Titelschrift

Küstermann




menue-symbol   Jesus   Gruppen  - 2. Die Pharisäer - - 3.1 Die Sadduzäer - - 3.2 Die Essener - - 3.3 Die Zeloten -

Schriftzug Jesus vor goldenem Kreis

Religiöse Gruppen zur Zeit Jesu

Die Essener

Zu den Essenern gibt es drei Arten von Quellen:
1. Die in den antiken Texten beschriebenen Essener (A)
2. Die in den Höhlen von Qumran gefundenen Schriftrollen (C)
3. Der Befund der archäologischen Ausgrabungsstätte (Siedlung) "Qumran" (E).

Aufgabe: Vergleiche die drei Komplexe miteinander. Ziehe sachlich seriöse Vergleiche, anstatt dem Zeitgeist hinterher zu laufen. Welche Art von Zeitgeist ist Deine "Versuchung"?(B).

A: Die Berichte der Antike

Von den Essenern (Auf Griechisch Essaioi oder Essenoi, auf Lateinisch Essei oder Esseni) gibt es ein paar Beschreibungen bei antiken Autoren des ersten Jahrhunderts nach Christus.

Philo von Alexandrien schreibt es gäbe 4000 Essäer in "Syrien": Sie lebten in Dörfern und mieden Städte, hätten weder Geld noch Großgrundbesitz, weder Schiffe noch Sklaven, stellten keine Waffen her, betrieben keinen Großhandel.

Der römische Historiker Plinius der Ältere berichtet von Esseni, die am Toten Meer nahe der  Oase En Gedi als zölibatäre Gruppe und ohne Geld gelebt hätten. 

Am ausführlichsten berichtet Flavius Josephus von dieser Gruppe, er nennt die Essener wiederholt als dritte große jüdische "Partei" neben Pharisäern und Sadduzäern. Er schreibt in De bello Judaico (2, 119–161): Sie betrieben Philosophie, "liebten einander" mehr als alle übrigen jüdischen Gruppen, lebten asketisch, lehnten Umgang mit Frauen (Sexualität) ab, lehnten Öl (also luxuriöse Kosmetik, Salbung) ab, trugen weiße Kleider, übereigneten beim Eintritt ihren ganzen Besitz der Gruppe, ein dazu Gewählter verwalte den Gemeinbesitz, sie bewohnten keine besondere Stadt, sondern bildeten in jeder Stadt Gruppen, nähmen Waffen nur auf Reisen zum Schutz vor Räubern mit, beteten vor Sonnenaufgang, äßen nach Tischgebeten mittags und abends gemeinsam, betätigten sich als Heiler, lehnten das Schwören ab (außer ihrem Eid beim Eintritt in die Gemeinschaft: "Ungerechte zu hassen und gemeinsam mit den Gerechten zu kämpfen"), müssten ein Noviziat ableisten, würden bei Regelverstößen ausgeschlossen, befolgten den Sabbat streng, vergruben ihre Exkremente, seien bereit, für die Tora zu sterben (Märtyrer), glaubten an die Unsterblichkeit der Seelen (zur Erlösung oder zur ewigen Strafe). An anderer Stelle (18,11.18-22) ergänzte er: Sie brächten keine Opfer dar, schlossen keine Ehen, besäßen keine Sklaven, trieben Ackerbau, hätten Priester als Verwalter. Die variierenden Bezeichnungen könnten vom aramäischen Hasin und dem hebräischen Äquivalent  Hasidim (Fromme) abgeleitet werden, das würde die Essener in Beziehung setzen zu der aus anderen Jahrhunderten bekannten Gruppe der Chassidim.

In den Evangelien werden die Essener nicht genannt. Umso mehr blühten die Spekulationen ob Jesus vielleicht selber ein Mitglied dieser „Geheimgesellschaft“ gewesen sein könnte. Und Johannes der Täufer gleich mit. Anhaltspunkt dafür ist nämlich die Taufe. Bei den Essenern spielten Wasserrituale anscheinend eine größere Rolle.

Die Frage, welchen Einfluss die Essener auf die Jesus-Bewegung hatten, bleibt wichtig und spannend, trotz der Gefahren, die sich unten im "Fantasy"-Abschnitt zeigen. Im großen Drama der Umstellung von der Kult-Religion auf die Buch-Religion ist die Rolle der Essener vieldeutig. Und mit ihren iranischen Einflüssen haben die Essener ein internationales Element, das für das nächste große Drama der Religionsgeschichte wichtig gewesen sein könnte. Das nächste große Drama war der Wechsel von den nationalen Religionen zur Internationalität. Und da geht es direkt um die Rolle des Christentums.

