einzelne Figurengruppen, zum Beispiel von Echnaton und Nofretete, in denen die führende Hand die des Mannes ist, aber meistens liegt Führungsrolle bei der Frau.

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Das Ausnahme-Paar Echnaton und Nofretete. Sie lässt sich von ihm führen. Photo von Jean-Pierre Dalbéra, Lizenz cc-by-2.0

Ein besitzanzeigender Griff

Noch interessanter als das An-der-Hand-Führen sind die besitzanzeigenden Griffe und Gesten, mit denen Ägypterinnen ihre jeweiligen Männer dem Publikum präsentieren. Die Frau umgreift mit einem Arm den Mann von hinten und legt ihre Hand auf seine Schulter, oder auf seinen Oberarm oder in seine Taille. Mit ihrer anderen Hand greift sie ihn am näherliegenden Arm. Das ist die seltsame Standardgeste mit der Paare am häufigsten gezeigt werden. "Sie präsentiert ihn", ist die wohl passendste verbale Umschreibung für diese Geste.

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Figurenpaar aus Sakkara oder Bashur, Altes Reich, 5. Dynastie, ca. 2400 v.Chr., aus Kalkstein

Foto einer altaegyptischen Paar-Statue

Sie stärkt ihn, Altes Reich, 5. Dynastie, zwischen 2494 und 2345 v.Chr., jetzt im Nelson Atkins Museum of Art, Photo Daderot

Foto einer altaegyptischen Paar-Statue

Pepi-Anch gestärkt von seiner Frau, 6. Dynastie, aus Meir (Mair), jetzt im Museum von Mallawi, Photo Roland Unger, Liz.cc-by-sa

Foto einer altaegyptischen Paar-Statue

Sie stärkt ihn, altägyptische Figur gefunden in Giseh, jetzt im National Museum in Alexandria, Photo von Gerard Ducher, Liz.cc-by-sa

Foto einer altaegyptischen Paar-Statue

Frau Tentwadj stärkt ihren Mann Amenhotep-user, Photo von Miguel Hermoso Cuesta, Liz.cc-by-sa

Foto einer altaegyptischen Paar-Statue

Sie stärkt ihn, Kopie einer Bestattungsstatue, Original aus dem Alten Reich, 5. Dynastie, 2477 v.Chr., Photo von Sailko, Liz.cc-by-sa

Foto eines Statuen-Paares

Sie stärkt ihn, Statuengruppe der Pepi, Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim, Photo von Dguendel, Liz.cc-by

Foto einer Statuen-Gruppe Paar

Frau Khenetemsetju stärkt ihren Mann Nefu, Altes Reich, 5. Dynastie, zwischen 2455 und 2350 v.Chr., Photo von Marcus Cyron, Liz.cc-by-sa

Foto eines Statuen-Paares

Frau Chamerernebti II stärkt ihren Mann, Pharao Menkaura, 4. Dynastie, zwischen 2548 und 2530 v.Chr., Photo von Alex Feldstein, Liz.cc-by-sa

Was bedeutet diese Geste?

Eine ähnliche Geste des von hinten Fassens gibt es im Verhältnis vom Pharao und seiner Schutzgottheit, wobei aber dieses Präsentieren nicht aus dem Nebeneinanderstehen erfolgt, sondern die Präsentierende steht hinter dem Präsentierten. Dies wird in der Ägyptologie als Schutz- und Unterstützungsgeste beschrieben. Schutzgottheiten stehen so hinter ihren Schützlingen, umgreifen und stärken sie von hinten. "Jemandem den Rücken stärken" wäre die wörtliche Übersetzung der ägyptischen Geste in die deutsche Sprache. Bei den hintereinander Stehenden ist die dahinter stehende Person in der Regel eine Gottheit und die vornestehende Person ist ein Mensch. Der Schützling bekommt Stärkung und Bevollmächtigung. Durch die göttliche Rückenstärkung wird der Mensch als im Auftrag der Gottheit handelnd dargestellt.

Bei der Standard-Paar-Darstellung steht die Frau nicht hinter, sondern neben ihrem Gatten, aber die Armhaltung übernimmt doch sehr weitgehend die Aussage: "Ich, Frau, stehe hinter diesem Mann, er handelt in meinem Auftrag und mit meiner Unterstützung". Die Frau als Schützerin ist aber auch in gewisser Weise dominant für ihren Schützling. Ihre Geste zeigt eine Art Besitzerinnen-Stolz. Es ist dieses Verhältnis von Schützerin zum Schützling, in dem Ehefrauen ihre Männer vorführen. So könnte in unserer Kultur wohl kaum eine Frau ihren Mann präsentieren, wohl aber ein Elternteil sein Kind vorstellen.

