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Rahab und die rote Schnur

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JHWH in Bibelstellen, die Aschera nicht nennen, aber von ihr reden / Teil 3 /  Dieser Artikel wurde veröffentlicht am 01Nov2020

JHWH und die ungenannte Aschera

 › zum Seitenanfang  › Himmel und Erde, das binäre Weltbild  › Zurück zur Landwirtschaft  › Wettergoetter Baal von Ugarit und Adad von Arslan Tash  › Tarhunza von Aleppo  › Naturgewalten, Krieg und Sexualität  › Es gibt keinen übertragenen Sinn  › Himmelsgöttin Nut, Erdgott Geb  › JHWH kommt aus Ägypten  › Was braucht ein Mensch zum Beten?  › Die religiöse Qualität der Erde  › Die Parzellierung des Himmels  › Nur in den Köpfen der Heiden?  › Diese Bibelstellen sind sehr nahe bei den Scherben von Kuntillet Ajrud

Wo die Feindschaft aufhört ...

... wird es nicht automatisch einfacher. Es gibt Stellen in der Bibel, die sehr nach Göttin klingen, auch ohne dass Ascheras Name genannt wird. Im Buch Jesaja sagt der Prophet den Satz "Deine Erde hat einen lieben Mann". Da geht es um JHWHs Trost für ein Volk das sich von Gott verlassen fühlt, aber nicht nur das Verhältnis zwischen Gott JHWH und seinem Volk wird angesprochen, sondern parallel dazu wird auch die Erde getröstet. Der ganze Bibelvers lautet:

Du wirst nicht mehr genannt werden »Verlassene« und deine Erde nicht mehr »Einsame«, sondern du sollst heißen »Meine Lust« und deine Erde »Liebe Frau«; denn der JHWH hat Lust zu dir, und deine Erde hat einen lieben Mann. (Jesaja Kapitel 62, Vers 4)

Das Volk wurde eine Verlassene genannt, doch wohl eine verlassene Frau? Und die Erde eine Einsame. Ist die Erde auch eine Frau? Jetzt aber soll das Volk heißen: »Meine Lust« und die Erde, bekommt den neuen Namen »Liebe Frau«. Und hier ist es tatsächlich JHWH, der als Mann dargestellt wird und zwei Frauen tröstet: Das Volk und die Erde dieses Volkes sind die beiden Frauen. Die Frage nach der Monogamie lassen wir jetzt mal beiseite und ebenso die Frage, wie männliche und weibliche Rolle hier gezeichnet werden. Uns interessiert die Frage nach Ascheras Göttlichkeit und nach dem Monotheismus. JHWH spricht in diesen biblischen Worten als Mann zu zwei Frauen. Sind diese Frauen Göttinnen?

Das Volk könnte auch verstanden werden als die Kinder, die Verlassenen als Waisen. Dann wäre es eine Frau, eine potentielle Göttin weniger. Auch die Monogamie wäre für diese Bibelstelle erstmal gerettet, nicht aber der Monotheismus. Denn die familiäre Szene bestünde dann aus den drei Rollen: JHWH als Vater und die Erde als Mutter, das Volk Israel als die Kinder. Damit wäre die Erde als Mutter des Volkes und als Frau des JHWH noch stärker als Göttin im Spiel. "Deine Erde hat einen lieben Mann". Die Erde wird als weibliches Gegenüber, als Ehepartnerin des JHWH bezeichnet. Ein Satz voller Zärtlichkeit vom Himmel zur Erde und die große, weite Welt fühlt sich an wie ein Schrebergarten. Der zärtliche Satz steht so in der Bibel, ohne dass einer käme, um den verdächtigen Aschera-Pfahl hinaus zu befördern an den Bach Kidron. Hier ist keine Frontlinie, keine Feindschaft, kein Religionsstreit. Und schon ist die Erde, alias Aschera, wieder die Göttin in den Armen ihres Mannes. Ach nein, das ist doch nur eine Metapher. Seid ihr sicher? Wird die Erde da etwa nicht zur Person gemacht? Zumindest ist es eine sehr persönliche Metapher, diese Beziehung zwischen dem tröstenden JHWH und der trostlosen Erde. Wie metaphorisch darf Monotheismus werden und ab wann ist es ein Götterpaar?

