Jan Hus wurde verhaftet, entgegen der Zusicherung auf freies Geleit
Am 29. Juni 1540 wurden in Wittenberg vier Menschen bei lebendigem Leibe verbrannt:
Eine Frau namens Prista Frühbottin gemeinsam mit ihrem Sohn Dictus, sowie
Clemen Ziesigk (Zeisig)
und Caspar Schiele, beides Abdeckergehilfen*. Der ebenfalls verurteilte
Wittenberger Scharfrichter (Henker) Magnus Fischer wurde nach seiner Flucht
in der Grafschaft Mansfeld ergriffen und am 7. Juli 1540 in Eisleben verbrannt.
Die Hingerichteten waren für schuldig befunden worden, durch Weidevergiftung
und Zauberei viel Vieh getötet zu haben, um sich damit Aufträge für ihre Arbeit
zu beschaffen. Die Gerichtsakten sind nicht erhalten und die Art der
Beweisführung ist deshalb unbekannt.
*Abdecker (oder auch Schinder genannt), war ein unangenehmer,
missachteter und eventuell auch gefährlicher Beruf. Wenn Vieh nicht
ordentlich geschlachtet worden war, sondern auf andere Weise
zu Tode kam (zum Beispiel durch Tierseuchen o.ä.), hatten Abdecker die Aufgabe,
die eventuell ansteckenden Tierkadaver "abzudecken", also zu beerdigen.
Sie durften aber verwertbare Teile (Leder, Knochen usw) auswerten und sie
machten daraus Produkte wie Schmierfette, Leim, Knochenmehl, Salmiak, Seife,
Bleichmittel und eventuell Viehfutter. Abdecker hatten also ihr Einkommen
von der Tierkadaver-Verwertung.
Die genannte Hinrichtung der vier Menschen in Wittenberg ist nur ein Beispiel für viele Arten schlimmster Brutalität in der damaligen Gesellschaft. Brutalität gab es nicht nur wenn der Vorwurf von Zauberei im Raum stand (Hexen), sondern auch bei religiösen Meinungsabweichungen (Ketzer) und bei der Verfolgung religiöser Minderheiten (Juden) und ebenso in den Bereichen, die wir auch heute noch als Verbrechensbekämpfung kennen (Räuber und Mörder) und im Krieg sowieso. Die Grenzen zwischen den verschiedenen Bereichen waren fließend, aber die unsägliche Brutalität war allgegenwärtig.
Wenn zwei Ritter-Sippen einander gegenseitig niedermetzelten, geschah das mit irgendwelchen Vorwürfen, was die jeweils anderen an Unrecht getan hätten. Insofern war das Fehde-Recht ein Vorläufer heutiger Verbrechensbekämpfung, nur gab es kein taugliches Beweisverfahren. Damit war es wohl eher das "Recht des Stärkeren", was da zum Zuge kam. Gleichzeitig und dazu passend, war das Fehde-Recht auch eine Form der Kriegführung.
Immer wieder im Laufe des Mittelalters wurden in unterschiedlichen Gegenden Verfolgungen, Massenmorde und Beraubungsaktionen gegen die jüdische Minderheit in der Bevölkerung durchgeführt. Diese kollektiven Gewaltverbrechen bezeichnet man als Pogrome. Die Pogrome wurden von den Tätern oft mit rechtlichen Vorwürfen begründet, aber es gab auch hier keine wirksame Überprüfung der Vorwürfe, sondern diese dienten nur dazu Vorurteile und Hass zu schüren.
Luther in Worms. Seine Tonsur wird nachgeschnitten
Im frühen Mittelalter war Verbrechensbekämpfung überhaupt keine öffentliche (staatliche) Aufgabe gewesen, sondern Sache der Betroffenen und ihrer Sippen. Es gab keine polizeilichen Untersuchungsmethoden im heutigen Sinne und keine kriminalistischen Beweismittel, wie sie bei uns üblich sind. Um bei einem Konflikt (Raub, Viehdiebstahl, Brandstiftung usw.) den Schuldigen zu entlarven, gab es zuerst die Rechtsform des Eides. Wenn beide Konfliktparteien vor dem Richter auf ihre widersprüchlichen Aussagen hochheilige Eide ablegten, gab es zur Wahrheitsfindung das Gottesurteil und den Zweikampf. Damit wurden Auseinandersetzungen zwischen Sippen und Einzelnen entschieden. Diese alte Art der Verbrechensbekämpfung, oder besser gesagt der Konfliktregulierung, war eingebettet gewesen in traditionelle Stammes- und Sippen-Regeln. Auch wenn dabei nicht unbedingt die Wahrheit ans Licht kam, so wurden doch Brutalität und Gewaltanwendung wenigstens teilweise begrenzt. Alleinstehende oder Fremde waren dabei ohnehin benachteiligt und im Laufe des Mittelalters lösten sich auch die Stammes- und Sippen-Strukturen auf (Urbanisierung und immer mehr fahrendes Volk), so dass für alle das Bedürfnis wuchs nach einer allgemeinen Rechtspflege. Die Rechtsentscheide per Gottesurteil und Zweikampf wurden so problematisch, dass die Kirche diese Formen im zweiten Lateran-Konzil abschaffte.
Die seit dem 14. Jahrhundert verstärkten Anstrengungen für eine öffentliche Verbrechensbekämpfung scheiterten oft an den fehlenden Möglichkeiten die Wahrheit herauszufinden. So verbreitete sich immer mehr die Folter als Verhörmethode. Damit sollte die Wahrheit erzwungen werden. Die Brutalität der Folter entstand also zumindest teilweise aus der Hilflosigkeit der Richter gegenüber sich widersprechenden Aussagen von Anklagenden, Beschuldigten und Zeugen. Die Folter sollte mit Gewalt die vermeintliche Wahrheit zutage fördern. Das durch Folter erzwungene Geständnis wurde zum Standardweg der Beweisführung. Es hat Jahrhunderte gedauert, bis sich endlich die Einsicht durchsetzte, dass unter Folter gemachte Aussagen mit der Wahrheit nichts zu tun haben müssen. Die Gefolterten waren bereit, jedes beliebige Geständnis zu liefern, nur damit endlich die Schmerzen aufhörten.
Nicht nur die jeweiligen Richter standen vor der unlösbaren Aufgabe, zu entscheiden wer recht hatte, sondern in der ganzen abendländischen Kultur gab es soviele Umbrüche und Verunsicherungen, soviele Machtkämpfe und Meinungsunterschiede, dass praktisch die ganze Gesellschaft an der Aufgabe scheiterte: Wer hat recht? Wer ist vertrauenswürdig? Was ist die Wahrheit? Wonach sollen wir uns richten? Ist die Bibel die höchste Autorität? Oder der Papst? Oder die Konzilsentscheidungen? Was ist gut, was ist böse? Die skrupellosen Machtkämpfe zerstörten das Vertrauen in die gesellschaftliche Autoritäten. Und die tiefe Verunsicherung großer Bevölkerungsschichten schürte vielerlei Ängste. Angst aber erzeugt Aggressionen. Und Aggression, wenn sie nicht gezügelt wird, erzeugt Brutalität. Was könnte helfen gegen die Brutalität? Welche Gegenmittel gibt es?