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Küstermann


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Klasse 8

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Martin Luther und die Juden

Zuerst war alles gut

Tora-Krone

Tora-Krone zum Schmuck und zum Schutz einer Tora-Rolle, Yeshiva University Museum

Im Jahr 1506 kaufte sich Martin Luther eine Hebräischgrammatik und fing an Hebräisch zu lernen. 1516 begann er, die Psalmen aus dem Hebräischen ins Deutsche zu übersetzen und wenige Jahre später drängte er die Universität Wittenberg eine komplette hebräische Bibel zu kaufen.

In seiner starken Zeit, als auch seine guten Erkenntnisse zum Evangelium entstanden, schien Luther alles richtig zu machen. In seiner Schrift "Dass Jesus Christus ein geborner Jude sei" aus dem Jahre 1523 fordert Luther die Christen dazu auf, das Gesetz christlicher Liebe an den Juden zu üben und sie freundlich anzunehmen. Man solle sie werben und arbeiten lassen in Gemeinschaft mit den Christen, damit sie Ursache und Raum gewinnen, bei uns (den Christen) zu sein, unsere christliche Lehre und Leben zu hören und zu sehen. Auch den Vorwurf, manche Juden seien halsstarrig, hält Luther für unwichtig, denn auch von den Christen seien längst nicht alle gute Christen.

Luther kritisiert ganz nüchtern an den Christen, dass sie den Juden verbieten, in der christlichen Gesellschaft zu arbeiten und zu hantieren (ein Handwerk auszuüben). Damit lässt man ihnen kaum noch andere Möglichkeiten, als durch Wucher (Geldverleih) ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Luther durchschaut die im Mittelalter weit verbreiteten Ritualmordlegenden als böse Verleumdung. In diesen schlimmen Anschuldigungen wurde behauptet, Juden würden christliche Kinder töten, um deren Blut für Zauber-Rituale zu verwenden. Solche Gruselgerüchte wischt Luther als "Narrenwerk" vom Tisch. Er kam zu dieser Einschätzung, obwohl er die älteren Versionen der Ritualmordlegende wahrscheinlich nicht kannte. Hätte er sie gekannt, wäre er in seiner Einschätzung bestärkt worden.

Es gibt auf dieser Seite keine weiteren Aufgaben.
Die Texte zu lesen und die Fotos anzuschauen ist schwer genug.
Es tut mir leid, dass ich Euch kurz vor den Ferien dies noch zumuten muss, aber Eure Kenntnis von Martin Luther hätte sonst eine gefährliche Lücke .

Kindermördervorwurf gegen die Christen

Der Kindermördervorwurf tauchte schon einige Jahrhunderte früher auf, und zwar ging es da nicht gegen die Juden, sondern es handelte sich um einen heidnischen Angriff gegen die Christen: Manche Römer bekämpften das Christentum mit der Behauptung, die Christen würden in ihren Ritualen kleine Kinder töten und essen. Es ist nicht ganz klar, ob dieser Vorwurf versehentlich entstanden war, oder als absichtliche Propaganda. Bei der christlichen Abendmahlsfeier werden tatsächlich die Worte Jesu zitiert: "Nehmt hin und esst, das ist mein Leib, der für euch gegeben wird" und "Nehmt hin und trinkt, das ist mein Blut vergossen zur Vergebung der Sünden". Falls die heidnischen Römer solche Worte vom christlichen Abendmahl gehört hatten, ohne den Zusammenhang zu verstehen, dann könnte das zu Missverständnissen und Gerüchten geführt haben. Aber dass die Christen kleine Kinder fressen, war dann natürlich eine fiese Übersteigerung, um die Wut der Bevölkerung gegen die Christen zu lenken.

Der Vorwurf im Mittelalter

Vielleicht hatte jemand im Mittelalter, also Jahrhunderte nach den alten Römern, die alte Gruselstory in den römischen Schriften gelesen und entrüstet festgestellt, dass wir Christen soetwas auf keinen Fall machen würden. Irgendwie wurde der Vorwurf dann gegen die Juden gewendet und jedesmal wenn dann irgendwo ein Kind unter ungeklärten Umständen ums Leben kam, richteten sich das Misstrauen und die Verdächtigungen gegen die Juden. Bei manchen Fällen könnte es sogar sein, dass böse Menschen ein Kind nur zu dem Zweck umbrachten, um den Mord dann den Juden in die Schuhe zu schieben. Wer nämlich von einem Juden Geld geliehen hatte, der konnte sich so die Rückzahlung sparen, weil die Juden nach einem Kindermordvorwurf zum Tode verurteilt oder vertrieben wurden.