Himmel und Erde, das binäre Weltbild

Es gibt noch mehr fremdartige Texte in der Bibel. Dafür brauchen wir ein bisschen Hintergrund. Wir betrachten die heidnischen Verhältnisse: Der wohl populärste Himmelsgott im vorderen Orient ist der Ba'al Hadad, sein Name bedeutet: der Herr des Donners. Sein Name wird schon im dritten vorchristlichen Jahrtausend in der Stadt Ebla genannt. Seine Verehrung erstreckt sich über Syrien und in sehr ähnlichen Varianten über weite Teile des vorderen Orients, besonders über Kanaan und in ein paar Ausläufern sogar bis nach Ägypten . Das wichtigste Heiligtum Hadads und seine Orakelstätte war wohl in Aleppo. Seit dem 16.Jahrhundert v.Chr wird der Titel Ba'al (Herr) zur gängigen Bezeichnung des Gottes.

Ba'al im schlecht sortierten aber umfangreichen Sortiment

Es gibt ihn in vielfältigen Versionen, die häufigste Art der Namensbildung ist die Kombination von Ba'al mit einem Ortsnamen. Der Ba'al von Neustadt und der Ba'al von Altdorf sind zwei sehr ähnliche Götter und der von Niederhausen ist auch nicht wesentlich anders, nur heißen die Tells in denen sie ausgegraben wurden nicht Neustadt, nicht Altdorf und auch nicht Niederhausen. Moderne Menschen halten Ortsnamen für bloße Topographie. Unserer versachlichten Wahrnehmungsweise entgeht die religiöse Bedeutung, nämlich dass jeder Ort ein Stück Erde ist, mit eigenem Charakter und eigenem Willen, nur metaphorisch, versteht sich. Jeder Ba'al wird charakterisiert durch das Stück Erde, zu dem er gehört.

Als zweithäufigste Verwendung des Ba'al-Titels nennt die Wissenschaft die Bezeichnung des allgemeinen Himmelsgottes ohne spezifizierende Ortsangabe. Irgendwie wurde der Titel zum Namen. Es ist einfach "der Herr" und gemeint ist damit der gesamte Herrschaftsbereich dieses Herren: Der Himmel.

Und dann gibt es als Drittes noch unzählige Ba'al-Gottesnamen, die aus ehemaligen Königsschutzgöttern hervorgegangen sind. Immer wenn ein lokaler König sein Reich ausweiten konnte und über größere Gebiete regierte, scheint er seinen Clan-Gott oder Residenzstadt-Gott zum höchsten Himmelsgott befördert zu haben. Wie auf Erden so im Himmel, war das Motto der Machverhältnisse. Die Vielfalt der Namen und Herkünfte der Götter spiegelt diese Ursprünge aus unterschiedlichen Ortsgottheiten wieder. Dagegen scheinen die Funktionen am Himmel zusammenzufließen. Die Rolle als Herr des Himmels muss ausgefüllt werden, egal aus welchem Stall der Himmelsstier stammt.

Um die Herkunft des Ba'al zu verstehen, versucht die Wissenschaft meistens, die hundert Götter-Versionen auseinander zu sortieren. Ich habe das umgekehrte Interesse, die Gemeinsamkeit der vielen Gottesbilder zu zeigen. Die gängigste Darstellungweise zeigt den Gott mit einem Bündel von Blitzen in der einen Faust und in der anderen die Axt oder Keule, die den Donner bedeuten soll. Manchmal sind es auch Blitzpackungen in beiden Fäusten. Er schreitet vorwärts mit einem Stier unter seinen Füßen, was körperlich so nicht funktionieren würde. Auf dem Rücken eines Stieres kann eine Menschengestalt höchstens zwei, drei Schritte vorwärts machen, dann ist der Stier zuende und der wacker Daherschreitende fällt vor dem Stier herunter. Aber so körperlich sind die Reliefs ja nicht gemeint. Dieser Donnerherr schreitet "in Wirklichkeit" am Himmel daher. Mit Wolken und Wetterleuchten kommt er über die Berge.