Bei umgekehrter Geschlechterverteilung, der Mann als "ihr Beschützer", die Frau als "sein Besitz", konnten in den 70er Jahren manche Männer mit dieser Geste ihre Geliebte als ihr "Püppchen" präsentieren. Beispiele gibt es in der Photosammlung von Marianne Wex (S.182), aber diese Männer wirken damit schon ziemlich machohaft. Nach heutigen Standards würde man zumindest eine leichte Verärgerung bei der vorgeführten Frau erwarten. Eine selbstbewusste Partnerin würde sich Platz verschaffen und mit einer energischen Bewegung ihrer Ellenbogen den Besitzergriff des Mannes abschütteln.

In Ägypten sind es die Frauen, die so "besitzergreifend" mit ihren Männern umgehen. Die Ladies präsentieren ihre Prachtburschen dem Publikum: "Guckt mal, das ist meiner! Ist er nicht süß?" Sie müsste ihm als nächste Bewegung noch den Kopf tätscheln, um die Szene zu vervollständigen: "Braver Bubi! Jetzt darfst du wieder spielen gehen". Aber nein! So bevormundend haben die Ägypterinnen das bestimmt nicht gemeint. Dieses Präsentieren des Mannes im Griff der Frau ist wie gesagt die wohl häufigste Art der Paardarstellung im alten Ägypten, zumindest im Alten Reich. Es ist also das Allernormalste im Verhältnis der Geschlechter. Die altägyptischen Männer lassen es sich nicht nur gefallen, sondern fühlen sich anscheinend auch noch wohl als "Präsentierobjekt". Seine Frau ist stolz auf ihn, das freut ihn doch. Ich überzeichne ein bisschen mit meiner Interpretation. Marianne Wex geht mit diesen besitzanzeigenden Griffen zurückhaltender um, aber sie bringt diese körpersprachliche Analyse sehr wohl zusammen mit Texten, die meiner Überzeichnung den Rücken stärken.

Auf Seite 224 ihres Buches zitiert sie einen ägyptischen Ehevertrag, in dem der Ehemann erklärt: "Ich erkenne deine Rechte als Frau an; von diesem Tage werde ich niemals durch ein Wort mich deinen Ansprüchen entgegenstellen. Ich werde dich vor jedem als meine Frau anerkennen, aber ich habe keine Macht zu dir zu sagen "Du bist meine Frau". Ich bin es, der der Mann ist, der dein Gatte ist. Von dem Tage an, an dem ich dein Gatte werde, kann ich keine Einwendungen erheben wohin immer es dir gefällt zu gehen. Ich trete an dich ab... (es folgt eine Liste von Besitztümern)... in deiner Wohnung. Ich habe keine Macht, mich in eine Transaktion, die du machst, einzumischen. Jedes Dokument, das zu meinen Gunsten ausgestellt wird, durch wen auch immer, wird nun unter deine Dokumente eingereiht."

Marianne Wex beruft sich bei diesem Zitat auf Josephine Scheiers Werk "Göttinnen" aus dem Jahre 1978. Und sie erweckt dann mit Zitaten von Diodor und von Bertha Eckstein-Diener den Eindruck, als bestünden alle altägyptischen Eheverträge in der vollständigen Unterwerfung des Mannes unter den Willen der Frau.

Wex, ebenfalls Seite 224: "Der griechische Geschichtsschreiber Diodor (1. Jhdt. v.u.Z.) schrieb: "Unter den Bürgern ist der Gatte nach dem Ehevertrag das Eigentum der Frau, und es wird zwischen ihnen festgesetzt, daß der Mann der Frau in allen Dingen gehorchen soll".

Und als Zitat aus "Mütter und Amazonen" (1922 n.Chr.) von Bertha Eckstein-Diener: "Heute, da drei- bis vierhundert Ehekontrakte aus verschiedenen Zeiten vorliegen, ist Diodors Angabe nicht nur bestätigt, sondern weitaus überboten. Er hat hier eher unter- als übertrieben."

Die Werke von Josephine Schreier und Bertha Eckstein-Diener wurden in den letzten Jahrzehnten in der Frauen-Forschung deutlich kritisiert. Die Zitate von Diodor und Herodot sind schon lange von Historikern relativiert, wahrscheinlich zu weitgehend relativiert. Marianne Wex ist aber so wichtig, dass auch ihre teilweise hinfällig gewordenen Quellen noch einmal aufgezeigt werden müssen. Anstatt auf die vorhandene Literatur zu verweisen, will ich das in aller Kürze selber machen, hoffentlich ohne damit zu langweilen.