Luther zählt die Vorwürfe gegen die Juden nicht einzeln auf, hält sie aber insgesamt für völlig unglaubwürdig. Er nennt sie "Narrenwerk", also Unsinn.

Die Reaktion der Juden

Josef deutet des Pharao Traum

Josef deutet den Traum. Erinnerst Du Dich an diese Geschichte?

Auf die Juden in vielen europäischen Ländern wirkte Luthers Schrift als Sensation. Sie schickten als Dankesgruß eine deutsche Übersetzung des Einhundertunddreißigsten Psalms in hebräischer Schrift an Luther. Der italienisch-jüdische Gelehrte Abraham ben Mordechai Farissol schrieb sogar, in Martin Luther sei eine Messias-Verheißung in Erfüllung gegangen. Der jüdische Arzt und Schriftsteller Joseph ha-Kohen nahm die Namen der lutherischen Märtyrer in seine jüdische Trauerliturgie auf, als katholische Obrigkeiten in den weiteren Jahren Lutheraner hingerichtet hatten. Viele Juden in ganz Europa meinten, dass mit Martin Luther jetzt endlich ein faires Verhalten gegenüber den Juden aufkommen würde.

Es gab sogar Vermutungen, ob Martin Luther insgeheim ein Jude sei, da er so eifrig hebräisch studiere. Die Juden hofften, dass mit Luther das Christentum dem jüdischen Glauben näherkomme. Und bei manchen Katholiken kam der Verdacht auf, Luther sei von den Juden angestiftet worden, das Christentum zu spalten. So judenfreundlich wurde Luthers Schrift eingeschätzt. Dabei hatte er doch nur dazu aufgefordert, dass die Juden gemäß den Regeln der christlichen Nächstenliebe zu behandeln seien.

Die Reaktion der Juden zeigt, wieviel Kummer sie gewohnt waren, und wieviel Hoffung auf bessere Behandlung schon durch ein paar vernünftige Worte geweckt wurde. Leider war Luthers Verhalten den Juden gegenüber nur am Anfang gut.

Die Klippen auf dem Weg

Luther hatte viel Übung in den christlichen Diskussionen zur Bibelauslegung, aber die jüdischen Auslegungen zu den Schriften des Alten Testaments waren für ihn eine ziemlich fremde Welt. Luthers Schlüssel zur Bibel war Jesus Christus. Bei den christlichen Meinungsverschiedenheiten zur Bibel konnte immer mit dem Bezug zu Jesus Christus argumentiert werden. In der Diskussion mit der jüdischen Bibelauslegung war alles anders. Jesus von Nazareth war für sie nicht der Christus, nicht der Messias. Die Bezeichnung "Gottes Sohn" erschien den Juden geradezu als Gotteslästerung. Unter diesen Voraussetzungen interpretierten sie natürlich alle Schriften des Alten Testaments ganz anders und überhaupt nicht im Bezug auf Jesus. Das war nun wiederum für Luther geradezu gotteslästerlich. Wie kann man Bibelstellen ohne Jesus verstehen?

Luther scheiterte an dem Problem, dass das Judentum eine eigene Religion ist und dies auch bleiben will. Er dachte mit seinen biblischen Argumenten könnte er den Juden beweisen, dass Jesus der Messias ist und dann würden sich viele von Ihnen zum Christentum bekehren. Gemeinsamkeit der Religion wäre sein Weg gewesen, die Juden in die Gesellschaft zu integrieren. Aber wie geht es, wenn Menschen unterschiedliche Religionen haben?

Vertrauen durch Religion, Vertrauen durch Religionen

Die mittelalterliche Gesellschaft hatte als Basis die gemeinsame Religion. Die gemeinsame Religion schuf das Vertrauen zu fremden Menschen, die nicht miteinander stammesverwandt waren. Die Kirchen waren die zentralen Gemeinschaftsgebäude, an denen jede Stadt und jedes Dorf den Zusammenhalt der Bevölkerung festmachte. Die Gesetze wurden auf religiöser Grundlage gemacht, ebenso der Kalender und die staatlichen Ämter. Das alltägliche Verhalten, "Grüß Gott" und "Ade", steckte voller Religion. Das ganze Gemeinwesen bestand aus religiösen Elementen. Von den Friedhöfen über die Krankenpflegeeinrichtungen und die Armenversorgung, über die Schulen und Handwerker-Zünfte bis zu den höchsten Festen und Feierlichkeiten, alles war Religion. Eine wirklich "weltliche", religionslose Gesellschaft gab es nicht. Weder Luther noch seine katholischen Gegner konnten sich eine offene Gesellschaft vorstellen, in der verschiedene Religionen nebeneinander existierten. So etwas überstieg jedermanns Horizont. Wenn es schon unter Christen kein Nebeneinander geben konnte, wieviel weniger dann erst mit der Religion der Juden.

