Der junge Mann wäre gerne nach Palästina ausgewandert, aber die deutschen Behörden hielten ihn für zu jung. Als 15-Jähriger reiste er immerhin ganz legal mit seinem polnischen Pass und seinem deutschen Visum von Hannover nach Belgien. Von dort schmuggelten ihn - weniger legal - seine Freunde über die französische Grenze. Als Herschel Grynszpan - so hieß der junge Mann - bei seinen Verwandten in Paris ankam, litt er unter Magenschmerzen und häufigem Erbrechen. Aber er wusste es noch nicht: Er würde dort in Paris zum Mörder werden und noch schlimmer, er würde den Nazis die Ausrede liefern für den nächsten großen Schritt der Judenverfolgung mit vielen weiteren Ermordeten.
Herschel Grynszpan war 1921 in Hannover geboren worden, als Jugendlicher wurde er Mitglied der Zionistengruppe Misrachi und des Sportclubs Bar Kochba. Nach Ansicht seiner Lehrer war er überdurchschnittlich intelligent, hatte aber keine Lust zu arbeiten. Seine Bildungs- und Berufsaussichten waren miserabel.
Schon seit 1925 - als Herschel vier Jahre alt war - begingen SA-Trupps immer öfter Gewalttaten gegen Juden, ihre Geschäfte, Wohnungen und Synagogen. Jüdische Ärzte, Rechtsanwälte und Notare wurden bedroht. Schikaniert und benachteiligt wurden auch Schüler und Studenten wegen ihrer jüdischen Abstammung. Seit Beginn der Weltwirtschaftskrise richteten sich Boykott-Aufrufe gezielt gegen erfolgreiche mittelständische Warenhäuser in jüdischem Besitz.
Ende Februar 1933 griffen SA-Trupps erneut jüdische Geschäftsinhaber an, plünderten ihre Läden, misshandelten die Inhaber, verschleppten und ermordeten einige von ihnen. Am 11. März 1933 organisierte die nationalsozialistische Führung des Freistaates Braunschweig unter Dietrich Klagges und Friedrich Alpers in Braunschweig den sogenannten „Warenhaussturm“. In Kiel wurde am 12. März der Rechtsanwalt Wilhelm Spiegel ermordet. In Straubing wurde am 15. März der jüdische Händler Otto Selz entführt und ermordet. Bis Ende März wurden jüdische Geschäfte, Arzt- und Anwaltspraxen in einigen deutschen Großstädten zwangsweise geschlossen, mehrere Inhaber beraubt und vertrieben.
Mit der Machtübernahme der Nazis wurden die verbrecherischen Aktionen der SA noch mehr vom Staat gedeckt, organisatorisch unterstützt und propagandistisch angeheizt.
Mit dem "Arierparagraphen" wurden alle "Nicht-Arier" aus den Beamten-Berufen ausgeschlossen. Aber nirgends wurde ein Beamtennotbund gegründet, nirgends ein Richternotbund, nirgends ein Lehrernotbund. Nur bei den Pfarrern gab es den Pfarrernotbund zur Verteidigung der Kollegen mit jüdischer Abstammung (nur ein Hauch von Ehrenrettung, ich weiß). Auch aus den nicht-beamteten Berufen wurden Juden mit Gewalt und mit Paragraphen verdrängt und es gab keinen Ärztenotbund, keinen Apothekernotbund, keinen sonstigen Berufsnotbund zum Schutz der jüdischen Kollegen.
Herschel Grynszpan wollte nach Palästina, aber er kam nur bis Paris. Er unterstützte seinen Onkel gelegentlich bei der Arbeit, aber er hatte keine Ausbildung, keinen Arbeitsplatz und keine Aufenthaltsgenehmigung für Frankreich. Im August 1938 erhielt Grynszpan den Ausweisungsbefehl aus Frankreich, so dass er sich in auswegloser Lage befand.
Aus der Presse erfuhr Herschel Grynszpan im Oktober 1938, dass die deutsche Polizei etwa siebzehntausend jüdische Einwohner aus deutschen Städten ohne Vorwarnung verhaftet und über die Grenze nach Polen verfrachtet hatte (die sogenannte Polenaktion). Die Abgeschobenen wurden von Polen zurückgewiesen und hielten sich deshalb teilweise im Niemandsland zwischen der deutschen und polnischen Grenze im Freien auf. Keiner der beiden Staaten wollte sie aufnehmen.
Herschel hatte Angst um seine Familie, seine Eltern und seine Geschwister. Von seiner Schwester Beile (Berta) kam am 3. November aus Polen eine Postkarte, in der sie ihm schilderte, wie die ganze Familie unter Zurücklassung von allem Hab und Gut, überfallartig von der Polizei aus Hannover abtransportiert worden war. Die Familie saß jetzt völlig mittellos in einem Lager im polnischen Ort Bentschen.
Am 7. November 1938 kaufte Herschel Grynszpan einen Revolver, ging in die deutsche Botschaft in Paris und erschoss den Botschaftsrat Ernst vom Rath.
Die Tat des Herschel Grynszpan war für die Propaganda-Spezialisten der Nazis das gefundene Fressen. Der Mord in Paris wurde zum Vorwand für die schon lange geplanten und vorbereiteten Verbrechen der Reichspogromnacht.
Zitat aus Wikipedia "Novemberpogrome 1938":
...vom 7. bis 13. November etwa 800 Juden ermordet, 400 davon in der Nacht vom 9. auf
den 10. November. Über 1.400 Synagogen, Betstuben und sonstige Versammlungsräume sowie
tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe wurden zerstört. Ab dem 10. November
wurden ungefähr 30.000 Juden in Konzentrationslagern inhaftiert, wo mindestens weitere 400 ermordet
wurden oder an Haftfolgen starben."
Du kennst das Bild schon. Natürlich hat es zu tun mit der Gestalt des Mose. Der antike Judenhass gegen die ausgebrochenen Sklaven war relativ klein im Vergleich mit dem monströsen Judenhass der Nazis. Könnten dennoch beide etwas miteinander zu tun haben?
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Herschel portraitiert im Comic-Style von Samira
Herschel portraitiert von Lucie