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Küstermann




Inkarnation menue-symbol  - 1.0 Bedeutungstableaux - 1.1 Aufgaben - 1.2 bei Irenäus - 1.3 Ismael Ivo. Are we human are we dancer


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Foto Tanztheater, unten ein schwarzer Taenzer reckt beide Arme in die Hoehe, oben ein wei&szliger Kopf, scheinbar schwebend, herabblickend

Foto von Gert Weigelt : Ismael Ivo tanzt Francis Bacon, Nr. 7 Erhöhung. Copyright beim Fotografen. Herzlichen Dank für die freundliche Genehmigung.

Inkarnation. Ismael Ivo tanzt Francis Bacon

ARE WE HUMAN? ARE WE DANCER?*

*Songtitel von The Killers

Sie kennen dieses Bild in anderer Form: Der weisse Kopf oben müsste eine Taube sein und der nackte Mann unten müsste ganz ruhig im Wasser des Jordan stehen. Daneben wäre dann der Platz des Täufers in seinem Kamelhaarkleid. So wurde das Bild tausendfach in der christlichen Malerei gestaltet, und die Stimme vom Himmel würde sagen: "Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen." Hier sieht das ganz anders aus. Der weisse Kopf guckt fragend und prüfend auf den nackten Menschen da unten. Der Täufer fehlt ganz und der Nackte reckt geradezu gierig seine Hände nach oben, als wollte er die himmlische Offenbarung packen und sich einverleiben.

Es ist eine Szene aus dem Tanztheater "Francis Bacon". Wenn ich mich recht erinnere ist der weisse Kopf da oben Johann Kresnik, der schwarze Nackte da unten aber ist auf jeden Fall der brasilianische Tänzer Ismael Ivo. Nicht die Taufszene aus dem Evangelium wird hier gespielt, sondern es geht um die brutalen, blutigen, verzweifelten Bilder des irischen Künstlers Francis Bacon. Menschliche Körper verdreht, vermanscht, zerstückelt hatte Francis Bacon gemalt, als würde ein Wahnsinniger im Fleisch nach der Seele suchen und nach dem Sinn des Lebens, ohne irgendetwas in dieser Richtung zu finden. 1992 war Francis Bacon gestorben, 1993 wurde das Tanztheater von Johann Kresnik und Ismael Ivo das erste Mal aufgeführt und inzwischen mehrfach "reenacted", zuletzt im Herbst 2016. Das Stück scheint in seiner überwältigenden Kraft unausschöpflich und über weite Strecken ist es tatsächlich die Übersetzung der Gemälde mit all ihrer Verzweiflung und Sinnlosigkeit ins Medium des Tanzes. Seine eigentliche Kraft aber zieht dieser Tanz nicht aus dem puren Nachspielen, sondern aus der mitfühlenden Kritik des brasilianischen Tänzers an der Hoffnungslosigkeit des europäischen Künstlers. Ismael Ivo wühlt auch im Fleisch, meistens in seinem eigenen, aber nicht mit dem Schlachtermesser sondern mit der sanften und viel schärferen Empfindung des Tänzers. Und er tanzt nicht auf dem toten Boden des europäischen Materialismus, wie Bacon, sondern hinter Ivo eröffnet sich ein weites Feld der afrobrasilianischen Traditionen. Da ist jede Menge Geist im Fleisch und beide können gar nicht ohne einander, das wäre der Tod. Beide sind gierig auf einander und das ist Leben und Sterben in dauernder Verschlingung.

Geist möchte Fleisch werden, möchte inkarnieren, möchte geboren werden, zur Welt gebracht werden. Und das Fleisch sucht nach der Krone, nach der Erhöhung, nach der Extase. Wo Francis Bacon nichts findet in verzweifelter Suche, weiß Ismael Ivo kaum sich zu retten vor all den Findungen im tobenden Dschungel zwischen Geist und Materie. Der Dschungel heißt Fleisch.

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