B: Die Essener als Vorlage für die Fantasy-Literatur des 19. Jahrhunderts

Die Essener wurden in populärer fiktionaler und esoterischer Literatur oft herangezogen, um neutestamentliche Angaben zu Jesus spekulativ zu ergänzen, umzudeuten und durch ein anderes Jesusbild zu ersetzen. Dies betrifft zum einen Jesu Herkunft, um ihn als nichtjüdisch darzustellen, dabei spielten natürlich rassistische Motive eine Rolle. Im 19. Jahrhundert war Rassismus en vogue. Zum anderen ging es um seine Kreuzigung, die als Scheintod erwiesen werden sollte. Aber anders als im Islam war nicht Jesu Tod das Anstößige, sondern seine Auferstehung. Vermeintlich aufklärerische oder gar naturwissenschaftliche Umdeutung der Auferstehungsbotschaft galt ebenfalls als modern.

Johann Georg Wachter (1673–1759) stellte 1713 als erster die These auf, Jesus sei ein Zögling der „Essäer“ gewesen.  Karl Heinrich Georg Venturini (1768–1849) vertrat ab 1800 im Rahmen der damaligen rationalistischen  Versuche, die Wunder und die Auferstehung Jesu auf natürliche Weise zu erklären, folgende Theorie: Die Essener seien ein besonders heilkundiger jüdischer Geheimbund gewesen. Jesus sei bei ihnen aufgewachsen und in seiner Jugend von ihnen zum Heiler ausgebildet worden. Mit ihrer überlegenen Heilkunst habe er die scheinbaren Wunder vollbracht und die Kreuzigung überlebt.  Diese Theorie wird auch von der muslimischen Ahmadiyya-Lehre vertreten. Danach sei Jesus in seinem Grab genesen und anschließend nach Kaschmir ausgewandert, um die verlorenen Stämme Israels zu suchen. Nach seinem Tod im Alter von 120 Jahren sei er dann unter dem Namen Yuz Asaf im  Roza Bal in Srinagar begraben worden.

1849 erschien in Leipzig ein Buch ohne Autorenangabe mit dem Titel:  "Wichtige historische Enthüllungen über die wirkliche Todesart Jesu. Nach einem alten, in Alexandrien gefundenen Manuskripte von einem Zeitgenossen Jesu aus dem heiligen Orden der Essäer". (Sorry, der Titel ist wirklich so lang.) Mit dem Inhalt, Jesus sei arischer Herkunft gewesen. Er sei bei der Kreuzigung in ein  Koma gefallen und später durch die medizinischen Künste von zwei Essäern – Joseph von Arimathäa und Nikodemus – heimlich wiederbelebt worden. Allerdings sei er sechs Monate später an den Folgen der Folter gestorben. Das Buch erfuhr in zwei Jahren sieben Auflagen und ging in viele Folgeschriften dieser Art ein. Als Autor wird der Medizinprofessor Philipp Friedrich Hermann Klencke (1813–1881) vermutet, der als Plagiator bekannt war und weitere Bücher über die Essäer verfasst hatte.

1867 veröffentlichte Friedrich Clemens Gierke unter dem Pseudonym Friedrich Clemens ein „Urevangelium der Essäer“, das er ebenfalls als sensationellen Fund ausgab. Darin behauptet ein Ich-Erzähler genaue Detailkenntnisse der Kreuzigung Jesu: Er selbst habe die Heilmittel geholt, mit denen sie Jesu Leben gerettet hätten. Das Buch wurde schon 1868 als auf dem Essäerbuch von 1849 beruhende Fälschung erwiesen. Die Theorie wurde gleichwohl immer wieder aufgegriffen und variiert, so mit der bekannten These „Jesus in Indien“. Sie diente auch einigen Vorläufern der „Deutschen Christen“ dazu, einen „arischen Jesus“ zu behaupten.

Die "Deutschen Christen" war die Selbstbezeichnung der Nazi-Partei in den innerkirchlichen Auseinandersetzungen während des dritten Reiches. Die antinazistische Gegenpartei war die Bekennende Kirche. Diese fantasy-artigen Spekulationen um die Person Jesu sind also keineswegs harmlos, sondern trugen dazu bei, romantische Gemüter in die Fänge der Nazi-Ideologie zu treiben.


