Wenn Evangelische Theologen in Deutschland etwas Kritisches gegen die Hitler-Bewegung
zu sagen wagten, dann fingen sie erstmal so an:
«Eine mächtige nationale Bewegung hat unser deutsches Volk
ergriffen und emporgehoben. Eine umfassende Neugestaltung des Reiches in
der erwachten deutschen Nation schafft sich Raum. Zu dieser Wende der
Geschichte sprechen wir ein dankbares Ja. In Gottes Wort gebunden, erkennen
wir in dem großen Geschehen unserer Tage einen neuen Auftrag unseres Herrn an seine Kirche …»
Hört ihr das nationale Pathos? Spürt ihr das Einschmeicheln bei den Machthabern? Seht ihr die Unterwerfung unter den Zeitgeist? Und erst nach solchen Vorsätzen kommt dann irgendeine Art von Kritik, was bei der Hitlerbewegung vielleicht doch nicht ganz christlich sein könnte. Solche Schmeichel- und Pathos-Sätze waren nicht nur in kirchlichen Verlautbarungen das "Normale", sondern in allen Berufen (Ärzte, Rechtsanwälte, Techniker, Handwerker, Kaufleute) überschlugen sich die Verantwortlichen mit Lobhudeleien an den Führer. Auch in Vereinen und Organisationen wurde vom Anbruch der großen, neuen Zeit für das Deutschtum usw. geschwärmt. Wer nicht mitmachte fiel auf.
In einem Brief vom April 1933 - kurz nach Hitler's Machtübernahme - wendet sich Karl Barth an seine theologischen Freunde in Deutschland, die eigentlich gegen die Nazis sind, aber solche Einschmeichel-Sätze meinen verwenden zu müssen.
Karl Barth kritisiert:
"Indem ihr das zum Felsen macht, auf den ihr nun die Kirche gründen wollt, wird einfach Alles, was ihr danach der Schrift und dem Bekenntnis gemäß und in wohlgemeinter Polemik gegen die deutschen Christen sagt, unglaubwürdig."
Barth begründet diesen harten Vorwurf folgendermaßen:
"So wie es in jenen Sätzen geschieht, redet man nicht zu den und für
die deutschen Christen (nicht zu den und für die eingesperrten Kommunisten,
nicht zu den und für die unterdrückten Sozialdemokraten z. B., die doch
immerhin auch zu den in der christlichen Kirche Getauften gehören), sondern
schlechterdings nur zu den und für die Hitlerianer ..."
"... Wie verhängnisvoll diese ihre Haltung ist, wird sich erst
offenbaren, wenn die Hypnose, in der sich jetzt fast das ganze
Deutschland befindet, eines Tages nicht mehr wirksam sein wird."
Als der junge Theologe Karl Barth im Jahr 1911 als Pfarrer ins Dorf Safenwil im Schweizer Kanton Aargau zog, war er schon ein bisschen schockiert, unter welchen Zuständen die rund siebenhundert Arbeiter in den beiden Textilfabriken des Dorfes schuften mussten: 12 Stunden täglich zu Niedriglöhnen. Im Dezember desselben Jahres hielt Karl Barth vor dem Arbeiterverein den Vortrag "Jesus Christus und die soziale Bewegung". Jesus und der Kapitalismus seien unvereinbar und die Kirche müsse endlich aussprechen, dass Armut und Not kein unabwendbares Verhängnis seien, sondern mit menschlichen Mitteln überwunden werden müssten. Sozialismus sei die direkte Fortsetzung der Geisteskraft, die Jesus von Nazareth in die Welt gebracht hat.
Barth's Vortrag brachte natürlich Ärger. Ein Fabrikantensohn schrieb einen offenen Brief gegen den Unruhestifter im Pfarramt. Die Fabrikeigentümer seien die Motoren des Wohlstands und brauchten dazu "eine gewisse Ellbogenfreiheit". Der Kommunismus habe noch nie irgendwo funktioniert. Wenn Bibelsprüche etwas anderes sagen, seien sie veraltet. Und ein anonymer Autor warnte in der Lokalzeitung, Barth hetze zum Klassenkampf und gefalle sich als "roter Messias".