Wettergoetter Baal von Ugarit und Adad von Arslan Tash

Rechtes Bild: Ba'al von Ugarit, Bronze vergoldet ca.13.Jahrhundert v.Chr.
Linkes Bild: Adad von Arslan Tash, Steinstele 8.Jahrhundert v.Chr.
Beide Götterbilder stehen jetzt im Louvre, cc-by-sa 4.0 Rama.

Ungebremstes Durchsetzungsvermögen

Bei den Abbildungen mit dem Stier geht es nur darum, dass der Ba'al möglichst viele Insignien seiner Macht beisammen hat: Blitze, Donner, und sein Wappentier. Er soll auf jeden Fall Macht ausstrahlen. Ungebremstes Durchsetzungsvermögen ist das Charakeristikum dieses Gottes. Das macht ihn zum bevorzugten Identifikationsmodell für viele Herrscher. Der Herr des Donners wird zum Vorbild aller Herren. Bei den Bronzefiguren sind auch gerne die Blitze vergoldet. Er macht was her, der Ba'al.

Im Idealfall war das Regenbringen seine Kernkompetenz. Dieses segensreiche Wirken ist in heißen und trockenen Regionen sehr gefragt. Im ehrgeizigen Gerangel der Kleinkönigtümer gewinnt aber die Imposanz die Oberhand über das Regenmachen. Krieg wird wichtiger als Landwirtschaft schon im Laufe der Bronzezeit und immer wieder im Gezeitenspiel der Geschichte. Ba'al changiert zwischen Kriegsgott und Wettergott. Das unaufhaltsam aufziehende Gewitter wird zum Modell für die über die Erde dahinpreschenden Heere der Eroberer.

Zurück zur Landwirtschaft

Leicht irreführend ist es, wenn manche ihn als Vegetationsgott bezeichnen. Selbst wenn der Ba'al gelobt wird, dass er die Pflanzen sprießen ließe, dann tut er das nur, indem er regnen lässt. Den Rest des Pflanzenwachstums besorgt dann die Erde, Ba'als Frau. Papa Himmel und Mama Erde sind die beiden größten Parts in diesem Weltbild, das eine weite Verbreitung hatte zeitlich und geographisch. Die blitzeschleudernden Zeus und Jupiter gehören zum gleichen Typ als Spätausläufer. Der Himmel bringt den Regen, die Erde lässt es wachsen. Das ist die grundsätzliche Ordnung in der Kultur, zu der Kanaan historisch und geographisch gehört. Andere Aufgaben und die Zuordnung der Gottheiten zu bestimmten Planeten sind Verfeinerungen des paarigen Weltbildes. Wenn es zum Beispiel heißt: "Ba'al und Aschera und alles Heer des Himmels", dann wäre es falsch, Ba'al und Aschera deswegen als Gestirnsgottheiten zu bezeichnen. Sonne, Mond und Sterne sind im landwirtschaftlichen Weltbild gedacht als die kleineren, beweglichen Einheiten. Die beiden großen Hälften der Welt sind Himmel und Erde, Ba'al und Aschera. Der Rest der Welt spielt sich als Gewusel zwischen diesen beiden Hälften ab. Die Welt ist ein paariges Lebenwesen. Obenrum waren die Wolken für die Landwirtschaft erstmal wichtiger als irgendwelche Planeten. Erst mit verfeinerter Kalenderberechnung, vielleicht von Babylonien herkommend, gewinnen außer Sonne und Mond noch weitere Gestirne an Bedeutung. In Küstengebieten kann Aschera auch für das Meer zuständig sein. Die untere Hälfte der Welt ist ihrs, mit allem was dazugehört. Über dem Horizont wirkt dann ihr Mann, der Ba'al. Wir kennen dieses Weltbild in geschwungener Form als Yin und Yang aus Ostasien und wir kennen seine geistesgeschichtlichen Fortwirkungen in den Paaren: Idee und Umsetzung, Geist und Körper, Sein und Bewusstsein. Bei den ersten beiden Paaren habe ich den Papa zuerst genannt, beim letzten bin ich Karl Marx gefolgt, beziehungsweise der Höflichkeitsregel bei der Evakuierung sinkender Schiffe: Ladies first.