Das zerklüftete Gebiet der Höhlen von Qumran. Foto von A. Sobkowski, cc-by-sa 3.0

C: Die Schriftrollen aus den Höhlen von Qumran

Die Schriftrollen vom Toten Meer ("Qumranschriften") wurden zwischen 1947 und 1956 in elf Felshöhlen nahe der Ruinenstätte Khirbet Qumran im Westjordanland entdeckt. Sie umfassen rund 15.000 Fragmente von etwa 850 Rollen aus dem antiken Judentum, die zwischen 250 v. Chr. und 40 n. Chr. geschrieben wurden. Darunter sind etwa 200 Texte des späteren Tanach (im Christentum als Altes Testament bezeichnet), somit die bislang ältesten bekannten Bibelhandschriften. Später wurden noch weitere antike Schriftrollen in Höhlen nahe dem Westufer des Toten Meeres gefunden. Die elf Höhlen wurden nach der Reihenfolge ihrer Entdeckung nummeriert.

Das Benennungssystem für die Schriftrollen

Die Qumranschriften werden nach folgendem Benennungssytem sortiert: Die erste Ziffer entspricht der Höhle (1 bis 11), dann kommt das Q für Qumran, dann die Nummer der Schriftrolle und die Nummer des Fragments. 4Q123 45 VI 7–9 ist also Text Nr. 123 aus Höhle 4, davon Fragment 45, Kolumne (Spalte) 6, die Zeilen 7–9. Dazu gibt es weitere Bezeichnungen zu Inhalt und Sprache, die als Buchstaben entweder hinter dem Q oder am Schluss eingefügt werden.

Der archäologische Befund

Alle in den Höhlen bei Qumran entdeckten Schriften entstanden vor der Zerstörung der nahen Siedlung 68 n.Chr., dies wird von archäologischen, sprachlichen und inhaltlichen Indizien bestätigt: Alle Tonkrüge und Tonscherben aus den Höhlen waren gleichartig und stammten aus hellenistischer und römischer Zeit. Leder-, Papyrus- und Stoffreste aus den Höhlen ließen sich mit gängigen archäologischen Methoden in den Zeitraum 250 v.Chr. bis 70 n.Chr. datieren. Die meisten davon stammen aus 100 v.Chr. bis 30 n.Chr., ein kleinerer Teil entstand zwischen 200 und 100 v.Chr., einige wenige noch früher. Vergleiche von Schriftstilen, Abkürzungen und Ausdrücken mit den Methoden der Paläographie und die historischen Bezüge in den Texten selbst erlaubten, viele Fragmente recht sicher in diese Zeitspanne einzuordnen. Chemische Analysen von Giuseppe Pappalardo ergaben, dass das Pergament der Rollen mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Region selbst hergestellt wurde.

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Bild: Qumranschrift "4Q162". Fragment einer Buchrolle mit einem Text aus dem Propheten Jesaja aus Höhle 4., jetzt im Jordanischen Museum in Amman, Foto von Osama Shukir Muhammed Amin FRCP(Glasg), cc-by-sa

Neben den aus biblischen Zusammenhängen bekannten Schriften gibt es einige Schriftrollen mit auffälligem Inhalt:

Die Gemeinderegel

Die Gemeinderegel 1QS (das "S" kommt von der früheren Bezeichnung dieser Schriftrolle als "Sektenregel") wird als Grunddokument einer vermuteten Qumrangemeinschaft betrachtet. In ihr findet sich ein starker Dualismus zwischen Gut und Böse, Licht und Finsternis. Die gute Seite wird repräsentiert durch Gott, die böse durch Belial, beide mit ihren jeweiligen Truppen (Engel und Dämonen). Entsprechend sind auf Erden die Menschen eingeteilt in geistige und moralische "Kinder" entweder des Guten oder des Bösen. Jeder Mensch kann nur "Kind des Lichts" oder "Kind der Finsternis" sein.  Tertium non datur (Ein Drittes gibt es nicht). Es sind strenge Regeln für die Gemeinschaft in 1QS niedergelegt. Diese Lebensregeln sind zum Teil rituell, was den Tages- und Jahresablauf angeht, sehr wichtig ist aber auch die Moral, die die Anhänger auszeichnen muss. Wer den Idealen nicht genügt, wird ausgeschlossen. Auch hier taucht wieder das hierokratische Element auf, die Leitung durch Priester und Leviten. Wenn 1QS wirklich das Selbstverständnis dieser Gemeinschaft zeigt, dann ist es ein moralisches Elitebewusstsein.

