Der Schatz von Kuntillet Ajrud und seine Bedeutung für JHWH, den Gott der Hebräer / Teil 2 / Dieser Artikel wurde veröffentlicht am 01Nov2020
› Die Inschriften und Zeichnungen von Kuntillet Ajrud › Typisch für JHWH › Die Erde von Kanaan › Die Erde von Israel › Bis zum Justizmord › Auf welcher Seite steht die Oberschicht? › Auf welcher Seite steht die bäuerliche Bevölkerung? › Die Grenze zum Ungewohnten
Die tatsächliche religiöse Situation der Hebräer in Kanaan wird auf ein paar Tonscherben, die auf dem Sinai ausgegraben wurden, viel präziser dargestellt, als in vielen theologischen oder religionswissenschaftlichen Theorien über die Entstehung des Monotheismus. Da steht der ägyptische Sklavengott Bes in doppelter Gestalt und umgeben von reichhaltigen Symbolen des kanaanitischen Aschera-Kultes. Was hat dieses fremdartige und unanständige Bild zu tun mit JHWH, dem Gott der Hebräer?
Nachzeichnung zu den Tonscherben von Kuntillet Ajrud, Pithos A, zwei Bes-Gestalten und die Harfenspielerin. Hier jetzt die wahrscheinlich richtigere Version mit nur einem Penis. Dazu Ze'ev Meshel *
So und so ähnlich steht es mehrfach auf den Tonscherben, die in Kuntillet Ajrud ausgegraben wurden. "JHWH und Aschera"? Bei allen nicht existenten Göttinnen und Göttern! Was für eine Religion soll das sein? Spüren Sie bitte das Entsetzen derer, denen der Name JHWH heilig ist. In diesen Inschriften wird JHWH gemeinsam mit der kanaanitischen Göttin Aschera um Segen gebeten, so als wären diese beiden ein heidnisches Götterpaar. Was für eine polytheistische Verirrung! So könnte das gefühlsmäßige Zurückschrecken heutiger Monotheisten in Worte gefasst werden. In was für einen Sumpf ist der heilige Name Gottes da hineingeraten?
Manche Theologen versuchen den Namen Gottes aus diesem Sumpf heraus zu ziehen mit der Zauberformel "von anderer Hand". An stilistischen Unterschieden der verschiedenen Zeichnungsteile soll gezeigt werden, dass die Gestalten von unterschiedlicher Hand, also von unterschiedlichen Künstlern gemalt wurden. Und die Überlappung von Schrift und Bild soll beweisen, dass beide nichts miteinander zu tun hätten. Aber wie soll man sich den religiösen Wechsel der Hände vorstellen. Kam da zuerst ein frommer JHWH-Anhänger und hat den JHWH-Segen auf den Krug geschrieben, danach eine Aschera-Verehrerin, die flugs den Pinsel ergriff und die ganzen Symbole ihrer Göttin dazu malte. Danach findet ein ägyptischer Karikaturist den Krug und hat natürlich auch grad den Pinsel zur Hand, um die eine Bes-Gestalt zu malen, und sein Auszubildender darf dann auch noch einen Bes probieren, nicht ganz so geschickt wie der Meister. War Kuntillet Ajrud vielleicht eine Karawanserei die kurz hintereinander von Spähtrupps unterschiedlicher Reiche erobert wurde und jeder hat seine Kritzeleien auf die Krüge gemalt? Oder war es ein esoterisches Kreativ-Seminar für Wochenend-Touristen zur stillen interreligiösen Diskussion auf Tonkrügen? Sorry für meine Albernheiten, sie werden der Bedeutung dieser Ausgrabungsfunde nicht gerecht. Die Zauberformel aber auch nicht.
Die Texte sind genauso befremdlich wie die Zeichnungen. Juden und Christen freunden sich nur sehr langsam an mit dem, was die Archäologen da auf dem Sinai ausgebuddelt haben. Manche Theologen versuchen die Situation zu retten, indem sie die Aschera hier nicht als Göttin, sondern möglichst abstrakt als eine von JHWH ausgehende Lebenskraft interpretieren. Dazu würde die etwas andere Lesart der Texte passen: "JHWH und seine Aschera". Indem aus einer selbständig neben JHWH stehenden Aschera "seine" Aschera gemacht wird, soll sie zu einer bloßen von JHWH ausgehenden Wirkung werden. Aber so leicht wird man die Göttin nicht los. Alle Lebens- und Segenskräfte, die zum Beispiel mit dem Lebensbaum-Motiv dargestellt werden, sind im kulturellen Umfeld Kanaans ganz eng auf die Göttin Aschera bezogen. Der Lebensbaum zwischen zwei Steinböcken ist Aschera's Bild, besonders wenn er über einem Löwen stehend gezeigt wird. Auch die Kuh, die ihr Kalb säugt, verweist auf die Göttin in ihren unterschiedlichen Namen und Variationen, Astarte, Anat oder eben Aschera.