Zwei-hetitische-Versionen-des-Wettergottes

Zwei hetitische Versionen des Wettergottes, Relief von Samal und Tarhunza von Aleppo, Foto des letzteren cc-by Verity Cridland.

Dieser sehr pauschale Rundumschlag soll nur zeigen, wie allgemein dieses Weltbild verbreitet war und ist. Die grobe Orientierung ist hier wichtiger als detailgenaue Richtigkeit. Ba'al und Aschera sind auch heute noch in vielerlei Gestalt gegenwärtig. Weder der Monotheismus noch die vermeintlich säkulare Philosophie haben sich wirklich ganz von diesem Paarungs-Denken emanzipiert. Wir sind im Herzen immer noch Bauern und es scheint, als würde diese binäre Form der Welteinteilung sehr weit zurück reichen, vielleicht bis in neolithischen Zeiten. Ob es nur die Viehzucht war, die zu geschlechtlich organisierten Weltbildern führte, oder welche anderen Faktoren dieses Denken begünstigten, ist jetzt nicht das Thema. Es geht auch nicht um die Frage nach der "Richtigkeit" oder "Schädlichkeit" dieses Weltbilds, sondern nur um die Wahrnehmung seiner Macht. In den Köpfen und Herzen der Menschen waren der Ba'al und seine Aschera das Aller­selbstverständlichste. Die ganze Natur, die ganze Wirklichkeit ist organisiert als die Aschera mit ihrem Ba'al. Die Riten und Rollen dieser vorderorientalischen Kultur folgten dieser Gegenüberstellung. Das Reden, Denken, Fühlen und Verhalten spielte sich zwischen diesen beiden Polen ab. Himmel und Erde machen zusammen die ganze Welt.

Als er nach Kanaan kommt, wird JHWH, der Gott der Hebräer, einsortiert in dieses Weltbild. Es war nicht seine Erfindung.

Naturgewalten, Krieg und Sexualität ineinander projeziert

Das Verstehen polytheistischer Systeme wird manchmal erschwert durch den modernen Hang zu Vergegenständlichung. Auffällig wird dies, wenn zum Beispiel die Rollen der Götter El und Ba'al gegeneinander gehalten werden. Weil in einem Mythos El als Himmelsgott erscheint, wird dem Ba'al die Rolle des Himmelsgottes abgesprochen. Indem die Götter als zwei getrennte Gegenstände fixiert werden, geraten zwei Aussagen der Mythologie in Konflikt zueinander. Moderne Begriffsdefinitionen tun sich schwer mit den "gleitenden" Übergängen zwischen Gottesfiguren in den Polytheismen. Dagegen kann es helfen, El und Baal nicht als verschiedene Götter zu denken, sondern als verschiedene Generationen eines Gottes. Ba'al ist die jugendliche, stürmische, Testosteron-geladene Phase des Himmelsgottes. El ist die ältere, reifere, ruhig dasitzende, souveräne Phase des Himmelsgottes. Baal stürmt, erobert, zeugt, bringt Veränderung, chaotisiert. El thront, regiert, ordnet, verfügt über Ressourcen. El ist der gealterte Ba'al. Ba'al ist El next generation. In den Lebensphasen eines Individuums treten "beide" Götter auf. Im Menschenleben wird die Generationenfolge und die damit verbundenen Konflikte einmal aus dieser Perspektive, jahrzehnte später aus der anderen Perspektive erfahren. Das Leben bewegt sich in Kreisen. Was Du heute aus dem einen Blickwinkel am Gegenüber siehst, bist Du morgen selbst mit einem anderen Gegenüber. Werden die beiden Aspekte je für sich erlebt und gedacht, erscheint es wie zwei verschiedene Götter. Es ist oft wenig hilfreich, Götternamen in einem strikt objektivierenden und individualisierenden Sinn als Bezeichnung einer einzelnen Gottesperson zu verstehen.

