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Rahab und die rote Schnur

Zaehlerleiste

Ein auffälliges Rollsiegel aus Lachisch dokumentiert ganz besonders die Veränderung der Bes-Darstellung in Kanaan / Teil 9 /  Dieser Artikel wurde veröffentlicht am 2021jan04

Bes und die Falken

Bes bejubelt von Falken, Ausschnitt aus einem Rollsiegelbild, Lachisch Eisenzeit-II-B

Ausschnitt aus einem Rollsiegelbild, der Ausgrabungsort Lachisch liegt im Hügelland zwischen dem jüdischen Bergland und der Küstenebene, etwa 40 km südwestlich von Jerusalem, Eisenzeit II B, hier die Nachzeichnung für RoteSchnur.de.
Das Rollsiegelbild ist wissenschaftlich dokumentiert in: Othmar Keel und Christoph Uehlinger "Göttinnen, Götter und Gottessymbole. Neue Erkenntnisse zur Religionsgeschichte Kanaans und Israels aufgrund bislang unerschlossener ikonographischer Quellen" auf Seite 249, Nr.227, und es gibt eine Online-Version

Bes bejubelt von Falken, Rollsiegel aus Lachisch Eisenzeit II »  Das Flattieren der Falken »  Erste Sichtweise: Die Jubel-Falken »  Zweite Sichtweise: Die Abwendung »  Zwei Rollen des Bes, alias Aha, alias Jah? »  Jüdischer Witz »  Kann ein ägyptischer Klein-Gott gegen Ägypten stehen? »  Vieles ist zu relativieren als Propaganda »  Bes gegen den Pharao, darf so ein Konflikt gedacht werden? »  Die Widerstände gegen die Historizität des Exodus »  Von keiner Seite ernstgenommen »  Warum nicht in der Sänfte? »  Die Unbotmäßigkeit Kanaans im Spiegel der Religion »  Die große Kraft der kleinen Bilder »  Die kleinen Bilder gegen die Hochschätzung der pharaonischen Macht

Von den auf der Landkarte vermerkten Siegeln wurden noch nicht alle besprochen. Das Rollsiegelbild aus Lachisch zeigt einen Bes, mit Federkrone breitbeinig dastehend und flankiert von vier Falken, die dem Bes zugewandt ihre Flügel öffnen. Dürfen die Horus-Tiere einem Bes zujubeln? Der normale Interpretationssatz zu diesem Bild wäre: "Bes dominiert die Falken". Die Falken auf unserem Rollsiegel sind auch überhaupt nicht widerspenstig. Sie machen keinerlei Anstalten sich gegen die Herrschaft des Bes zu sträuben, ganz im Gegenteil, dieses Aufklappen der Flügel wird sonst immer als eine Haltung der Zuneigung und Bewunderung interpretiert. Wäre ein göttliches Kind in der Mitte und nur zwei große Falken rechts und links, dann würde die Formulierung lauten: "Die Falken beschützen das Kind". Stünde da ein Pharao in der Mitte und zu seinen Seiten gleich vier oder sechs Flügelspreizer, dann hieße das: "Die Falken bejubeln den Pharao". Es ist eine Szene wie in einem Thronsaal, wo die Höflinge dem König huldigen. Kennt eigentlich noch jemand das alte Wort "flattieren"? Es bedeutet umschmeicheln, lobpreisen, sich anbiedern und es wird, so meine ich, mit dem Dativ konstruiert: "Die Falken flattieren dem Bes". So müsste gerechterweise die Interpretation lauten. Das Flattieren passt auch schön zum Flattern und Flügelschlagen. Neutraler wäre die Formulierung: "Die Falken bejubeln den Bes", oder "Die Falken verehren den Bes". Wenn es aber der Bes ist, der da in der Mitte steht, mag keine dieser drei Interpretationen der Wissenschaft über die Lippen gehen. Irgendetwas sträubt sich gegen so eine hochjubelnde Verhältnisbestimmung für den seltsamen Knilch. Stattdessen heißt es in den wissenschaftlichen Interpretationen: "Die Falken bewachen den Bes". Ist der Bes etwa gefangen? Oder gefährlich? Warum muss er bewacht werden? Oder ist er einfach nicht denkbar als Bejubelter? Diese Abschwächung oder sogar Negativierung des Bes will ich nicht mitmachen. Ein und dieselbe Darstellung - nämlich die Falken mit aufgeklappten Flügeln - sollte auch mit ein und demselben Interpretationssatz beschrieben werden, egal ob ein Pharao oder ein Bes bejubelt wird. Sorry für meine penetrant objektive Haltung. Müsste nicht so die Wissenschaft sein? Was bewegt die Wissenschaft, wenn sie den Bes sieht?