Dem Konflikt um die Göttin zu entgehen, durch feinere Auslegung ihrer Erscheinungsformen, ist sicher ein Stückweit ehrenvolles Bemühen um das richtige Verstehen, aber könnte Entschärfung manchmal auch kontraproduktiv sein? Von den Abstrahierungsversuchen ist die Redeweise von der "Transparenz" noch am sinnvollsten. Die Bilder seien transparent auf die Göttin hin, so werden an verschiedenen Stellen die Darstellungen interpretiert. Mit dieser Formulierung wird die Interpretation wohl dem mehrschichtigen Empfinden vieler alter Kunstwerke gerecht und man entgeht der plumpen Versachlichung: Das ist die Göttin. Aber zuviel an wissenschaftlicher Differenziertheit hilft den Nicht-Fachleuten wenig für den Umgang mit den skandalösen Funden und noch weniger zum religiösen Umgang mit den biblischen Texten. Wissenschaft wird ab einem gewissen Grad der Nuancierung zum Selbstberuhigungsmittel für ein Prozent der Bevölkerung aber für die Übrigen zur Verschleierung und Verunklarung.
Zeichnung aus Kuntillet Ajrud, Pithos A Rückseite, Aschera als Lebensbaum, flankiert von zwei ziegenartigen Tieren, über dem Löwen stehend
Aschera füttert ziegenartige Tiere, Elfenbeinschnitzerei aus Ugarit, ca. 1250 v.Chr., Louvre, cc-by-sa Rama
Es gibt viele solcher Darstellungen wahlweise mit der Aschera in Gestalt des Lebensbaumes
oder mit der Aschera in Gestalt einer Frau über dem Löwen stehend und flankiert von Capriden.
Der Lebensbaum und die Frauengestalt bedeuten dasselbe, nämlich die Göttin.
Die Bilder von Kuntillet Ajrud quellen über vom Lebenskraft- und Fruchtbarkeits-Kult der Kanaaniter. Scheinbar unbefangen wird da der Aschera gehuldigt, den Feministinnen zur Lust, den Monotheisten zum Graus und feministische Monotheistinnen geraten in den Zwiespalt. In der Bibel gibt es Lob, wenn ein König die Aschera hinauswirft aus dem Tempel. Und es gibt Kritik, wenn ein König für die Aschera auf den Höhen opfert. Aschera gehört zum Feindbild, meistens. Sie wird oft in einem Atemzug mit Ba'al, dem kanaanitischen Himmelsgott genannt. In diesem Muster wurden die biblischen Texte gelesen: JHWHs Anhängerschaft kämpft gegen Ba'al und Aschera. Diese beiden sind die Hauptgottheiten der polytheistischen Fruchtbarkeitskulte in Kanaan. JHWH dagegen steht für den moralischen Monotheismus. So schien der Frontverlauf zwischen gut und böse eindeutig geregelt. Die Tonscherben von Kuntillet Ajrud liegen quer zu diesem Frontverlauf und längst wurden viele weitere Ausgrabungsfunde dazu gelegt, meist Aschera-Figürchen in den Häusern der Israeliten. Das sind keine vereinzelten Irrläufer, sondern das ist zumindest die Volksreligion. Die Archäologie stellt den aus der Bibel gewohnten Frontverlauf heftig in Frage. Auf den Tonscherben ist positiv von JHWH die Rede, aber weder die Worte noch die Bilder passen in die gewohnten Vorstellungen von einer monotheistischen und bilderlosen Religion.
Wir greifen zurück auf ein paar klassische Betrachtungsweisen der altisraelitischen Religion, aus der Zeit vor den Ausgrabungen von Kuntillet Ajrud.
