© für das Zitat aus Medaon bei der Autorin Michaela Christ.
© für die Bibeltexte bei der Deutschen Bibelgesellschaft.
© für die anderen Texte bei Harald Küstermann, mein Text darf unter der
Lizenz CC-BY-SA 4.0 (= Namensnennung und Weitergabe unter gleicher Lizenz) weiterverwendet werden.
Die urchristliche Gemeinde in Jerusalem bestand aus Jüdinnen und Juden. Alle Apostel, auch Petrus und Paulus waren Juden. Maria von Magdala (die Apostolin der Apostel) war Jüdin. Und Jesus selber war Jude. Wir lesen Apostelgeschichte Kap.10, Verse 44-48:
Noch während Petrus diese Worte redete, fiel der Heilige Geist auf alle, die dem Wort zuhörten. Und die gläubig gewordenen Juden, die mit Petrus gekommen waren, entsetzten sich, weil auch auf die Heiden die Gabe des Heiligen Geistes ausgegossen wurde; denn sie hörten, dass sie in Zungen (= in den Sprachen der Engel) redeten und Gott hoch priesen. Da antwortete Petrus: Kann auch jemand denen das Wasser zur Taufe verwehren, die den Heiligen Geist empfangen haben ebenso wie wir? Und er befahl, sie zu taufen in dem Namen Jesu Christi. (Apg. 10,44-48 in der Luther-Übersetzung, revidiert von 2017, leicht bearbeitet)
Es hörten aber die Apostel und die Brüder in Judäa, dass auch die Heiden Gottes Wort angenommen hätten. Und als Petrus hinaufkam nach Jerusalem, stritten die aus der Beschneidung mit ihm und sprachen: Du bist zu unbeschnittenen Männern gegangen und hast mit ihnen gegessen. (Apg. 11,1-3 in der Luther-Übersetzung, revidiert von 2017)
Die Beschneidung war in der Makkabäerzeit eines der wichtigsten, sichtbaren Bekenntnisse gewesen, dass eine Familie sich an die Tora halten wollte. Die neue Bewegung der Christen verzichtete auf die Beschneidung. Diese Änderung war innerhalb des neu entstehenden Christentums heftig umstritten. Muss ein Heide, der Christ werden will, sich beschneiden lassen? Petrus war Jude und war Christ. Seine Gegner, "die aus der Beschneidung", waren ebenfalls Juden und waren Christen. Die Jüngerinnen und Jünger des Jesus von Nazareth lösten sich von vielen wichtigen Punkten der jüdischen Identität. Auch die jüdische Unterscheidung zwischen reinen und unreinen Speisen wurde nach heftigen Diskussionen sehr gelockert oder ganz aufgegeben.
Das Christentum war eine jüdische Bewegung, die aus der nationalen Begrenzung
hinaus ging und eine internationale (multi-ethnische) Religion wurde.
Das war für beide Seiten ein Weg voller Schmerzen und gegenseitiger Verwundungen.
Für die nicht-christlichen Juden musste es als ein Verrat an ihrem Volk und an ihrer
Religion erscheinen, dass die Anhänger des Jesus von Nazareth
die Grenzen aufhoben und wichtige Elemente ihrer jüdischen Identität aufgaben.
Für die Anhängerschaft des Jesus von Nazareth war es schlimm, dass ihr eigenes Volk, die Juden,
den Messias nicht erkennen wollten.
Für die einen war Jesus der Messias für die anderen
galt er als Ketzer. Das war der innere Konflikt. Aber es war nicht nur eine
innerjüdische Meinungsverschiedenheit, sondern es war eine neue
Art von Religion, die da im Entstehen war. Von außen gesehen gibt es
diesen großen Umbruch von der jüdischen National-Religion (die schon
einige Ansätze zur Internationalisierung hatte) zur neuen, internationalen Religion.
Die internationale Religion ist an kein Volk, keine Abstammung gebunden
("nicht Jude, nicht Grieche"), sondern wächst aus individuellen Entscheidungen.
Wer an Christus Jesus glaubt und sich taufen lässt, ist Bruder, ist Schwester in Christus.
Als sich alle jüdischen Gruppen im Jahre 66 nach Christus in einem großen Befreiungskrieg
gegen das römische Reich erhoben, haben die Anhänger des Jesus von Nazareth nicht mitgemacht.
Die Christen wurden aus dem Synagogen-Verband aller jüdischen Gruppen ausgeschlossen.
Die Ablösung der neuen internationalen Religion Christentum aus ihrem nationalen Ursprung, dem Judentum,
geschah unter bitteren Verletzungen und gegenseitigen Vorwürfen. Nach der Sklavenbefreiung (Exodus) und der
Opferverweigerung (Monotheismus) waren diese Konflikte um die Internationalisierung die dritte
Wurzel des späteren Antisemitismus. Bei den ersten beiden Wurzeln müssen wir Christen ganz auf der
Seite des Judentums stehen, weil wir bei der dritten - traurig und schmerzvoll - dies nicht können.
1. Beibehalten wurden die heiligen jüdischen Schriften und unter der Bezeichnung „Altes Testament“ ins Christentum übernommen. Damit stellt sich das Christentum in den großen Traditionsstrom von Moses und den Propheten. Ergänzt wurden diese Schriften durch weitere Schriften, unter der Bezeichnung „Neues Testament“. Wie das Judentum so ist auch das Christentum eine Buchreligion. Die „Heilige Schrift“ ist das Zentrum der religiösen Identität.
2. Beibehalten wurde der jüdische Monotheismus, es dürfen keine Götzenbilder aufgestellt, angebetet und mit Opferdarbringung vergöttert werden. Wie das Judentum so ist auch das Christentum eine monotheistische Religion, die den üblichen Gottheiten das Opfer verweigert.
3. Beibehalten wurde die Versorgung der Armen. Wie das Judentum so ist auch das Christentum eine Religion der Nächstenliebe. Nächstenliebe ist die praktische Verpflichtung, sich um andere Menschen zu kümmern, besonders um solche in Notlagen.
Vor allem jüdische Männer, die sich vor den Nazis verbargen, waren der Beschneidung wegen
besonders gefährdet. Die Fülle der Berichte in denen geschildert wird, wie als Juden
Verdächtigte ihre Hosen herunter lassen mussten, um zu kontrollieren, ob sie
beschnitten – und der Logik zufolge jüdisch – seien, spricht dafür, dass dies eine
sehr gängige Methode gewesen ist, Juden als Juden zu identifizieren. Die Beschneidung
jüdischer Knaben am achten Tag nach der Geburt ist ein unveränderliches und vor allem
deutlich sichtbares Zeichen der Religionszugehörigkeit.
Zitat aus: Michaela Christ. (Un-)Sichtbare Körper. Über die Wirkungsmacht von
jüdischen Körperbildern während des Nationalsozialismus. In: Medaon Heft 2 | 2008 – www.medaon.de
Das versprochene zweite Gedicht von Paul Celan ist nicht vergessen, aber wir müssen davor noch ein paar andere Sachen lesen.
Diese Seite in druckerfreundlichem PDF-Format