Mir will es scheinen, als fände der Rollsiegel-Künstler das Flattieren der Falken ziemlich amüsant. Na ja, so ein bisschen Recht haben die wissenschaftlichen Werke natürlich schon, weil es ja nur die halbe Szenerie ist, die ich da im ersten Bildchen nachgezeichnet habe. Schauen wir uns das fehlende Teil dazu an.


Bes bejubelt von Falken, Rollsiegel aus Lachisch, Eisenzeit

Bes bejubelt von Falken, Rollsiegel aus Lachisch, Eisenzeit II B, 9.Jhh.vChr., Nachzeichnung

Das Rollsiegel aus der Stadt Lachish der Eisenzeit zeigt nämlich noch eine zweite Bes-Gestalt, die zwar genauso aussieht wie die erste, sie steht aber außerhalb der applaudierenden Falken. Jedes Rollsiegel kann durch einfaches Weiterrollen eine potentiell endlose Spur von sich wiederholenden Bildchen in den weichen Ton drücken. Die Bildreihe schließt sich im Kreis. Anfang und Ende sind vom Medium nicht festgelegt, sie bleiben dem Bildinhalt und dem Auge des Betrachters überlassen. Diese Eigenschaft von Rollsiegeln schafft eine Mehrdeutigkeit ihres Bildinhalts. Bei den meisten mythologischen Szenen war es den Zeitgenossen der Siegelschneider schon klar, wie die Figuren auf den Bildchen zusammengehören. Nur bei noch unbekannten Erzählungen entsteht die Frage nach Anfang und Ende der Szenerie. Und zwiespältige Situationen reizen zum Spiel mit der Vieldeutigkeit.


Bes-bejubelt-von-Falken_Rollsiegel-Lachisch-Eisenzeit-II-B_Nachzeichnung

Bes bejubelt von Falken, Rollsiegel aus Lachisch, Eisenzeit II B, Nachzeichnung als endlos Band

Bei unserem Bes-zwischen-den-Falken-Siegel nutzt der Siegelschneider die Eigenschaft des Mediums um eine freche und witzige, multiple Bildkombination zu schaffen. Ein und dieselbe Bildspur zeigt mit denselben Figuren zwei widersprüchliche Szenen. Wo hört das eine Bild auf, wo fängt das nächste an? Durch bloßen Wechsel der vom Betrachter zu setzenden Interpunktion entstehen zwei verschiedene Bedeutungen. Zweifarbige Stempelkissen gab es nicht in der Eisenzeit, aber uns hilft ein Wechsel der Farben, die beiden Szenen sichtbar zu machen.


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Bes bejubelt von Falken, Rollsiegel aus Lachisch, Eisenzeit II B, Nachzeichnung, coloriert

Erste Sichtweise: Die Jubel-Falken

Wir sehen die außergewöhnliche Flattierungsszene (türkis), beliebig wiederholt und mit einem solo-stehenden Bes (schwarz) als Trennzeichen dazwischen. Das Flattiertwerden ist neu, aber die Randständigkeit des einzelnen Bes war seine Rolle schon in Ägypten gewesen. Und mehr noch die Randständigkeit zweier Besas rechts und links wäre passend zur Rolle des Sklaven.


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Bes verschmäht von den Falken, dasselbe Rollsiegel aus Lachisch, in der Nachzeichnung nur anders coloriert

Zweite Sichtweise: Die Abwendung

Die Falken wenden sich ab vom Bes. Sie zeigen ihm die kalte Schulter. Die Königlichkeit dieser Tiere ignoriert die Marginalisierten. In den alten Verhältnissen war das die Normalität. So kennen die Subalternen ihre Rolle. Sie sind an den Rand gestellt, während die Flattierwilligen sich um ihren jeweiligen Führer scharen. Das ist so in jeder hierarchischen Gesellschaft. In den neuen Verhältnissen dagegen geraten die Falken mit ihrer Abwendung von dem einen, randständigen Bes aber wieder an den anderen Bes und machen damit diesen stumm am Rande Stehenden, zum neuen Zentrum. Das ist keine Absicht der Falken, wohl aber eine des Siegelschneiders, behaupte ich.