Von da an war Karl Barth bekannt als der "rote Pfarrer von Safenwil". Er hielt viele sozialistische Vorträge im Kanton Aargau, sammelte Material zu den Lebensumständen der Arbeiterschaft und verband sich mit anderen religiös-sozialen Pfarrern.
Barth's Entrüstung über die ärmlichen Zustände der Textilarbeiter wurde aber
bald übertroffen durch sein Entsetzen über das Verhalten deutscher Theologen
beim Ausbruch des ersten Weltkrieges. Die nationalistische Kriegbegeisterung seiner
ehemals hochverehrten Theologie-Professoren, brachte ihn in Rage. 1914 schrieb er
in einem Brief,
"wie jetzt in ganz Deutschland Vaterlandsliebe, Kriegslust und
christlicher Glauben in ein hoffnungsloses Durcheinander geraten".
Anstelle
des Evangeliums werde
"eine germanische Kampfreligion in Kraft gesetzt,
christlich verbrähmt durch viel Reden von «Opfer» ".
Schon neunzehn Jahre vor der Sportpalastkundgebung der Nazis hat Karl Barth den Fehler
gesehen und wie einst die Propheten des Alten Testaments hat er dagegen gewettert.
Durch die Kriegsbejahung deutscher Theologen fand Barth seine
bisherige
"Hochachtung deutschem Wesen gegenüber für
immer zerbrochen, ... weil ich sehe, wie eure Philosophie und euer Christentum nun bis auf wenige
Trümmer untergeht in dieser Kriegspsychose".
Was Karl Barth bisher gelernt und studiert hatte an Theologie, ging für ihn ebenfalls
unter in diesem reissenden Fluss der Geschichte.
Er suchte nach neuen theologischen Wegen. Jesus Christus sei die Kritik gegen jede eigenmächtige Verortung Gottes in der Welt. Gott und sein Reich seien etwas ganz anderes als "Religion". Was Karl Barth da in vielen Schriften entwickelte, wurde später unter dem Namen "dialektische Theologie" nicht nur berühmt, sondern auch die Basis für die Barmer theologische Erklärung.
Eigentlich stammte Karl Barth aus einer gutbürgerlichen Theologen-"Dynastie". Sein Vater war ein konservativer Theologieprofessor, seine Schwester Gertrud war Juristin und mit einen Pfarrer verheiratet. Sein Bruder Peter war ebenfalls Pfarrer und sein zweiter Bruder Heinrich Philosophieprofessor. In Basel und Bern ist er aufgewachsen und studierte Theologie in Berlin, Tübingen und Marburg.
Seine beiden Entrüstungserlebnisse gegen die Ausbeutung der Safenwiler Textilarbeiter und gegen die Geistesverwirrung der deutschen Theologie-Professoren machten Karl Barth zu einem der profiliertesten Theologen seit Martin Luther und Johannes Calvin und sie machten ihn zum "heiligen" Unruhestifter gegen alles, was schief lief im zwanzigsten Jahrhundert. Von Anfang an bekämpfte er mit theologischer Klarheit nicht nur den Nationalismus und die Kriegsverherrlichung, sondern auch den Antisemitismus. "Das Heil kommt von den Juden" (Joh.4,22) dieser Vers aus dem Johannes-Evangelium ist nach Karl Barth nicht nur eine Aussage über den Gang der Geschichte, sondern ist auch gegenwärtig gültig. "Wer ein prinzipieller Judenfeind ist, der gibt sich als solcher als prinzipieller Feind Jesu Christi zu erkennen."
Nach zehn Jahren Pfarrersarbeit in Safenwil wurde Karl Barth 1921 Professor für Reformierte Theologie an der Universität Göttingen und 1925 berief ihn die Universität Münster zum Professor für Dogmatik und neutestamentliche Exegese. Seine theologischen Schriften und Vorträge hatten ihn zu der Zeit schon berühmt gemacht und er erhielt Ehrendoktorwürden von verschiedenen internationalen Universitäten.
Ab Sommersemester 1930 lehrte Barth an der Universität Bonn. Dort besuchten Studenten wie Dietrich Bonhoeffer und Helmut Gollwitzer seine Seminare. Aus einem Seminar über den Gottesbeweis des Anselm von Canterburys entstand 1931 Barth's Buch Fides quaerens intellectum ('Glaube fordert Erkennen'). Es entfaltet den Grundgedanken, was es für das menschliche Erkennen bedeutet, dass Gott sich in Jesus Christus ganz zu erkennen gibt.