Der Dialog zwischen den beiden Religionen Judentum und Christentum wurde Jahrhunderte später, nach dem zweiten Weltkrieg, zu einer sehr wichtigen und sehr spannenden Sache, aber für Martin Luther war es eine Überforderung.

Der Rückfall

Ludwigsburger_Synagoge_brennend_9Nov1938

Ludwigsburger Synagoge am 9. November 1938. Angezündet von den Nazis

In seinen späteren Schriften rutschte Martin Luther zurück in alle mittelalterlichen Vorurteile und Verleumdungen gegen die Juden. Seine Hoffnungen, dass viele Juden Christen würden hatte sich nicht erfüllt. Und dass zwei oder mehr Religionen nebeneinander in einer gemeinsamen Gesellschaft existieren könnten, war außerhalb seines Horizontes. 1543 schrieb er seine schlimmste Schrift: "Von den Juden und ihren Lügen". Darin forderte er, die Synagogen niederzubrennen, die Häuser der Juden zu zerstören, ihnen ihre Gebetbücher und Talmudim wegzunehmen und den Rabbinern solle man das Lehren bei Androhung der Todesstrafe verbieten.

Die Katastrophe

Todeszug vom KZ Buchenwald ans KZ Dachau April 1945

Der Todeszug mit dem Gefangene vom KZ-Buchenwald ins KZ-Dachau transportiert wurden. April 1945. Die KZ-Wachen in Dachau zogen noch etwa 800 Lebende aus den Wagons. Rund 4000 (viertausend) Gefangene waren während des Transports gestorben.

In den folgenden Jahrhunderten haben viele lutherische Theologen und die klügeren unter den evangelischen Fürsten über diesen Wutausbruch die Köpfe geschüttelt. Zeitweise konnte Luthers Rückfall ins Mittelalter ignoriert werden, aber als die Nazis in Deutschland die Macht bekamen, da benutzten sie Luthers unheilvolle Worte als Vorwand für ihre Verbrechen.

Gegen die Ideologie der Nazis gibt es ein paar Punkte, an denen sie Luther nicht vereinnahmen konnten: Luther sieht ganz selbstverständlich das Alte Testament als unbezweifelbaren Teil des Wortes Gottes. Genauso selbstverständlich ist Jesus Christus ein geborener Jude. Martin Luther war Christ, die Nazis dienten heidnischen Göttern.

Aber was die Nazis dann taten, hat erschreckende Ähnlichkeit zu dem, was Luther geschrieben hatte: Die Synagogen wurden niedergebrannt, die Juden aus ihren Häusern vertrieben, und nicht nur die Rabbiner wurden mit dem Tode bedroht, sondern alle Juden, egal zu welcher Religion sie sich bekannten.

Der neue Judenhass war rassistisch. Er fragte nicht mehr nach Bibelauslegung und ob Jesus der Messias sei, auch nicht nach Moral oder Rechtmäßigkeit, sondern die Abstammung allein ergab das Todesurteil. Zwischen 1933 und 1945 wurden etwa sechs Millionen Juden ermordet.

Die entsetzliche Macht

Luthers Worte waren mächtig, sie waren so ungeheuer mächtig, dass er damit die ganze Welt verändert hat. Das gilt für den Segen aber leider auch für den Fluch. Luthers Worte haben das Evangelium und die Freiheit und die Bildung gigantisch vorangebracht. Aber wo Luther in seinen unsäglichen Wutausbrüchen Mord und Totschlag verkündete, da führte es jedesmal zum Mord an vielen tausend Menschen, bei den Juden sechs Millionen.

Martin Luther war - genau wie Thomas Mann vierhundert Jahre später feststellte - ein Oger, ein Riese, der im Guten gigantisches vollbrachte und im Bösen gigantischen Schaden anrichtete.

Dabei ist das Unterscheidungszeichen ganz einfach: Immer wenn Luther zu Gewalt und Brutalität auffordert, rennt er ins Unheil. Folge ihm nicht!

Luther's Fehler

Luther's Fehler waren nicht seine eigenen. Es waren Fehler, die zu seiner Zeit und in seiner Kultur weit verbreitet waren. Aber wenn ein Mensch soviel Einfluss auf die Zukunft hat und auf die Weiterentwicklung der Kultur, dann bekommen diese Fehler durch ihn tausendfache Wirkung. Deshalb dürfen diese Fehler auf keinen Fall so stehen bleiben. Wir müssen Luthers Fehler korrigieren, als wären es unsere. Lutheranerinnen und Lutheraner haben die Pflicht sich gegen Luther zu stellen, wo er tobt in seinem Wahn.