Damaskusschrift

Die Damaskusschrift ist ein Brief, der schon als Abschrift aus der Geniza* einer Kairoer Synagoge bekannt war. Er wird deshalb in der Forschung "Cairo Damascus Document" genannt (abgekürzt CD statt der ordentlichen Benennung: 4QD). Der Inhalt spricht von Israel als dem Volk, das in die Irre geht, aber von einem Neuanfang, den Gott mit seinem auserwählten Rest beginnt. Die Regeln für diesen heiligen Rest werden durch eine Verschärfung der Gebotsauslegung geprägt. Die beiden Fundorte zeigen, dass die Qumran-Leute nicht völlig losgelöst von der übrigen jüdischen Kultur lebten, sondern zumindest schriftlich Kontakte hatten.
*Geniza ist eine Abstellkammer für ausgediente Dinge, die zu heilig sind, um sie einfach wegzuwerfen

Die Hymnenrolle

Die Hymnenrolle (1QH) ist eine Sammlung von Gebeten und Liedern ähnlich den Psalmen. Darin geht es um Schmerz und Trauer sowie um Sieg und Freude. Es gibt noch diverse Stücke und Fragmente aus Höhle 4, die den Liederschatz erweitern.

Kriegsrolle

Die Kriegsrolle (1QM) handelt – neben weiteren Schriften, auch aus Höhle 4 – vom Krieg zwischen den Kindern des Lichts und den Kindern der Finsternis in der Endzeit. Schlachtordnungen werden aufgestellt, Feldzeichen aufgerichtet und dergleichen. In dieses apokalyptischen Szenario werden massiv rituelle Perspektiven eingebaut: Priester und Leviten als Anführer der einzelnen Abteilungen, ein Messias als oberster Feldherr, symbolische Zahlen und rituelle oder an die Bibel erinnernde Vorgehensweisen.

Aufgabe: Es war eine jüdische Gruppe, aber welche inhaltlichen Elemente der Qumranschriften sprechen für einen starken persischen Traditionsstrom bei der Qumran-Gemeinschaft? Denkt an das Schachspiel und sammelt Indizien.

D: Die Messias-Hoffnung in den Schriften von Qumran

Manche der Schriften erwarten "zwei Ölsöhne" (zwei Gesalbte). Dies könnte eine Kritik an der damaligen hasmonäischen* Personalunion von Priester und König sein und/oder es zeigt sich darin eine Abgrenzung von kriegerischer und priesterlicher Rolle. Wenn aber der Krieg als "Heiliger Krieg" gedacht wird, und die Reinigungsriten als Vorbereitung auf den Endkampf von Gut und Böse, dann wäre diese Zweiteilung wieder fraglich. 1QSa ordnet den Gesalbten (den künftigen Herrscher der Juden) dem Hohenpriester unter. Neben dem oder den Gesalbten spielt ein "Lehrer der Gerechtigkeit" in den Schriften eine wichtige Rolle, den Gott zur Führung seiner Gemeinschaft gesandt habe. Diesem Lehrer der Gerechtigkeit kommen in den Beschreibungen quasi messianische Eigenschaften zu. Der "Lehrer der Gerechtigkeit" spreche "Worte aus dem Mund Gottes", und ihm sei die "Summe aller Mysterien der Propheten" kundgetan worden. Alle, die auf ihn hörten, würden aus dem Endgericht errettet. *Hasmonäer: die in Jerusalem regierende Dynastie von Priesterkönigen, Nachfahren des Priesters Matatias, dessen Söhne den jüdischen Befreiungskrieg in der Seleukidenzeit anführten.

Verschiedene Autoren versuchten, Personen aus dem Neuen Testament mit Figuren aus den Qumran-Schriften gleichzusetzen (z.B. Johannes der Täufer als "Lehrer der Gerechtigkeit").  Die Damaskusschrift (CD) wurde benutzt, um "Damaskus" als Symbolnamen für Qumran zu deuten, so dass Paulus nach Qumran gereist sei und auf dem Weg dorthin sein Damaskuserlebnis (Apg 9,1ff) gehabt hätte. Bei diesen spekulativen Gleichsetzungen wird meist übersehen, dass die Qumran-Schriften etwa 100 Jahre vor den neutestamentlichen Ereignissen geschrieben worden waren.