Die Götter sind keine Objekte

Die Götter sind keine Objekte, sondern Projektionsflächen, oder nennen wir es besser "Bündelungen". Im Bild des Ba'al bündeln und vermischen sich die Naturerscheinung des Gewitters mit der menschlichen Lebensphase des jugendlichen Mannes und mit der gesellschaftlichen Rolle des Kriegführers. Ba'al ist "der stürmische Eroberer" in allen Erscheinungsarten. Natur, Gesellschaft, Sexualität, Lebensphasen und wahrscheinlich noch manches mehr, werden ineinander projeziert oder besser gesagt gar nicht erst unterschieden. Das Pantheon ist psychologische Typenlehre und ist Bild des Sozialsystems und ist Sortierungskasten für Naturkräfte und ist Festlegung von Geschlechterrollen. Polytheismus zielt nicht auf Unterscheidung zwischen Gesellschaftsordnung und Naturordnung, auch nicht zwischen Psychologie und Soziologie, hat meistens nicht einmal ein Bewusstsein von diesen Unterscheidungen, sondern das Verstehen von Welt und Mensch und Gesellschaft wird betrieben durch das ineinander Sehen der Kräfte. Die einzelne Gottheit ist die Bündelung der Erscheinungen, die sich gegenseitig erklären und verbildlichen. Deshalb gibt es im Mythos auch keinen "übertragenen Sinn", sondern durch die Analogie entsteht der gemeinsame Sinn. Jedes Gottesbild ist ein Bündel von Wirkungen, von Erscheinungsweisen, die zu einander in Analogie gesetzt werden und je nachdem welche Bündel in einer Religion zusammengeschnürt sind, hat das Wirkungen auf die Gesellschaft. Wenn die sexuelle Lust eines Mannes zusammengepackt wird mit der Aggression eines Kriegstreibers und mit der Machtlust eines Herrschers, dann erzeugt ein solches Gottesbild entsprechende Verknüpfungen in der Psyche der einzelnen Menschen und in der Struktur der Gesellschaft. Und weil in diesem Bündel auch noch die landwirtschaftlich dringend erwünschten Naturerscheinung Regen mitgedacht ist, bekommen Krieg und Größenwahn von diesem Gottesbild das Siegel aufgedrückt: Natürlich und unvermeidlich. So funktioniert Kanaan. Das Götterpantheon ist der normierende Diskurs einer polytheistischen Kultur. Wer den König kritisiert, begeht Frevel gegen Ba'al, dessen Regen wir doch so dringend brauchen.