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Bes wechselweise bejubelt oder verschmäht von den Falken, immer noch dasselbe Rollsiegel, Nachzeichnung in wechselnden Farben

Zwei Rollen des Bes, alias Aha, alias Jah?

Wohin die Jubel-Falken sich auch wenden mit ihrer Flattierungs-Bereitschaft, immer steht da ein Bes. Wenn er sowohl in der Mitte, als auch am Rand steht, verliert das Flattieren seinen Sinn. In einer egalitären Gesellschaft sind die Flattierer orientierungslos. Und den Flattiererinnen geht es nicht besser. Der Bes bleibt sich selber treu. Nur die Falken stehen mal linksrum, mal rechtsrum. Sie wenden sich hin und wenden sich her. Ihr Flattieren hat keine zuverlässige Richtung. Eben das ist das Wesen des Flattierens, merkst du das, oh du Horus des Aufgangs und des Untergangs. Flattierende Gesellschaften sind kaum fortschrittsfähig, weil die aktiven Kräfte, die Ehrgeizlinge, keine weiterführende Richtung haben. Sich abzuwenden von den Erniedrigten und zuzustreben den Erhöhten ist nur eine individuelle Zielsetzung keine für die Gesellschaft. Bes wird wohl ziemlich abgebrüht sein von diesem Wechselbad aus Ehre und aus Verachtung. Beides wird ihm zuteil, er aber bleibt derselbe, allgegenwärtig. Spüren Sie, liebe Leserin, lieber Leser diesen Zusammenhang von egalitärer Gesellschaft und monotheistischer Religion? Wenn Gott allgegenwärtig ist und für alle Menschen ein und derselbe, dann gibt es keine Pharaonen mehr und keine Sklaven. Zumindest hat so eine gesellschaftliche Rollenverteilung kein Echo mehr im Gottesbild.

Jüdischer Witz

Wenn ich jetzt ohnehin schon etwas zu weit gegangen bin mit meiner Interpretation des unscheinbaren Rollsiegels, dann kann ich auch gleich von jüdischem Humor sprechen. Bes am Rande und Bes in der Mitte, und unschlüssige Falken drumrum. Dieses Motiv findet sich soweit ich weiß, nur in Israel, nicht in Ägypten. Und wie sollte der Siegelschneider im jüdischen Hügelland seinen doppelten Bes sonst gemeint haben? Da macht einer in Israel Witze über den Horus. Die Sympathien des Witzeschneiders gelten dem Bes, alias Aha, alias Jah.

Kann ein ägyptischer Klein-Gott gegen Ägypten stehen?

Obwohl die beiden halbnackten Gestalten auf den Krügen von Kuntillet Ajrud ganz offensichtlich wie der ägyptische Bes aussehen, gab es ernsthaft die Meinung, da könnte keine ägyptische Gottheit dargestellt sein. In der Entstehungszeit der Krüge herrschte nämlich Feindschaft zwischen Israel und Ägypten, also würde kein Künstler in Israel einen ägyptischen Gott malen. Dieser Fehlschluss kam dadurch zustande, dass anscheinend jedes ägyptische Motiv als Zustimmung zur ägyptischen Kultur und als Ergebenheitserklärung an den Pharao verstanden wurde. Diese Logik kennt keinen Konflikt innerhalb der ägyptischen Bildmotive. Dass der Bes eine gegen Ägypten gerichtete Kritik darstellen könnte, wird nicht oder nur unzureichend in Erwägung gezogen.

Während die alttestamentlichen Texte von vielen religiösen Fronten und heftigen Konflikten erzählen, scheinen Konflikte zwischen den Bildern in der Interpretation der altorientalischen Bilderwelt unterrepräsentiert. Die Flut von Bildern in Kanaan und Israel wurde als ein Kontinuum gesehen, als eine überwiegend einheitliche, gemeinschaftliche Kultur und diese weitgehend unter ägyptischer Führung.