E: Die Ausgrabungsstätte der antiken Siedlung Khirbet Qumran

Khirbet Qumran (arabisch Ḫirbat Qumrān ‚die graue Ruine‘), meist nur Qumran oder Kumran genannt, heißt eine antike, in Ruinen erhaltene Siedlung auf einer flachen Mergel-Terrasse nahe dem Nordwestufer des Toten Meeres. Der Ort war seit etwa 800 v.Chr. zeitweise besiedelt. Die jüngste Siedlung wurde 68 n.Chr. im Zuge des jüdischen Aufstands gegen die Römer (66–70) von deren Legio X Fretensis zerstört. Seit den Funden der Schriftrollen vom Toten Meer  in elf Felshöhlen der näheren Umgebung (Funde und Ausgrabungen in den Jahren 1947 bis 1956) wurden die Ruinen von 1951 bis 1958 vollständig freigelegt. Dabei und danach wurden vor allem Münzen, Keramiken, verschiedene Werkzeuge und Alltagsgegenstände sowie überwiegend männliche, aber auch einige weibliche und kindliche Skelette gefunden. Die Deutung der Funde ist sehr umstritten, aber ihr Zusammenhang mit den Schriftrollen aus den in der Nähe liegenden Höhlen ist anzunehmen.

Foto Mikwe Qumran
Bild: Mikwe, ein rituelles Bad mit getrennten Treppen zum Zugang und zum Verlassen. Ausgrabungsstätte der Siedlung Kirbet Qumran. Foto von Berthold Werner

Ein System von Wassergräben, Zisternen und Tauchbecken durchzog die Siedlung. Ein kleines  Aquädukt sollte wohl Schmelz- und Regenwasser auffangen und in Bewässerungskanäle leiten. Eine größere Halle (22×4,5 m) hatte ein Tauchbecken vor dem Eingang: Dies wurde als Ritualbad vor Betreten des Raumes gedeutet.

Verschiedene Gräberfelder wurden ausgegraben. Das Hauptfeld bei der Siedlung wies etwa 1000 Einzelgräber auf, in denen nur männliche Skelette gefunden wurden. In drei anderen, kleineren Grabfeldern wurden etwa gleich viel männliche und weibliche Skelette gefunden. Familiengräber fehlen. Etwa 10 Prozent aller Bestatteten hatten Knochenbrüche (vom Kampftraining?). Alle bis 1998 entdeckten Gräber sind einheitlich in einem 23-Grad-Winkel nach Nord-Nordost ausgerichtet, die Schädel der Bestatteten lagen am südlichen Grabende mit Blickrichtung nach Osten. Genauso ausgerichtete Gräber fand man auch an anderen Orten Judäas, so in Khirbet Qazone  südlich des Toten Meeres und in Beit Safafa im Süden Jerusalems.

Der Leiter des ersten Grabungsteams, Roland de Vaux, stellte ab 1952 die Hypothese auf, es handele sich bei der Siedlung um eine Art Kloster einer religiösen Sekte, die sich vom übrigen Judentum abgegrenzt und in die unbewohnte Wüste zurückgezogen habe, um sich dort auf das Endgericht Gottes vorzubereiten. Er identifizierte sie mit den Essenern, wie sie vom antiken jüdischen Historiker Flavius Josephus erwähnt werden. Diese hätten die Schriften gesammelt, besessen, zum Teil selber produziert und in den Höhlen deponiert, um sie vor den angreifenden Römern zu schützen. Ihr Glaube habe sich in einigen der Schriften niedergeschlagen. Ausgangspunkt für diese Theorie waren die in Höhle 1 gefundenen Schriften, von denen eine (1QS) als "Sektenregel" gedeutet wurde. Sie enthält Angaben über eine gemeinsame Kasse, gemeinsame Mahlzeiten, eine Probezeit für neue Mitglieder und die Möglichkeit, sie auszuschließen. Dies stimmt überein mit den Merkmalen der Essener, die antike Autoren nannten. In Höhle 1 wurde zudem die Damaskusschrift ("CD") entdeckt: Deren Text war schon aus jüngeren Handschriften unter den ausrangierten Rollen einer Geniza in Kairo  bekannt und wurde dort bereits essenischen Kreisen zugeordnet. Diese Annahme wurde nun plausibel und bestimmte die Deutung der übrigen Schriften und archäologischen Befunde. Das System von Wasserleitungen und Becken deutete Roland de Vaux als Mittel für intensive rituelle Waschungen und Tauchbäder vor dem Betreten des Hauptversammlungsraums. Die Räume deutete er als Gemeinschaftsräume, denen er Namen aus der europäischen Klosterkultur (Skriptorium, Refektorium) beilegte. Die starke Festlegung, die Roland de Vaux damit vornahm, wurde von anderen Forschern kritisiert. Auch andere Interpretationen der Funde, nämlich als große Gerberei-Anlage mit antiker Buchmanufaktur, wurden kontrovers diskutiert. Dennoch gehen die meisten Forscher davon aus, dass es sich bei den Menschen die hier lebten, und die die Schriftrollen in den Höhlen versteckten, um eine Gruppe oder Untergruppe der Essener handelte (die „Qumran-Essener“). 

Buchstabe K

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