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Küstermann


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Klasse 10
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Zwei Gedichte von Paul Celan und die Frage nach dem Namen

Eines der geheimnisvollsten und am meisten zitierten Gedichte in deutscher Sprache stammt vom jüdischen Dichter Paul Celan. Es heißt "Mandorla". Mandorla bedeutet Mandel, also jene Nuss, die oft für Gebäck verwendet wird. Von dieser Nuss gibt es auch eine bittere Form, die sehr aromatisch ist, aber auch giftig sein kann. Mandorla ist zugleich der kunstgeschichtliche Fachausdruck für jene Aureole, die bei romanischen Bildern und Reliefs den Christus als Weltenherrscher umgibt – wohl als Zeichen seiner Transzendenz, seiner Jenseitigkeit. Hier das Gedicht:

Mandorla

In der Mandel - was steht in der Mandel?
Das Nichts.
Es steht das Nichts in der Mandel.
Da steht es
und steht.

Im Nichts - wer steht da? Der König.
Da steht der König, der König.
Da steht er
und steht.

Judenlocke, wirst nicht grau.

Und dein Aug - wohin steht dein Auge?
Dein Aug steht der Mandel entgegen.
Dein Aug,
dem Nichts stehts entgegen.
Es steht zum König.
So steht es
und steht.

Menschenlocke, wirst nicht grau.
Leere Mandel,
königsblau.

Paul Celan (1920-1970)

Aufgabe 1: Beschreibe das mittelalterliche Christusbild mit der Mandorla

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Christus in der Mandorla

Für Juden aus Europa, die Jiddisch sprechen, klingt im Wort "Mandel" das Wort Immanuel mit. Denn dieses Wort hat sich im deutschsprachigen Raum in die jüdischen Namen Mandel und Mendel verwandelt. Immanuel bedeutet "Gott mit uns". Und wenn ein Dichter wie Paul Celan, der die Sprache in ihrer Vieldeutigkeit braucht, die Mandel benennt, dann lässt er auch den "Gott mit uns" darin mitklingen. Und so ist die Frage richtig: Was steht in der Schrift? Was steht in der Mandel? Der Gott der Israel erwählt hat. Der jüdische Gott. Auch wenn die Mandorla den christlichen Gottessohn umrahmt: Celan spricht hier von Gott als König, von Adonai, dem Herrn des Volkes Israel. Dann allerdings stellt er fest: Das Nichts. Das Nichts hat mit Vernichtung und Tod zu tun, es ist einerseits eine Umschreibung der Shoah, aber in der jüdischen Mystik ist „Nichts“ auch eine Umschreibung Gottes, sozusagen einer der geheimen Namen Gottes. "Es steht das Nichts in der Mandel." Das ist eine bittere Verbindung dieser beiden Anklänge.

Aufgabe 2: Lies flüsternd, wispernd das Gedicht „Mandorla“. zum Gedicht

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Aufgabe 3: Versuche das mittelalterliche Christusbild nachzuahmen.

Setze Dich möglichst genau so hin wie Christus da sitzt und stell Dir dabei vor, du wärst von so einem mandorla-förmigen Lichtkranz umgeben, alle werden überstrahlt von diesem Licht, wenn sie vor Deinen Thron treten.

Erst danach weiterlesen!

Aufgabe 4 : Vergleiche folgenden Text aus dem Philipperbrief mit dem mittelalterlichen Christusbild.

Welche Teile des Textes hat der Bildhauer abgebildet, welche nicht? Schreibe die vom Bildhauer nicht dargestellten Textteile ab.

Philipper 2,

5 Seid so unter euch gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht:
6 Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein,
7 sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an,
ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.
8 Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.
9 Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist,
10 dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind,
11 und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.

Aufgabe 5: Finde eine Körperhaltung zu diesen seltsamen Worten: „Er entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an“.

Das zweite Gedicht von Paul Celan lesen wir später.