Eine starke Charakteristik des JHWH-Glaubens ist das von den Kanaanitern abweichende Bodenrecht. In den kanaanitischen Stadtstaaten gehörte der Grund und Boden dem jeweiligen König. Dieser galt als Sohn des jeweiligen Himmelsgottes. Göttliche Abstammung war in vielen alten Kulturen das entscheidende Qualifikationsmerkmal um König zu werden. Aus heutiger Perspektive wird dieser Topos der altorientalischen Königsideologie nicht nur als ein starkes Legitimationsinstrument des Königs verstanden, sondern noch grundsätzlicher als staatsbildende Funktion der Religion. Mit welchem DNA-Test die Vaterschaft Ba'als für seinen herrschenden Sprössling nachzuweisen war, lassen wir jetzt mal außer Acht, nur soviel: Es hat mit dem Totenreich zu tun. Seinen Palast baute der König direkt neben dem Tempel seines Vaters Ba'al. Der Herr des Himmels, Ba'al, und sein erwählter Sohn, der König, wohnten Wand an Wand in familiärer Verbundenheit. Dementsprechend war die Rechtslage. Staat und Religion waren in jedem der kanaanitischen Stadtstaaten auf das Engste miteinander verflochten. Die Propheten des lokalen Ba'al fungierten in vieler Hinsicht als religiöse Legitimierer des Königs, vereinfacht gesagt als seine Claqeure.
Für JHWH-Anhänger dagegen galt das Land, die Erde, der Ackerboden als Eigentum des JHWH. Jeder Grundbesitz war sozusagen ein Erbpachtstück, das im Losverfahren jedem Stamm und jedem Clan von JHWH zur Verfügung gestellt worden war. Bei der Austeilung des Landes wurden die Lose als "Schnur" bezeichnet, wahrscheinlich weil mit der Schnur abgemessen wurde. Jede Familie bekam ein Stück Erde "zugeschnurt". In der Folge davon kann das hebräische Wort für Schnur auch ein Landstück oder einen Landstrich bezeichnen. Wir ahnen etwas von der Bedeutung der roten Schnur im Haus der Hure Rahab. Bei jedem landwirtschaftlichen Fest wurde gefeiert, dass JHWH sein Versprechen gehalten hat, den Israeliten eine Erde zu geben, wo Milch und Honig fließen. Und eigentlich musste laut Rechtsvorschrift das Land in jedem fünfzigsten Jahr, dem Jobeljahr, neu verteilt werden. So steht es zumindest im Gesetz des Mose. Alle fünfzig Jahre wurden die Besitzverhältnisse eingeebnet. Das Eigentum am wichtigsten Produktionsmittel, dem Ackerboden, konnte nicht über Generationen vergößert werden, bis einigen reichen Familien das ganze Land gehörte und die glückloseren oder ungeschickteren Familien nichts mehr hatten, sondern das Jobeljahr schuf gleiche Startchancen für die ganze neue Generation. Kauf und Verkauf von Grundstücken war sozusagen immer nur ein Zeitvertrag bis zum nächsten Jobeljahr. Man kaufte nur die Zahl der Ernten, die bis dahin noch ausstand, das Land selbst war unverkäuflich, es gehörte Gott, sprich JHWH. Nicht nur Boden-Verkäufe wurden in vorgeschriebenen Zeitrhythmen eingeebnet, sondern auch Schulden mussten in jedem siebten Jahr, dem Erlassjahr, erlassen werden und Sklaven hatten im Erlassjahr das Recht auf Freilassung. Das ganze Rechtssystem zielt auf Erhaltung einer egalitären Gesellschaft, nicht arm, nicht reich und eigentlich auch ohne König. Denn JHWH allein ist König. Dieser praktizierte Vorbehalt der JHWH-Religion gegen das Königtum hing eng zusammen auch mit dem rituellen Verständis von Erde und war ein explizites Konzept zur Verhinderung von Machtanhäufung. Was hat das mit der Entstehung und mit der Bedeutung von Monotheismus zu tun und warum fehlt es in manchen Monotheismus-Diskussionen?