Bei vielen Interpretationen der Ikonographie Kanaans und Israels schien das Bestreben vorzuherrschen, alle Bilder in einen gemeinsamen Strom und in eine homogene Entwicklungsrichtung einzubetten. Israel sollte keine oder fast keine eigenen Ideen gehabt haben, sondern durfte nur als im Strom der anderen mitschwimmend gedacht werden. Damit war der Blick verstellt für alles, was als neue Idee, wenn auch in ägyptischem Gewand, zutagetreten wollte. Alle ägyptischen Motive wurden als "Einfluss Ägyptens" verbucht. Jedes Bild einer ägyptischen Gottheit galt als Einordnung Kanaans und Israels unter die Macht der Pharaonen.

Vieles ist zu relativieren als Propaganda

Es wurde erkannt, dass viele der ägyptischen Bilder in Kanaan nicht unbedingt eine reale Macht der Ägypter beweisen. Es drückt sich darin auch nicht eine überströmende Ägypten-Begeisterung der levantinischen Bevölkerung aus, sondern ein großer Teil der Bildproduktion war einfach nur Propaganda der Pharaonen und anderer Könige. Wer so massiv Propaganda treiben muss, ist sich seiner Herrschaft nicht sicher. Um die Interpretation der Bilder von Einflüssen der Propaganda freizumachen, müssten die Konflikte zwischen den Bildern gesehen werden. Wie die militärischen Schlachten erst durch die Berichte der Gegenseite, zum Beispiel der Hethiter, aus dem Dunstkreis der Pharaonen-Propaganda befreit wurden, so müsste auch das Schlachtengetümmel der Bilder befreit werden aus diesem Dunstkreis. Welche Bilder erzählen welche Geschichten? Und wo tun sie das gegen einander? Worüber streiten die Bilder und welche neuen, unerhörten Ansichten tauchen da auf? Schließlich sollen dann irgendwann aus der jüdischen Quelle die beiden größten Weltreligionen, Christentum und Islam, entspringen. Solche Ableger wachsen nicht aus einer beliebigen, bedeutungslosen Wurzel. Kreative Kraft muss der jüdischen Religion zugetraut werden, wenn man ihre Schlüsselrolle für die weitere Religionsgeschichte verstehen will.

Bes gegen den Pharao, darf so ein Konflikt gedacht werden?

Es geht hier um die Frage, ob manche Darstellungen von Bes eine anti-ägyptische Tendenz haben könnten. Das Rollsiegel mit den Jubelfalken ist das eine Indiz dafür, die Bes-Gestalten auf den Tonkrügen von Kuntillet Ajrud das zweite. Als drittes Indiz für diesen Konflikt in der Bilderwelt Kanaans nehmen wir einen weiteren Skarabäus aus Achsib und vergleichen ihn mit dem ersten aus derselben Stadt.

Beide Siegelbilder aus Achsib.
Bild rechts: Bes führt die Menschen, Spätbronzezeit II B,
Bild links: Der Ägypter bändigt die Besas, Eisenzeit

Bes wird in den beiden Bildern in unterschiedlichen Rollen gesehen. Ich meine zwischen diesen Bildern herrscht Streit.

Das rechte Bild zeigt den Bes in der Mittelposition mit zwei Menschen. "Bes führt die Menschen" heißt die korrekte Übersetzung des Bildes in Worte. Man könnte auch sagen: "Bes nimmt die Menschen an der Hand".

Auf dem linken Bild sehen wir Bes in der Flanken-Position rechts und links von einem Mann in ägyptischem Wickelrock. Übersetzt: "Der Ägypter führt die Bes-Gestalten". Die Führungsrolle der Zentralfigur ist aber nicht so nahe, nicht so vertrauensvoll wie beim ersten Siegel. Nicht an der Hand, sondern an den Armen hält der Mittlere hier seine Geführten. Es sind eher Widerspenstige, die sich nicht so gerne führen lassen. Also muss es heißen: "Der Ägypter bändigt die Bes-Gestalten". Stellen wir die Propagandafrage: Tut er das oder wünschen nur manche Ägypten-Fans, dass er es täte? Welche Rolle spielt Bes in kanaanäischen Gebieten? Bekommt Ägypten diese freche Bes-Bande jenseits von Gaza noch unter Kontrolle?