Seit 1913 war Karl Barth mit Nelly, geborene Hoffmann verheiratet. Sie war Musikerin. Die beiden hatten fünf Kinder: Franziska, Markus, Christoph, Matthias und Hans Jakob. In den zwanziger Jahren wurde Charlotte Kirschbaum zu Barth's Mitarbeiterin und wohl auch zu seiner Geliebten. Im Oktober 1929 zog sie ins Haus der Familie und die drei - Karl, Nelly und Charlotte - lebten dann in einer spannungsreichen Beziehung.
Im Oktober 1931 solidarisierte sich Barth öffentlich mit dem pazifistischen Theologen Günther Dehn. Dieser hatte es abgelehnt, den Soldatentod als christlichen Opfertod auszugeben. Seitdem verhinderten deutschnationale und nationalsozialistische Studenten mit einer Hetzkampagne an mehreren Universitäten seine Berufung.
Im Oktober 1933 verweigerte Barth den Hitlergruss in seinen Vorlesungen, den das NS-Regime von allen Staatsbeamten verlangt hatte. Als der Universitätsdirektor den Gruss anordnete, beschwerte Barth sich beim Kultusminister: Die Universitätstheologie unterstehe dem Evangelium, das dem Totalitätsanspruch des Staates einen eigenen, überlegenen Totalitätsanspruch entgegensetze. Er halte es für richtig, den Hitlergruss in allen evangelischen und katholischen Vorlesungen Deutschlands zu verbieten. Das war natürlich eine Provokation, die nur Karl Barth sich leisten konnte. Die Nazis hatten nämlich Angst vor Barth's internationaler Berühmtheit. Der Rektor kommentierte, Barth versuche seine Entlassung herbeizuführen, um sich weltweit als Märtyrer darstellen zu können. Natürlich kam es dann doch zu seiner Entlassung, aber davor konnte er noch seinen vielleicht wichtigsten Beitrag zur Kirchengeschichte in Deutschland leisten, durch die Verfassung der Barmer theologischen Erklärung.
Als Vertreter der Reformierten wurde er in den vierköpfigen Ausschuss berufen, der die Barmer Bekenntnissynode vorbereitete. Weil die Gestapo Barth größere Reisen verboten hatte, kam er am 15. Mai verspätet zum Ausschusstreffen und schrieb in der Mittagspause die Barmer Theologische Erklärung. Zur Synode selber war er nicht eingeladen, nahm jedoch unangemeldet teil. 139 Delegierte aus 18 Landeskirchen nahmen die Erklärung einstimmig an und gründeten so am 31. Mai 1934 die Bekennende Kirche (BK).
Nachdem die Gestapo Barth's 16-jährigen Sohn Christoph wegen eines abgefangenen regimekritischen Briefs nach England stundenlang verhört hatte, schickten die Eltern ihn zum weiteren Schulbesuch in die Schweiz. Das war sozusagen der Anfang des Umzugs in die Schweiz.
Im Oktober 1934 nahm Barth noch an der zweiten Bekenntnissynode
in Berlin-Dahlem teil und wurde in das Leitungsgremium der neuen Kirchenstruktur,
in den 22-köpfigen Reichsbruderrat gewählt.
Nach verschiedenen weiteren Konflikten, Redeverbot und Veröffentlichungsverbot
zog Karl Barth im Juli 1935 in die Schweiz. Die Bekennende Kirche war ihm nicht
radikal genug, viele hatten Angst und ließen sich auf Kompromisse mit den Nazis ein.
Barth kritisiert die Bekennende Kirche:
"Sie hat für Millionen von
Unrecht Leidenden noch kein Herz. Sie hat zu den einfachsten
Fragen der öffentlichen Redlichkeit noch kein Wort gefunden. Sie
redet – wenn sie redet – noch immer nur in ihrer eigenen Sache."
Für den Rest der Nazi-Zeit war Karl Barth die "Schweizer Stimme". Er nahm Stellung zu Krieg und Nazi-Diktatur und meldete sich immer wieder deutlich zu Wort. Christlicher Glaube darf kein Rückzug ins Private oder in die Grenzen eines Staates sein. Gott ist gegenwärtig und stellt sich dem Unrecht entgegen.