Kritik an der Interpretation der altägyptischen Eheverträge

Bei den meisten Eheverträgen wird der Frau im Scheidungsfall ein Drittel des Besitzes zugesichert, aber eben nicht der gesamte. Die von Eckstein-Diener und auch schon von Diodor als totale Unterwerfung des Mannes interpretierte Klausel, bedeutete wohl eher die Respektierung der Geschäftsfähigkeit der Ehefrau durch den Ehemann und dies wird erst in der Spätzeit notwendig, als die ausländischen Einflüsse die ägyptische Normalität in Frage stellen. Bei Griechen und Römern standen die Frauen unter der Vormundschaft zunächst ihres Vaters, dann ihres Ehemannes. Auf dieses Niveau will sich eine Ägypterin nicht herabsetzen lassen.

Eckstein-Diener hat die ägyptischen Dokumente nicht sehr ernsthaft gelesen. In einem ägyptischen Ehevertrag (Urkunde 11 Papyrus Kairo 31177 aus "ägyptische Eheverträge" Bd1 1960 bei Erich Lüddeckens) heißt es zum Beispiel (die Wortfolge des Ägyptischen wird nachgeahmt): "Den Kindern, die du gebären wirst mir, gehört alles was mir gehört und das was ich erwerben werde im Feld und der Stadt und an Haus und Grundstück, indem ich nicht soll können geben es einem anderen Kinde außer den Kindern welche du gebären wirst mir." Bertha Eckstein-Diener interpretiert solche Klauseln so, dass der Mann gar nicht selber etwas vererben könne, weil er sowieso seinen gesamten Besitz der Frau überantwortet habe und es außerdem in Ägypten nur weibliche Erbfolge gäbe. Darin sieht sie auch den Grund für die häufige Geschwisterehe: Nur wenn der ägyptische Mann seine Schwester heirate, hätte er Chancen, dass seine eigenen Kinder (mit der Schwester) in den Genuss seines Erbes kämen. Vor lauter Begeisterung über die weibliche Aneignung aller Besitztümer, gerät ihr da die Logik durcheinander. Was weibliche Erbfolge bedeutet, lassen wir jetzt mal beiseite. Bleiben wir bei dieser Ehevertragsklausel. Wenn sowieso aller Besitz automatisch der Ehefrau und ihren Kindern zukäme, wäre diese Klausel überflüssig und würde nicht extra in die Verträge geschrieben. Diese Vertragsklausel ist richtiger so zu verstehen, dass sie die gemeinsamen Kinder der Ehe zu Alleinerben erhebt. Damit wird in Erwägung gezogen, dass der Mann noch andere Kinder mit anderen Frauen haben könnte, die aber mithilfe des Ehevertrags vom Erbrecht ausgeschlossen werden sollen. Solche Konkurrenz zwischen mehreren Frauen und ihren Kindern scheint Eckstein-Diener nicht in den Sinn zu kommen. Mit "Frau" meint sie nur sich selber und mit Frauenrechten nur ihre eigenen. Die Ägypterinnen samt ihren Juristen sind da realistischer als diese Frau des 20. Jahrhunderts in Europa und sie kämpfen an einer anderen Front um ihre Rechte. Oder?

Die von Lüddeckens zitierten Eheverträge zeigen auch, dass die meisten Ehen patrilokal waren, also die Frau ins Haus des Mannes zog. Lüddeckens schreibt Seite 272: "Der Terminus technicus für die vom Manne herbeigeführte Scheidung ist sonst durchweg 'entlassen', für die von der Frau gewünschte Scheidung 'gehen'." (Die von Lüddeckens benutzten Umschriften der ägyptischen Ausdrücke krieg ich hier nicht hin). Andersherum ist es bei den matrilokalen Ehen, da ist es die Frau, die bei Scheidung den Mann "entlässt" oder der Mann der "geht". Dabei kehren sich dann auch die Verpflichtungen um: Die Frau verpflichtet sich im Ehevertrag dem Mann bestimmte Anteile des gemeinsamen Besitzes mitzugeben. Lüddeckens vermerkt, dass die ältesten Eheverträge fast nur aus solchen Absicherungen für den Scheidungsfall bestehen, was bedeuten könnte, dass dies ursprünglich der einzige Zweck von Eheverträgen im alten Ägypten war.