Eine berühmte biblische Darstellung des Konflikts zwischen JHWH und Ba'al ist die Erzählung von Nabots Weinberg. Der Israelit Nabot hatte sich geweigert, seinen Weinberg dem König Ahab zu verkaufen. Ahab war König von Israel, war aber kein treuer JHWH-Anhänger, sondern tendierte eher zur Ba'als-Religion, zumindest wird es in den biblischen Texten so bewertet. Isebel, seine Königin, stammte aus Sidon, dachte kanaanitisch und war ausdrückliche Anhängerin Ba'als. Gegen das israelitische Bodenrecht behalf sie sich mit einer Intrige. Sie bestach Zeugen und beeinflusste Richter, bis der unschuldige Weinbergbesitzer Nabot in einem inszenierten Prozess zum Tode verurteilt und gesteinigt wurde. Aber noch während König Ahab den Weinberg in Besitz nimmt, den seine Frau ihm so trickreich besorgt hat, kommt der JHWH-Prophet Elia mit dem Fluch zu Ahab: "Du hast gemordet und fremdes Erbe geraubt. An der Stelle, wo Hunde das Blut Nabots geleckt haben, werden Hunde auch dein Blut lecken". In dieser Erzählung sind einige wichtige Besonderheiten des JHWH-Glaubens zusammengefasst: Das andere Bodenrecht, die Parteinahme für die Schwachen, in diesem Fall Nabot, und die Kritik-Bereitschaft der JHWH-Propheten gegen die Macht des Königs. Ausgleichendes Bodenrecht, Schutz der Schwachen und Kritik am König, diese drei Elemente sind typisch JHWH.
Während die kanaanitischen Könige als Söhne ihres jeweiligen Ba'al quasi göttliche Souveränität hatten über ihren Stadtstaat, also ihr Stückchen Erde, mussten sich die Könige in Israel immer mit einer königskritischen Rechtslage und mit einer Gegenöffentlichkeit in Gestalt der JHWH-Propheten herumschlagen. So klingt das in den biblischen Schriften. Und vielen Königen Israels wird im Nachhinein vorgeworfen, sie hätten geliebäugelt mit der Religion der Kanaanäer. Natürlich hätte man es als König nach kanaanitischem System sehr viel problemsloser gehabt als mit dem JHWH und seinen Propheten. Auch die Oberschicht in den Hauptstätten Jerusalem und Samaria dürfte oft Sympathien gepflegt haben für Ba'al und Aschera. Diese Paarung war prestigeträchtiger als JHWH. Man hätte auf den aus Ägypten mitgebrachten JHWH gerne verzichtet. Die Anpassung an den königlichen, kanaanitischen Stil war viel vornehmer, als die bäuerliche Sozialverpflichtung der JHWH-Religion. Die vielen Aschera-Figürchen der Archäologie passen nicht nur als Volksreligion, sondern entsprechen auch der Interessenlage der gehobenen Schichten.
Die freien Bauern Israels legten dagegen auf JHWH großen Wert. Sie pflegten seine Traditionen. Die für JHWH Partei ergreifenden Bauern werden in der Bibel oft zusammengefasst unter dem Begriff "Aam Ha-Aretz", das Volk der Erde. Diese Leute stehen öfter mal im Gegensatz zur Stadtbevölkerung. Versuchen wir hier die archäologischen Ergebnisse, die Aschera-Figürchen in vielen Häusern, mitzudenken: Die Fruchtbarkeit der Erde, also die Aschera-Kräfte, standen für die meisten Bauern anscheinend in guter Harmonie zu JHWH. Auch als Viehzüchter dachten sie in Fortpflanzungsverhältnissen. Welcher Stier soll mit welcher Kuh gepaart werden? So wurde auch das Weltbild verstanden. Die goldenen Kälber als Gottesbilder kommen nicht von ungefähr. JHWH war den Bauern zwar lieb und wert als ihre direkte Interessenvertretung, aber monotheistische Skrupel waren ihre Sache nicht. Die Idee von einem einzigen Gott war zunächst eine sehr theoretische und sehr langfristige Entwicklungsfrage. War es vielleicht nur eine kleine Avantgarde, die monotheistische Ideen propagierte? Oder noch konsequenter: Entstand die monotheistische Idee erst nach dem Untergang der Königreiche von Jerusalem und Israel, als eine Art historischer Analyse, was hätte anders laufen müssen? So denken viele Theologinnen und Theologen angesichts der archäologischen Befunde: Kein Mose, kein monotheistisches Gesetz in Israel während der Königszeit oder noch früher, sondern erst im babylonischen Exil oder danach sei der Monotheismus entstanden? Wird dieses theologische und philosophische Denken der JHWH-Religion gerecht? Und selbst wenn die Entstehung des Monotheismus so gewesen wäre, müsste diese Entstehungsgeschichte rückgekoppelt werden zur Erde. Mit der Wegführung ins Exil verloren die Weggeführten den Kontakt zur Erde Israels. Was verändert sich da an den Erfahrungen mit JHWH? Und was waren die Erfahrungen vor dem Exil, wenn sie nicht als monotheistisch bezeichnet werden sollen?