Es gibt keinen "übertragenen" Sinn

Das Gewitter sei die Wirklichkeit, der Wettergott nur eine Metapher dafür. Diese Unterscheidung von Wirklichkeit und Metapher, von direktem Sinn und übertragenem Sinn, ist eines der gebräuchlichsten Instrumente moderner Menschen, um in der eigenen, naturwissenschaftlichen, materialistischen Wirklichkeitsbestimmung verharren zu können und den Wirklichkeitsbestimmungen anderer Kulturen deutlich weniger Relevanz zu zugestehen. Solchermaßen abgeschoben ins Reich des beliebig übertragbaren Sinns, werden Mythen und andere Kulturäußerungen aber nicht recht verstanden, insbesondere wird ihre Macht über die damaligen Menschen nicht verstanden und das mächtige Weiterwirken der vergangenen Kulturen in der eigenen genauso wenig. Spielen wir die Unterscheidung durch: Ba'al ist "in Wirklichkeit", also im direkten Sinn das Gewitter. Dann wären der stürmische Liebhaber und der kriegerische Eroberer nur Metaphern? Oder: Der stürmische Liebhaber sei der direkte Sinn, "die Wirklichkeit". Dann ist das Gewitter eine Metapher dafür und der Eroberungskrieg eine andere Metapher? Das Gewitter ist wirklich, der Krieg ist wirklich, das Macho-Gebaren ist wirklich. Jedes der drei ist Wirklichkeit im "direkten" Sinn. Und mit der Verkoppelung dieser drei Wirklichkeiten in einem Gottesbild wird jede dieser Wirklichkeiten zur Bekräftigung der beiden anderen. Judith Butler würde es vielleicht "Naturalisierung" nennen. Jede der drei Wirklichkeiten verhilft den beiden anderen zum Anschein von Natürlichkeit. Das Gewitter ist natürlich, der Krieg ist ganz natürlich und das Macho-Gehabe ist ganz naturgegebene Männlichkeit. Nichts davon ist freies Spiel der Metaphorik, sondern gefangen sind die Menschen, ihr Denken und Fühlen, ihr Reden und Handeln, in diesem Muster. Nur wenn man die geballte Macht dieser gegenseitigen Bestätigungen begreift, und die Gefangenschaft der Kultur in diesen Mauern erahnt, entsteht das Verständnis für die Schwierigkeiten auf dem Weg der Befreiung.

Himmelsgoettin-Nut-und-Erdgott-Geb

Ägyptisches Weltbild aus dem Greenfield Papyrus:
Oben die Himmelsgöttin Nut,
unten der Erdgott Geb
dazwischen und drum rum ein paar andere Ägypter.

JHWH kommt aus Ägypten

In Ägypten ist alles verkehrt herum, so klagten schon die alten Griechen: "Dort pinkeln die Frauen im Stehen, die Männer im Sitzen". Die Zeiten haben sich geändert. Von Herodot aus gesehen bin ich ein Ägypter, aber nur unter der Bedingung, dass die Frauen nicht altägyptisch auf die Toilette gehen. Kultur ist in Bewegung. Der größere Happen der verkehrten Welt Ägyptens liegt allerdings nicht in der Toilette, sondern bei den Göttern. Die Himmelskönigin Nut spannt sich als großer Bogen über die ganze Welt. Der Himmel ist bei den Ägyptern eine Frau und die Erde ein Mann. Damit hat Ägypten zwar auch ein zweigeschlechtliches Weltbild, wie manche andere aus dem Neolithicum hervorgegangene Kultur, nur sind die Pole halt vertauscht. Die Verteilung und Gewichtung der Geschlechterrollen in den Weltbildern sind also keineswegs "natürlich".

Der Osthorizont ist die Gebär-Öffnung von Mama Himmel, aus der jeden Morgen die Sonne schlüpft.

Der Westhorizont ist dann der göttliche Mund, der allabendlich den Sonnengott wieder verschluckt.

Der Erdgott Geb wird meistens ein bisschen kleiner dargestellt als seine weltumspannende Partnerin. Er liegt halt unten, ist der Boden und tut nichts.

So ist die Rollenverteilung zwischen Himmel und Erde in Ägypten. Dies nur als Hintergrund, um zu erahnen, was die Auswanderung aus Ägypten und Einwanderung nach Kanaan für die Migranten und Migrantinnen bedeuten könnte. Sie kommen in eine andere Welt, auch in eine anders bebilderte Welt. Was macht das mit ihnen und was machen sie dann mit ihrem Gott? Dürfen wir ihnen eine gewisse Verunsicherung zugestehen? Und ja, ich halte den Exodus für notwendigerweise historisch, um die weitere Religionsgeschichte zu verstehen.

Vor dem binären Hintergrund spielt die weitere Geschichte:

Was braucht ein Mensch zum Beten?

Vor dem skizzierten syrisch-kanaanäischen Hintergrund spielt die nächste Geschichte: Wir lesen sie unter der scheinbar konservativen Fragestellung: Was braucht ein Mensch zum Beten?