Die Widerstände gegen die Historizität des Exodus

Viele Ägyptologen und viele Theologen halten Kanaan für einen Vorhof des pharaonischen Reiches und die dortigen Staaten für Vasallen Ägyptens durch viele Jahrhunderte. Für eine Landnahme der Hebräer und für eigenständige Staatenbildungen im Lande Kanaan sehen manche dann keinen Platz. Auch der Auszug aus Ägypten wäre dann nur ein Umzug in eine andere ägyptische Provinz gewesen. Diese Einschätzung der politischen Machtverhältnisse in Kanaan ist ein wichtiger Grund für das Misstrauen gegen die biblischen Erzählungen. Aber aus welchen Quellen wurde die Einschätzung der politischen Machtverhältnisse gewonnen? Welche Befangenheiten liegen in dieser Einschätzung?

Die Ägyptologie hat zum Beispiel Generationen gebraucht, bis sie sich zu dem Eingeständnis durchringen konnte, dass die Siegesberichte der Hethiter über die Schlacht von Kadesch, sich auf dieselbe Schlacht beziehen wie die Siegesberichte ihres Gegners des Pharao. So groß war das Vertrauen in die Maat und in die Wahrhaftigkeit dieses Herrschertyps, dass man sich von seiner Seite derart schamlose Propagandalügen nicht vorstellen konnte. Die ägyptischen Reliefs und Texte erzählen vom gewaltigen Sieg des Pharao, wer hätte es wagen sollen, zu widersprechen? Eine Gegenöffentlichkeit gab es nicht. Dies und die Großspurigkeit der Pharaonen sollten eigentlich Gründe genug sein, ihnen nicht zu vertrauen. Das ungebremste Ego verfährt im alten Ägypten nicht allzuviel anders, als bei modernen Tyrannen.

Zum Glück stehen die Berichte der Hethiter in außerbiblischen Schriftstücken. Stünden sie in der Bibel, würde die Wissenschaft noch heute Kadesch für einen Sieg des Pharao halten. Weil die Bibel religiöse Aussagen macht, wurde ihre historische Glaubwürdigkeit pauschal geradezu vernichtend abgewertet. Das Vertrauen wurde den profanen, also vermeintlich nicht-religiösen Quellen entgegengebracht. Mit der Abwertung von Religion ist bei vielen Menschen immer noch ein Impetus von Aufgeklärtheit verbunden. Die Selbstdarstellungen des pharaonischen Machtapparates sind aber nicht weniger religiös als die biblischen Texte, nur ist ihre Religion halt nicht die christliche. Die altägyptische Religion liegt außerhalb der Schusslinie der europäischen Aufklärung. Sie hat einen - fast müsste man sagen - "Auswärtsvorteil". Die Religionskritik im nach­christlichen Abendland merkt nicht, dass sie Vorfahren hatte in der Religions­kritik der JHWH-Anhängerschaft gegen den Rest der Götter­welt. Monotheismus ist die erste Kritik an den Götzen.

Wie revidieren Archäologie und Ägyptologie ihre eigene Geschichte als Upper-class-Wissenschaften einer arroganten, kolonialistischen Kultur? Mit welchen Mitteln könnten sie sich schützen gegen Jahrtausende alte Flattierungs­gewohnheiten? Um eine quasi außenseiterische Sichtweise zu erhalten, lohnt es sich, die kleinen Bilder Kanaans auch gegen den Strich der pharaonischen Gesichts­schreibung zu lesen, wie es hier versucht wird.

Von keiner Seite ernstgenommen

Die Bilder von Bes als Argumente für die Historizität des Exodus zu verwenden, stößt natürlich noch auf ganz andere Ablehnungen, nicht nur auf ägyptologische. Sowohl die christlichen Fundamentalisten als auch die akademische Theologie haben ihre Erwartungen an Gott. Diesen entspricht nicht der kleine Hilfsgott Bes. Die kleinen Bilder der Siegelamulette in Kanaan, wenn sie in ihren Seltsamkeiten ernstgenommen werden, sprechen eine Sprache, die befremdlich ist für konventionelle Theologie und noch befremdlicher für christlich-fundamentalistische Vorstellungen von Gott. Gerade aber in ihrer Befremdlichkeit und in der dadurch erforderlichem Korrektur der Erwartungen, erweisen sich diese Bilder als sehr wahrhaftig. Sie liegen viel näher am Narrativ der Bibel, als Geschichtsbilder von Ägyptologie, Theologie und Biblizismus.