Im Juli 1942, als wieder mehr Juden Zuflucht in der Schweiz suchten, erklärte
Barth, die Judenfrage sei aktuell "DIE christliche Bekenntnisfrage".
Um die Flüchtlingsflut aus Deutschland abzuwehren (und wohl auch aus
eigenem Antisemitismus) hatte die Schweiz ein neues Gesetz erlassen, mit dem
rund zehntausend Flüchtlinge zurückgewiesen und die Übrigen unwürdig behandelt
wurden. Karl Barth sprach "Tacheles" (Klartext). Die Flüchtlinge
gehen uns Schweizer etwas an, nicht obwohl, sondern
"weil sie Juden und
als solche des Heilands leibliche Brüder sind. Es ehrt die Schweiz,
dass sie in ihr den letzten Hort des Rechts und Erbarmens sehen."
Und als das Nazi-Reich 1945 zusammenbrach, setzte sich Barth in der Schweiz öffentlich für die Versöhnung mit den Deutschen ein, weil die Vergebung Jesu Christi auch ihnen gelte:
"Her zu mir, ihr Unsympathischen, ihr bösen Hitlerbuben und -mädchen, ihr brutalen SS-Soldaten, ihr üblen Gestaposchurken, ihr traurigen Kompromißler und Kollaborationisten, ihr Herdenmenschen alle, die ihr nun so lange geduldig und dumm hinter eurem sogenannten Führer hergelaufen seid! Her zu mir, ihr Schuldigen und Mitschuldigen, denen nun widerfährt und widerfahren muß, was eure Taten wert sind! Her zu mir, ich kenne euch wohl; ich frage aber nicht, wer ihr seid und was ihr getan habt; ich sehe nur, daß ihr am Ende seid und wohl oder übel von vorne anfangen müßt; ich will euch erquicken, gerade mit euch will ich jetzt vom Nullpunkt her neu anfangen!"
Kommt her zu mir, Matth.11
28 Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.
29 Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen
demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. 30 Denn mein Joch ist sanft, und
meine Last ist leicht.
Die Bibel, Evangelium nach Matthäus, Kapitel 11. In der Übersetzung Martin Luthers,
Revidiert 2017 © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
Karl Barth, als längst schon weltberühmter Theologe, bereiste 1962 Amerika, hielt Vorträge und führte Gespräche. Am Princeton Theological Seminary hörte Barth eine Predigt von Martin Luther King. In Washington, D.C. sprach er mit Vertrauten von US-Präsident John F. Kennedy. In New York City traf er schwarze Bürgerrechtler. Insgesamt war Barth begeistert von der Reise und von der Offenheit seiner Gesprächspartner. Aber nach dem Besuch eines amerikanischen Gefängnisses kritisierte er: Mit einem Bruchteil der Kosten eines Mondflugs könne man das ganze Justizsystem der USA humanisieren. Die engen Käfigzellen und sonstigen Verhältnisse widersprächen der Botschaft der Freiheitsstatue.
Kirchliche Dogmatik. Foto von Jonund, cc-by-sa
Ach ja und außerdem hatte er so ganz nebenbei ;-) noch ein paar dicke Bücker geschrieben. Die "Kirchliche Dogmatik" und etliche andere. Im November 1968 sagte er in einem seiner letzten Interviews:
"Das letzte Wort, das ich als Theologe und auch als Politiker zu sagen habe, ist nicht ein Begriff wie 'Gnade', sondern ist ein Name: Jesus Christus. Er ist die Gnade, und er ist das Letzte, jenseits von Welt und Kirche und auch von Theologie. Wir können ihn nicht einfach ‚einfangen‘. Aber wir haben es mit ihm zu tun. Um was ich mich in meinem langen Leben bemüht habe, war in zunehmendem Maße, diesen Namen hervorzuheben und zu sagen: dort … Dort ist auch der Antrieb zur Arbeit, zum Kampf, auch der Antrieb zur Gemeinschaft, zum Mitmenschen. Dort ist alles, was ich in meinem Leben in Schwachheit und Torheit probiert habe. Aber dort ist’s … "