In Damaskus hatte der Ba'al Hadad den Beinamen Rammon, das bedeutet der Brüller. Als ob Donnern nicht reichen würde, er muss der Brüller sein. In Israel wurde Rammon verändert zu Rimmon, das ist der Granatapfel. Das erinnert an den Lebensbaum der Aschera, der meistens mit Granatäpfeln geschmückt war. Und mit der Namensmodulation werden die religiösen Akzente verschoben: Vom Ba'al Rammon, dem imposanten Brüller zum Ba'al Rimmon, dem wohlschmeckenden Granatapfel. Die Geschichte geht so:

Ein syrischer Offizier namens Naäman, so wird erzählt, litt unter einem Hautauschlag, vielleicht sogar Lepra, und weil er in Syrien keine Heilung fand, wurde er von seiner israelitischen Sklavin, wahrscheinlich eine im Krieg Erbeutete, nach Israel weiterempfohlen. Dort gäbe es einen JHWH-Propheten, der das heilen könnte, behauptete die Sklavin. Von der Geschichte interessiert uns jetzt mal nur der Schluss, die Vorbereitung zur Heimreise des Geheilten. Wir verhandeln hier noch nicht einmal das interreligiöse Toleranzedikt, das der Syrer sich vom JHWH-Propheten ausstellen lässt, sondern nur seinen Ritualbedarf, die Minimal-Ausrüstung für ein Heiligtum zu Ehren JHWHs. Wenn ein syrischer Offizier zuhause in Syrien den Gott Israels verehren will, was braucht er dann zum Beten? Natürlich Erde aus Israel!

Die religiöse Qualität der Erde

Nochmal langsam: Der Syrer bittet den JHWH-Propheten darum, er möge doch zwei Maultierladungen Erde aus Israel mitnehmen dürfen, damit er dann auch zuhause in Damaskus weiterhin den Gott Israels anbeten könne. Er wird zwar weiterhin mit seinem König in den Tempel des Ba'al gehen müssen, das bringt seine gehobenen gesellschaftliche Stellung so mit sich und dafür bittet er um Verständnis beim Gott Israels (der Prophet Israels erlaubt es ihm, obwohl dieser Prophet sonst erbittert kämpft gegen alle Ba'alim), aber für sich persönlich möchte der syrische Offizier in Zukunft lieber den JHWH anbeten. Eine Hauskappelle für den Gott Israels plant der Syrer, einen Herrgottswinkel für den von Syrien aus gesehen ausländischen Gott. Und dafür braucht er Erde aus Israel. Erde hat religiöse Qualitäten. Eine bestimmte Erde gehört zu einem bestimmten Himmelsgott. So denkt diese Erzählung. Was für ein Denken ist das?

Die Parzellierung des Himmels

Die Unterschiede in der Religionsausübung in den verschiedenen Städten und Regionen hatten anscheinend dazu geführt, dass der himmelweite Himmelsgott und die weltweite Erdgöttin in die Vorstellungen der Menschen aufgeteilt wurden. So wie die Erde eingeteilt wurde nach Königreichen und Herrschaftsgebieten, so wurde im Denken der Menschen auch der Himmel parzelliert. Im Himmel über Damaskus herrscht der Ba'al Hadad Rammon, im Himmel über Ugarit herrscht auch ein Ba'al, mit denselben Funktionen, Blitz, Donner und Regen, aber der hat keine oder andere Beinamen, oder er wird nach der Stadt genannt, zu der er gehört. Der ganze Himmel über dem vorderen Orient glich einer Schrebergartenkolonie, mit einem Göttergärtchen neben dem anderen. Und zu jedem dieser parzellierten Himmelsstücke gibt es als Gegenstück eine für das jeweilige Landstück zuständige Erdgöttin. Die Zuordnung einer Aschera zu ihrem jeweiligen Ba'al war so festgezurrt in den religiösen Gefühlen der Menschen, dass zur korrekten Kultausübung, also zum Beten, zum Opfern, zum Feiern für einen bestimmten Himmelsgott quasi als irdische Basis ein Stück Erde aus dem zugehörigen Gebiet notwendig war. Wer JHWH, den Himmelsgott Israels anbeten will, braucht Erde von Israel. Das binäre Weltmodell wird fortgeführt, aber die Zerstückelung der Erde in Staaten führt zur Zerstückelung des Himmels. So eng sind Himmel und Erde aneinander gebunden. Die Geschichte mit den zwei Maultierladungen Erde steht in der Bibel, im zweiten Buch der Könige, Kapitel 5.