Warum nicht in der Sänfte?

Die Schlacht von Kadesch dient hier nur als Beispiel für die Verführbarkeit der Ägyptologie durch die pharaonische Propaganda und für die dadurch entstehende Überbewertung der ägyptischen Macht über Kanaan. Warum reist der Pharao nicht in der Sänfte und in Begleitung seiner Familie durch seine angeblich untertänige Provinz Retenu, stattdessen kommt er immer im Streitwagen. Wozu braucht der souveräne Herrscher kampfstarke Truppen für jeden seiner Besuche bei den vermeintlichen Vasallen? Jeder Feldzug irgendeines Pharao nach Kanaan beweist, dass er dort zu dieser Zeit gerade nicht regiert. Natürlich beschwichtigen die Könige Kanaans den Pharao, mit Unterwerfungsfloskeln, damit er nicht über sie komme mit Heeresmacht. Aber solange sein Heer nicht anrückt, besteht seine Regentschaft nur aus Drohung. Nicht nur im Verhältnis zu den Hethitern, sondern auch in den anderen Epochen ist meistens wohl Gaza die Grenze der pharaonischen Kontrolle. Jenseits von Gaza ist Kanaan nicht seine Provinz sondern sein Raubzugsgebiet, wenn sein Heer gerade stark genug ist.

Die Unbotmäßigkeit Kanaans im Spiegel der Religion

Die Ägypter assoziieren den kanaanäischen Gott Ba'al mit ihrem Chaosgott Seth. Sie empfinden also Kanaan als Gefahrengebiet. Das nährt die Zweifel an der pharaonischen Sicht der Machtverhältnisse. Ist der Ägypter Herr über Kanaan - so die gängige Auslegung - oder haben die Hethiter mit dem Friedensvertrag dem Pharao ein gefährlich chaotisches Ei ins Nest gelegt? Musste der Pharao nach seiner Niederlage sich mit dem unangenehmeren Teil der Levante abspeisen lassen, als der ihm zugestandenen Interessensphäre? So etwa wäre die kritischere Auslegung des Friedensvertrages.

Es gibt also Argumente gegen die pharaonische Propaganda. Hier soll es aber nicht um Ba'al und Kanaan gehen, sondern um die neuartigen Verhältnisse des Bes. Die traditionellen ägyptischen Bes-Bilder gibt es auch in der Levante. Bezeichnenderweise wurde eine kleine Pressform zur massenweise Herstellung aber in T.el-Aggul 6 km südwestlich von Gaza gefunden, also in einem Gebiet, in dem wirklich die Pharaonen die Kontrolle hatten. Die dort hergestellten Bes-Amulette zeigen Bes in der üblichen Manier und in einem dem Pavian angenäherten Bild, wobei der Pavian nichts Schlimmes bedeuten muss. (siehe Silvia Schroer, Die Ikonographie Palästinas/Israels und der Alte Orient, Bd.4 Nr.1107 Online-Version)
Darf die Tonform zur Massenproduktion als Propaganda-Stil gewertet werden? In den neuartigen Bes-Darstellungen aus der Levante erscheinen deutlich andere Muster als die aus ägyptischer Produktion. Bes spielt jenseits von Gaza eine andere Rolle und die Bilder streiten über seine Rolle.

Die große Kraft der kleinen Bilder

Eine sehr weitreichende Bedeutung wird den kleinen Bildern von Othmar Keel und Christoph Uehlinger gegeben. Unter Berufung auf Jan Assmann verstehen sie Mythen als ausformulierte Versionen von "Konstellationen". Solche Konstellationen oder Ikone sind zum Beispiel die "Begegnung von Mann und Frau bzw. Gott und Göttin im Zeichen der Fruchtbarkeit oder die Auseinandersetzung zwischen Schlangendrache und kämpferischem Helden"
(Othmar Keel und Christoph Uehlinger "Göttinnen, Götter und Gottessymbole. Neue Erkenntnisse zur Religionsgeschichte Kanaans und Israels aufgrund bislang unerschlossener ikonographischer Quellen" in der Online-Version S.13).