› zum Seitenanfang › Die Grenze zum Ungewohnten › Gruselige Zustände › Dejá vu › Was von unserem Leben werfen wir an den Himmel? › Polytheistisches Gedankenspiel mit Götterpärchen › Was bestimmt uns bei der Festlegung der Fronten? › Die Einwanderungskultur zwischen Mitgebrachtem und Vorgefundenem › Die geschlechtliche Ebene
Lesen wir die Texte nochmal nach, die den gewohnten Frontverlauf zwischen JHWH und Aschera bildeten: Im zweiten Buch der Könige lobt die Bibel die große Reform des Königs Josia, der sich ganz auf JHWHs Seite stellte. Der zentrale Punkt seiner Reform bestand darin, dass der König die Aschera aus dem Tempel in Jerusalem hinauswerfen ließ. Die Aschera muss wohl ein hölzener Gegenstand, eine Säule, ein Pfahl oder eine Statue gewesen sein. Sie wurde draußen am Bach Kidron verbrannt (2. Könige 23,6). Bei der Reform wurden auch gleich die Häuser der Tempelhurer abgerissen, in denen Frauen die Gewänder für die Aschera webten. Wer die Tempelhurer waren, wird unterschiedlich diskutiert, aber Aschera hat mit Textilien zu tun, das scheint wesentlich dazu zu gehören. Und bei Josias Reform werden außerdem viele der sogenannten »Höhen«, auf hebräisch Bamoth, abgebrochen, insbesondere die Höhen der Bocksgeister, die vor den Stadttoren Jerusalems waren. Höhen müssen eine Art Freiluft-Heiligtümer gewesen sein, Opferstätten ohne Tempelgebäude.
Da müssen ja seltsame Zustände geherrscht haben mitten in der heiligen Stadt Jerusalem. Viele für uns ungewohnte religiöse Elemente werden da genannt: Tempelhurer, Opferhöhen, Bocksgeister. Für heutige Anhänger einer monotheistischen Religion ist das ein grausiges Sortiment in Ascheras Gefolge. König Josia scheint auf der Seite unserer gewohnten Religion zu stehen. Er geht energisch vor gegen das uns Ungewohnte. Ist die Frontlinie so klar? Aus der archäologischen Sicht der Dinge stellen sich ein paar alte Fragen verstärkt: Wann war die kanaanitische Göttin Aschera denn eingezogen in den Tempel von Jerusalem, und übrigens auch in den von Samaria? Was hatte sie zu suchen in den Wohnungen JHWHs? Traditionell war bei der Bibellektüre unterstellt worden, dass die Israeliten mit einem sauberen, monotheistischen Glauben gestartet waren mit Mose beim Auszug aus Ägypten. Dann hätte sich Aschera mitsamt ihrem grausigen Gefolge nachträglich hineingeschlichen in die Häuser und Tempel? Das gehäufte Auftreten der Aschera spricht eher dafür, dass da von Anfang an manches vielleicht nicht so klar war. Oder wann war das "nachträglich"? Vielleicht ziemlich am Anfang, nämlich bei der Einwanderung?
Josia ist nicht der erste und einzige König, der gegen Aschera vorgeht. Schon einmal hatte es biblisches Lob gegeben damals für König Asa im ersten Buch der Könige. Dort steht (im Ersten Buch der Könige, Kapitel 15, Verse 11-14):
"Und Asa tat, was richtig war in JHWHs Augen, wie sein Vater David. Er entfernte die Tempelhurer von der Erde und tat alle Götzenbilder weg, die seine Väter gemacht hatten. Auch seine Mutter Maacha setzte er ab, aus der Stellung der Gebieterin, weil sie der Aschera ein Standbild gemacht hatte. Und Asa zerschlug ihr Standbild und verbrannte es am Bach Kidron. Die Höhen wurden zwar nicht entfernt, aber Asas Herz war ungeteilt beim JHWH sein Leben lang."