Nur in den Köpfen der Heiden?

Es könnte die Versuchung aufkommen, dass diese enge Verknüpfung von regionalem Himmelsgott mit regionaler Erdgöttin nur in den Vorstellungen von heidnischen Völkern existiert habe. Syrische Offiziere dürfen so heidnisch denken. Israel aber müsste mit seinem JHWH doch einen universalen Gott haben, der unabhängig ist von solcher Erdgebundenheit, so meinen moderne, universalistische Monotheismen. Gegen diese Versuchung hilft ein Satz von David, als er von Saul verfolgt wird und sich beklagt: "... die mich heute vertrieben haben und mich nicht nicht mehr am Erbteil des JHWH teilhaben lassen, sondern sagen: Geh hin, diene andern Göttern!" (1.Sam.26,19). Wenn David von der Erde Israels fliehen muss, so seine Klage, dann wird er damit auch aus der Anbetung des JHWH verbannt. Von der Erde Israels vertrieben zu werden, bedeutet zugleich: Geh und diene andern Göttern. Der Verlust der irdischen Heimat, ist zugleich der Verlust der Religionszugehörigkeit. In diesem Bibeltext zeigt sich bei David dieselbe Art des religiösen Denkens wie beim Syrer Naäman.

Diese Bibelstellen sind sehr nahe bei den Scherben von Kuntillet Ajrud

JHWH als Gott des Himmels über Israel hängt ganz eng zusammen mit der Erde Israels. So war zumindest damals das Empfinden der Menschen. Der Kampf JHWHs gegen Ba'al und Aschera war nur die eine Seite der in der Bibel beschriebenen Verhältnisse. Die anderen Bibelstellen zeigen bei den JHWH-Anhängern denselben innigen Zusammenhang zwischen Himmel und Erde, nur wurde da der Name Aschera beiseite gelassen. Wie diese ungenannte Rolle der Erde in der Religion damals und in der heutigen Religion am besten zu verstehen und zu beschreiben sei, ist natürlich ein theologisches Problem. Heutige Theologien sollten nicht so tun, als wäre es nur für die damalige Theologie und Religion ein Problem. Die Lebenskraft wegzudenken von der Erde, sie als tote Materie zu sehen, ist ein Kunststück, das erst von der modernen Industriegesellschaft zustande gebracht wurde. Und dieses böse Kunststück ist keine Lösung weder der theologischen noch der religiösen Probleme. Noch viel weniger ist es eine Lösung für die Zukunft der Menschheit und der Erde. Wenn diese Art des gegen die Erde gerichteten Tot-Denkens, der Inhalt des Monotheismus wäre, dann dürfte die Entstehung des Monotheismus nicht in vorexilischer Zeit, nicht im Exil, auch nicht in persischer oder neutestamentlicher Zeit verortet werden, noch nicht einmal im Mittelalter, wurde die Erde so tot-gedacht, sondern erst im Zeitalter der Industrialisierung. Und wenn das Tot-Denken der Erde Monotheismus wäre, wo liegt dann der Unterschied zum Atheismus? Diese Polemik richtet sich gegen die Überheblichkeit moderner Denkweisen, ohne eine abgesicherte Formulierung von Monotheismus bieten zu können. Die Religionsunterscheidung zwischen Kanaan und Israel, zwischen Ba'al und JHWH vollzieht sich geschichtlich an anderen Fronten, nicht an Zahlenspielchen und Logeleien. Der Monotheismus entwickelt sich an anderen Grenzen und in anderen Konfliktfeldern. Was also bedeutet das Weglassen des Namens Aschera? Was bedeutet die Nicht-Kommunikation oder Verdeckt-Kommunikation der Göttin?

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