Diese Begegnungsmuster oder Beziehungsbilder tragen den eigentlichen Sinn eines Mythos in sich und sind vorrangig gegenüber den Besetzungen mit Namen und Erzählverläufen. Ob der kämpfende Held dann Seth oder Marduk oder Siegfried heißt, ist immer nur die zeitweilige Gestalt des Drachenkampfmythos. Auch der Drache kann mal Tiamat, mal Apophis oder Lindwurm genannt werden. Es sind "vormythische Sinnkomplexe" auf die der Mythos zurückgreift. Die Konstellationen oder Ikone sind "Kristallisationspunkte mythischer Aussagen, die auf Beziehungen und Grundsituationen beruhen, die ihre Bedeutung in sich tragen und sie nicht erst aus dem Handlungsablauf einer Erzählung beziehen. Nicht die leicht wechselnden Namen und nicht die leicht zu vergessende Narrativität, sondern die Ikonizität der zugrundeliegenden Konstellation ist das Prioritäre und Bleibende (Maria mit dem Kind als stillende Gottesmutter, der Auferstandene als Sieger usw.). Mythische Texte sind nichts anderes als zu Geschichten entfaltete Ikone (bzw. Konstellationen). Mythen können sich - ohne ihre Identität zu verlieren - jederzeit wieder in die reine Ikonizität zurückziehen." (Othmar Keel und Christoph Uehlinger "Göttinnen..." S.14).
Ikone werden damit als fundamentale Sinnkerne nicht nur eines Mythos sondern letztlich einer ganzen Kultur verstanden. Was könnte das bedeuten angesichts der veränderten Ikonographie des Bes? Was sind die Konstellationen, die Ikone, die Beziehungsbilder, in denen der ägyptische Bes ab der Spätbronzezeit in der Levante auftritt? Es sind nicht mehr einfach Reenactments der alten Mythen. Es ist kein neuer Held mit neuem Drachen in alter Geschichte, sondern mit der Neubesetzung der Rollen werden in diesem Falle offensichtlich zugleich neue Geschichten geschrieben. Der doppelte Bes innerhalb und außerhalb der flattierenden Falken ist kein harmloser Witz sondern dürfte wohl eine neue Religion und eine neue Kultur und eine neue Gesellschaft darstellen.

Die kleinen Bilder gegen die Hochschätzung der pharaonischen Macht

Jenes eine Siegelbildchen vom Bes und den flattierenden Falken (ganz oben auf dieser Seite) ist nur der am weitesten gediehene Exodus aus den alten Ikonen. Aber ist es eine Ikonisierung der neuen Religion? Die anderen Siegel bleiben stärker in den mythologischen Mustern vom "Herrn der Tiere" und "Herrn der Menschen", aber die Vielfalt der neuen Rollenverteilungen in den levantinischen Bes-Bildern zeigt, dass da etwas in Bewegung geraten ist in den fundamentalen Sinnkernen der Mythologie. Da wird in Kanaan ganz anders gedacht und gefühlt als im alten Ägypten.

Bes bejubelt von Falken, Rollsiegel aus Lachisch Eisenzeit II »  Das Flattieren der Falken »  Erste Sichtweise: Die Jubel-Falken »  Zweite Sichtweise: Die Abwendung »  Zwei Rollen des Bes, alias Aha, alias Jah? »  Jüdischer Witz »  Kann ein ägyptischer Klein-Gott gegen Ägypten stehen? »  Vieles ist zu relativieren als Propaganda »  Bes gegen den Pharao, darf so ein Konflikt gedacht werden? »  Die Widerstände gegen die Historizität des Exodus »  Von keiner Seite ernstgenommen »  Warum nicht in der Sänfte? »  Die Unbotmäßigkeit Kanaans im Spiegel der Religion »  Die große Kraft der kleinen Bilder »  Die kleinen Bilder gegen die Hochschätzung der pharaonischen Macht

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Bes

Der Kontrast zum ägyptischen Bes

Ganz anders als die ikonographische Revolution in Kanaan, zeigt beim Blick zurück nach Ägypten die alte Ikonographie den Bes: Die Befehlserwartungshaltung des alten Haussklaven ist die bei weitem häufigste Art der Bes-Darstellung. So steht Bes da in Amuletten, in Gebrauchsgegenständen und als Säulenverzierung. Ob der Bes so in Frauengemächern bereit steht, dargestellt als Blumenvasenständer und Spiegelhalter, oder ob es Männer sind, die ihn auf ihren Nackenstützen parat haben, macht für seine Sklavenexistenz nicht den großen Unterschied.


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