Diese zwei Könige, die also im weiteren Verlauf der Bibel-Entstehung als JHWHs Parteigänger bewertet wurden, zeigen beispielhaft die Front im Dauerkonflikt zwischen Ba'al und JHWH. Die Erde, also Aschera, wird in diesen beiden Fällen der Partei Ba'als zugeordnet, zu dem sie ja traditionell in Kanaan gehörte. Und die Feministinnen bestärken sich in ihrem Verdacht, dass die JHWH-Religion patriarchalistisch gegen die Weiblichkeit vorgeht. Ist das die Frontstellung? Wurde der Konflikt von den Zeitgenossen auch so wahr genommen? Oder war es die Einschätzung späterer Generationen, die in diesen biblischen Texten niedergeschrieben wurde? Oder ist es die Einschätzung noch späterer Generationen, die so die Bibel interpretieren? Niemand hat je die Bibel ganz ohne Scheuklappen gelesen, denn jeder Mensch gehört zu einer Kultur, einer Gesellschaft, einem Sklavenhaus. Exodus ist ein fortdauernder Prozess. Angesichts der archäologischen Fundlage könnte Aschera vielleicht eher als Zankapfel gelten zwischen Ba'al und JHWH. Um die Erde wird gestritten. JHWH und Ba'al sind zwei Arten, den Himmel zu sehen.
Manche Israeliten wollten vielleicht Aschera gerne an der Seite JHWHs sehen, als seine Partnerin. Die anderen meinten, sie gehöre zum Ba'al, also zum Feind. Und wieder andere lebten, als ginge es nur um Ba'al und Aschera, denen erschien JHWH nur als störend. Es segne dich JHWH und Aschera, so steht es - außerbiblisch - auf den Scherben von Kuntillet Ajrud. Und in den meisten Häusern der Israeliten finden sich Tonfigürchen von Aschera. Mit welchem Himmelsgott gehört sie nun zusammen, die Erde, alias Aschera? So würde die Frage lauten innerhalb des Denksystems von Sexualität und Fortpflanzung. Haben die Könige Josia und Asa über dieses System hinaus gedacht? Hatten sie etwas jenseits des binären Weltbildes der Viehzüchter und Ackerleute? Oder ist es historisch wirklich so undenkbar, hätte es den zeitgenössischen Horizont so weit überstiegen, etwas jenseits der Geschlechter zu denken, dass solche Gedanken autmatisch späteren Jahrhunderten zugeschrieben werden müssen? JHWH als Gott jenseits der Paarungen, muss das der Horizont der späteren Generationen sein? Was war es dann, was diese Könige da trieben, denn als bloße Erfindung späterer Zeiten lassen sich die Texte bestimmt nicht erklären. Bewertungen und Stilisierungen mögen später dazu gekommen sein, aber die Konflikte gab es schon in der Königszeit, die Konflikte um JHWH und Aschera. JHWH als Gott jenseits der Paarungen muss wohl ein ganz seltsamer Ausländer sein, denn in Kanaan besteht die ganze Welt aus Paarungen.
Asa und Josia waren nicht die einzigen, mindestens Hiskia wäre noch zu nennen, unter denen, die Aschera nicht in Jerusalem haben wollten. Die Holzsäulen der Aschera wurden öfter am Kidron verbrannt, scheinen aber immer wieder nachgewachsen zu sein. Die Einschätzung der Aschera, pro und contra, war verschiedenen Wellen unterworfen. Waren kanaanitisches Heidentum und israelitscher Monotheismus wirklich die Parteien? So sah es die traditionelle Bibellektüre. Oder war es die Front zwischen weiblichen und männlichen Religionsbildern? So interpretieren es manche Feministinnen. Oder zwischen Urbanisierung und Landwirtschaft? Damit arbeitet die Soziologie an vielen Stellen, aber in Kanaan hängen sowohl die Städte als auch die Landleute sehr an Ba'al und Aschera. Oder verläuft die Front zwischen alphabetisierter Bildungsschicht und ungebildeten Leuten? Die JHWH-Religion hat viel mit dem Alphabet zu tun, aber auch viel mit den Benachteiligten. Die JHWH-Propheten sind zugleich die Sozialrevolutionäre, also Bildungsschicht und Unterschicht auf einer Seite der Front, wer auf der anderen? Oder ist es die Front zwischen allgemeiner Volksreligion (Aschera zusammen mit JHWH) und kleiner Avantgarde (nicht-binärer JHWH)? Unterschiedliche Fronten sind denkbar, manche lassen sich ausschließen, manche passen nicht ganz. Spüren wir das Paarungsdenken auch in unseren modernen Erklärungen der geschichtlichen Konflikte? Nicht nur die Liebe wird in Paarungen gedacht, sondern ebenso der Hass. Welche Gegenüberstellung mobilisiert bei uns welche Sympathien? Männlich gegen weiblich, arm gegen reich, sexy gegen prüde, urban gegen rustikal, binär gegen non-binär, "whats your ism"? Wo fallen wir auf unsere eigene Zeit herein, wo auf unsere eigenen Bedürfnisse, wo auf unser eigenes Weltbild. Wo bestimmt uns immer noch das paarige Weltbild der landwirtschaftlichen Kulturen? Sich selber zu hinterfragen ist nötig um den Horizont des Verstehens zu erweitern.