Die Einsetzung der Frau als Hausherrin ist besonders interessant, wo der Mann ihr ausdrücklich die vollen Verfügungsrechte gibt "... über allen meinen vierbeinigen und zweibeinigen Besitz...". Die Ehefrau wird wohl kaum Sorge gehabt haben, dass ein Schaf oder Rind ihr die Hausherrinnen-Rolle streitig machen könnte. Es geht also mehr um den zweibeinigen Besitz des Mannes. Die Frau möchte ihre eigene Autorität über die Sklaven und Sklavinnen des Mannes sicherstellen. Diese sollen ihr gegenüber genauso zum Gehorsam verpflichtet sein, wie ihm gegenüber, deshalb werden sie auf derselben Ebene genannt wie die Haustiere. Nur das ist der Sinn der Formulierung vom "zweibeinigen und vierbeinigen" Besitz.

Es gibt also andere Übersetzungen, andere Auszüge und andere Interpretationen der ägyptischen Eheverträge, als die von Eckstein-Diener verwendeten, aber zumindest soviel ist richtig: Die Frau ist bei den meisten altägyptischen Eheverträgen die Nutznieserin. Der Mann übernimmt sehr weitgehende finanzielle und erbrechtliche Verpflichtungen. Die Frau bekommt seine rechtsverbindliche Zusicherungen auf Unterhaltszahlungen und auf Eigentumsansprüche, besonders auch für den Fall einer späteren Scheidung. Und die Frau bekommt einen hohen Status als Hausherrin, wohl auch in deutlicher Abgrenzung zu anderen Mitgliedern des Haushaltes, zu Verwandten und zu Sklavinnen. Auch die eigenständige, uneingeschränkte Geschäftsfähigkeit der Ehefrau wird in den Eheverträgen zugesichert.

Für die indoeuropäischen Nachbarvölker war dieser Status der ägyptischen Frau skandalös. Das Befremden über die Macht der Ägypterinnen quillt den griechischen und römischen Schreibern sichtlich aus allen Knopflöchern, auch wenn diese Macht nicht ganz so total war, wie Josephine Schreier und Bertha Eckstein-Diener es gerne gehabt hätten.

Während Marianne Wex in der Beurteilung von Körpersprache sehr genau und sorgfältig arbeitet, scheinen ihr beim Umgang mit Texten Kritikfähigkeit und Ausgewogenheit aus der Hand zu fallen. Sie nimmt einfach nur die extremsten Versionen feministischer Geschichtsschreibung als bare Münze. Vielleicht meint sie mit solcher Einseitigkeit die umgekehrte, gegen Frauen gerichtete Einseitigkeit mancher Wissenschaft auszugleichen. Vielleicht ist es auch ihr Zorn gegen das den Frauen oft widerfahrende Unrecht, der ihr eine genauere Sicht verstellt. Ich weiß es nicht. Bei all meiner Begeisterung für die Arbeit von Marianne Wex mit Photos und Statuen, ist mir ihr Umgang mit Texten manchmal ein Rätsel, auch wenn da nicht mein Haupteinwand liegt.

Das alte Ägypten war ein Matriarchat

Trotz mancher Relativierung ist die Macht der Frauen im alten Ägypten eindrucksvoll belegt. Viele der Texte sowohl in Ägypten als auch aus dem Ausland sprechen deutlich von dieser Macht. Noch deutlicher zeigt die Körpersprache der Statuen und Bilder, dass die Lebensverhältnisse und Gefühlswelten der Geschlechter im alten Ägypten erstaunlich anders waren, nicht nur anders als bei Griechen und Römern, sondern auch anders als in unseren modernen Zeiten. Herodot schreibt im 5. Jahrhundert vor Christus, in Ägypten sei alles verkehrt herum, die Männer würden im Sitzen pinkeln und die Frauen im Stehen. Und Sophokles, etwa zur selben Zeit, verspottet die ägyptischen Männer als "Weiberknechte am Nil". Das alte Ägypten war ein Matriarchat! Fast könnte man meinen, ich wäre damit auf der Seite von Marianne Wex. Alle Ägypten-Fans, sofern sie gerne männlich sein wollen, dürfen jetzt protestieren: "Die Pharaonen waren doch Männer". Und das ist mir ein willkommener Einwand und eine interessante Ergänzung zum Verständnis des altägyptischen Matriarchats.

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Geschlechtsspezifische Körpersprache und die Männlichkeit der Pharaonen


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