Die Kämpfe gegen die Aschera und die Synkretisierung mit ihr verlaufen in Wellen. Es ist ein Hinundherschwanken der Einwanderer zwischen ihrer mitgebrachten Geschichte und dem Sicheinlassen auf das Einwanderungsland, auf Kanaan, auf die kanaanäische Erde.
In der späteren Entwicklung der monotheistischen Religionen wird die Aschera-Feindlichkeit gleichgesetzt mit Monotheismus. Die Synkretisierung hingegen, die Verbindung von JHWH-Glauben und Aschera-Glauben wird abgelehnt und verurteilt. Allerdings geschieht diese Ablehnung nur an der Oberfläche. Die Synkretisierungen werden ins Unbewusste verschoben und bilden ein gefährliches Gemenge in den Tiefen der religiösen Seele. Die Aversion moderner Bibelleser*innen gegen Aschera besteht aus mehreren Schichten. Die moderne Schicht (mit Hexenverfolgung und Industriezeitalter) ebenso wie die indoeuropäische (bis zur klassischen Antike) und eventuell davon gesondert die bronzezeitliche (befestigte Städte) sind ausdrücklich patriarchal, mögen also keine eigenmächtige Göttin, sondern nur eine unterworfene. Dabei sind diese patriarchalen Aversionen gegen die Göttin keineswegs monotheistisch. Schon die Polytheismen sind patriarchal. Aschera hat einen kriegerischen Ba'al als Partner. Demeter gehorcht dem himmlischen Clan-Chef Zeus. Diese patriarchalen Entwicklungen wurden nicht vom Monotheismus erzeugt. Die monotheistischen Ideen in ihrer Entstehungsphase sind eher non-binär als patriarchal. Wenn moderne Monotheisten sich mit den Anti-Aschera-Kämpfen der altisraelitischen Könige und Propheten identifizieren, verwechseln sie ihre eigenen, vielschichtigen Motivationen mit denen der hebräischen Einwanderungskultur. Wenn moderne Feministinnen pro Aschera kämpfen, geraten sie leicht in die Partei Ba'als. Und wenn moderne Neopagane mit Aschera die Erde retten wollen, haben sie weder Aschera noch die Erde verstanden, insbesondere nicht die Irrtümer der Erdlinge im Verhältnis zu sich selbst.
In alten Kulturen wurde meist nicht unterschieden zwischen Weltordnung und Gesellschaftsordnung. Versuchen wir das Verstehen hier mal auf der persönlichen und geschlechtlichen Ebene. Wir folgen dem Muster Mann-Frau: Aschera, die Frau, wurde also öfter rausgeworfen, wohnte dann aber doch wieder ein paar Menschengenerationen lang in JHWHs Haus und wurde wieder rausgeworfen. So ging das - laut Bibel, naiv gelesen - durch die ganze Königszeit. Hatte die keinen Stolz, kein Selbstbewusstsein, die Frau Aschera? Wenn JHWH ein Mann wäre, dann müssten wir diese Bibelstellen als die Beschreibung einer chronisch turbulenten Beziehung interpretieren. Mit ihr kann er nicht und ohne sie will er nicht sein. Mit ihm will sie nicht und ohne ihn kann sie nicht sein. Bei solchen Verhältnissen ist entweder sie die Drama-Queen oder er der King of Rock'n Roll. Passt diese Kuh zu diesem Stier? Nein, sorry, das war jetzt nicht blasphemisch gemeint. Alle Drama-Queens und -Kings und Elvis-Fans bitte ich um Verzeihung. Tiernamen werden nur in unserer Sprache als Beleidigung verwendet. Kuh und Stier sind in anderen Kulturen ehrenvolle und starke Gottesbilder. Landwirtschaft und Beziehungsprobleme passen aus unserer Perspektive nicht so ganz als Beschreibungsmuster für Religion. So darf man von Gott nicht reden! Sagt der Monotheismus. Von Göttinnen schon eher? So die ironische Gegenfrage aus feministischer Sicht, um die Ehre der Göttin zu verteidigen. Bitte überprüfen Sie Ihre Gefühle! Hängt bei Ihnen die Ehre Gottes zusammen mit der Männerehre? Wenn ja, dann beten sie auch goldene Stier-Kälber an? Wenn nein, warum sind dann die Worte Gott und Göttin nicht gleichwertig? Welche Frontverläufe aus der Vergangenheit sind eingebacken in den scheinbar sauberen Monotheismus? Natürlich sind es nur die Menschen, die die Turbulenzen machen, aber ist die Grenze wirklich so klar, zwischen den JHWH-Gläubigen und den Aschera-Kulten? War sie den Menschen damals immer so klar, wie moderne monotheistische Religionen meinen, dass sie hätte sein müssen? Sind die Tonscherben von Kuntillet Ajrud wirklich so weit weg von den biblischen Geschichten, dass Bibelgläubige sie verachten dürften? Bitte betrachten Sie die fremdartigen Bildchen und Inschriften mit ein bisschen mehr Respekt und vor allem mit mehr Liebe - beides meine ich ernst - denn diese Scherben sind der älteste bisher gefundene archäologische Nachweis des Gottesnamens JHWH.
Zitat von Ze'ev Meshel, dem Ausgräber von Kuntillet Ajrud, aus dem facebook-account
von HaAretz, Eintrag am 4. April 2018:
"When the pottery vessels were discovered they were covered with soot.
We knew that we had to [be careful] when cleaning them, [and couldn't] scrub or wash them.
... The bottom part of the smaller figure was covered with soot, but the artist assumed that
if the bigger figure had something between its legs, then the other one did as well. But as
the years went by, the soot cleared up. One day archaeologist Uzi Avner called me and told me
that he was looking at the exhibits at the Israel Museum and that he thinks the smaller
figure has nothing between its legs. We rushed to the museum and they opened the display
case for us. We had the Israel Museum restorer with us, who promised me that he had
gentle hands, and with a light brush he cleaned it and it turned out that there was nothing ..."
Es geht um die Frage, ob von den beiden Bes-Gestalten, eine männlich und eine weiblich ist. Dann steigt
nämlich die Wahrscheinlichkeit, dass diese beiden Gestalten JHWH und Aschera darstellen sollen. Unabhängig
davon meine ich, dass Aschera in den übrigen Zeichnungen stark vertreten ist und dass JHWH auf
jeden Fall als Bes gemeint ist, egal ob in einfacher oder in doppelter Gestalt. Die Doppelung des
männlichen Bes wäre vielleicht
sogar eine Annäherung an das Bilderverbot gewesen in Form einer Kollektivierung JHWHs.
Wenn dagegen die zweite Bes-Gestalt weiblich, also Beset ist, dann wird damit die Aschera integriert in
die ägyptische Herkunft des JHWH-Glaubens. JHWH als Bes und Aschera als Beset,
das wäre den Kanaanäern noch mehr ein Gräuel und den heutigen Theologen auch.
Alternativ wäre es denkbar, dass die Israeliten
sich selbst darstellten in den Gestalten von Bes und Beset, sozusagen ein Selfie als Mann und Frau.
Mit dieser Interpretation könnte das Bilderverbot berücksichtigt werden. Wobei ich nicht den
Eindruck habe, als würde das Bilderverbot im Tonbemalungs-Atelier von Kuntillet Ajrud besondere Beachtung finden.
Selbst wenn die hebräischen Künstler mit dem Bes primär sich selbst darstellen wollten,
säße ihr einzigartiger Migranten-Gott dabei irgendwie mit im Boot. Wie auch immer JHWH und Aschera,
Text und Bilder, Bes, Beset und Lebensbaum aufeinander bezogen oder von einander getrennt werden,
ist es immer das Dreieck aus Ägypten, Kanaan und Israel in inniger Verschlingung.