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Küstermann



menue-symbol  Bibel verstehen
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Zahl 10 vor blauem Kreis ein auf dem Boden liegendes Nilpferd mit der Denkblase: als ob dieses dicke Buch etwas mit mir zu tun haette

Namen, Geschichte, Identität

Einem anderen Menschen beizubringen, wer Du bist, geschieht meistens zuerst mit dem Namen. Du nennst Deinen Namen und erwartest den Namen des Anderen zu erfahren. Dein Name ist quasi die Minimalform Deiner Identität. Wenn zwei Menschen sich einander vorstellen mit ihren Namen kommen zwei Identitäten mit einander in Kontakt. Es können auch nic-names sein zum Beispiel in einem Internetforum oder einem Online-Spiel. Mit dem Namen wird eine Identität ansprechbar. Adressen und Telefonnummern sind Fortsetzungen des Namens. Ein weiterer Faktor Deiner Identität ist Dein Gesicht (oder ein Avatar). Du zeigst Dein Gesicht, vielleicht mit einem Lächeln, machst damit Dich selber erkennbar, Deine Emotionen und Reaktionen ein Stück weit sichtbar. Weitere Elemente Deiner Identität wären der Ort an dem Du wohnst (Deine Stadt, Deine Wohnung) und die Tätigkeiten die Du öfter ausführst (bin am ....-Gymnasium, spiele im ......-Verein). Vielleicht gehört ein Musikinstrument zu Deiner Identität oder ein Farbenkasten.

Irgendwann in der Mitteilung Deiner Identität geht es um das Erzählen Deiner Erlebnisse, Deiner Lebensgeschichte. Deine Geschichte, das bist Du , das ist Deine Identität. Zwischenschritt: Wenn ein Mensch sein Gedächtnis verliert, sich nicht mehr an seine Lebensgeschichte erinnert, nicht mehr weiß, wo er wohnt, die Angehörigen nicht wiedererkennt, deren Namen vergisst und schließlich auch seinen eigenen Namen, dann verliert er große Teile seiner Identität. Erinnerung, Nennbarkeit und Erzählbarkeit sind fundamentale Bestandteile der Identität. Stell Dir vor, alles bisher genannte sei ein kleiner Maulwurfshügel, auf dem Du Dein Fähnlein mit der Aufschrift "Ich" gehisst hast. Es ist nicht böse gemeint, Deine Identität mit einem Maulwurfshügel zu vergleichen, sondern es dient dem Herauszoomen in eine größere Perspektive. Spätestens wenn Du umziehst in eine weiter entfernt liegende Stadt außerhalb des jetzigen Sprachbereichs, merkst Du, dass zu Deiner Identität auch die Sprache zählt, die Schwäbische oder die Deutsche, und wie ungewohnt, wie schwer, wie mühsam es ist, die eigene Identität auszubauen auf eine fremde Sprache. Dein Akzent war Dir vorher eventuell gar nicht so bewusst, aber im Ausland wird er Dir zum Verräter. Unter der Schwelle des Bewusstseins gibt es also Teile Deiner Identität, die sehr wohl zu Dir gehören, nämlich die Kultur in der Du aufgewachsen bist. Unter Deinem Maulwurfshügel geht Dein "Identitätsberg" weiter, Du hast Wurzeln tief "unter der Erde".

Aufgabe: Zeichne dir einen Avatar als Doppelwesen, ein Teil sollte menschlich sein, der andere entweder das Reitier auf dem dein menschlicher Teil sitzt, oder der Cocon, aus dem du schlüpfst, oder der Gegenstand, der zu dir gehört.

eine Menschengestalt ragt betend aus einem Drachenkoerper hervor

Die Bibel verstehen, Teil 1

Im "buchstäblichen" oder im "übertragenen" Sinn?

Oft meinen Bibel-Leser*innen mit der simplen Unterscheidung von "buchstäblich" und "übertragen" hätten sie alle notwendigen "Sinne" beieinander, um einen Text einigermaßen einordnen zu können. Dieses Zweier-Schema trägt nicht weit, weil sich hinter dem angeblich "buchstäblichen" Sinn meistens nur das materialistische Weltbild versteckt. Das Verstehen eines Textes bedeutet dann, ihn in dieses Weltbild einzufügen. Wo das zu funktionieren scheint, meint man den buchstäblichen Sinn zu haben, wo das Schwierigkeiten macht, wird stattdessen von einem "übertragenen" Sinn geredet. Und in der Einschätzung von Wirklichkeit gilt der "übertragene" Sinn als minderwertig, als Grauzone und Gummipackung, in der es relativ egal ist, was der Text sagt. Alles lässt sich so oder auch anders interpretieren, da muss nicht so genau hingeschaut werden. Was nicht buchstäblich wahr ist, spielt sowieso keine ernst zu nehmende Rolle. Der so missverstandene "übertragene" Sinn ist nur der gnädige Abstellplatz auf der Kippe zum Unwirklichen. Ein Text aber kann etwas anderes, etwas wichtigeres meinen als die Materie.

Sagen wir es etwas vorsichtiger: Der "buchstäbliche" Sinn wird im simplen Zweier-Schema (buchstäblicher oder übertragener Sinn) von vielen Menschen für die höherwertige Aussage gehalten. Bei diesem wird streng entschieden, kann das sein oder kann das nicht sein? Ist der Text wahr oder falsch? Im buchstäblichen Sinn läge die Relevanz für die Wirklichkeit, meinen die Materialisten. Andere Arten von Wirklichkeit - zum Beispiel Gefühle - werden dabei nicht genügend ernst genommen. Die Texte, nicht nur der Bibel, sehen das anders. Materielles kann da einfach nur ein Hilfsmittel sein, um die eigentlich gemeinte Wirklichkeit im Zuhörer zu erzeugen.

Aufgabe: Unterscheide beim folgenden Text die materiellen Bedeutungen der Worte von den Gefühlen, die damit beschrieben werden. Nenne jeweils beide nebeneinander.

Kundschafter und Weintrauben, Numeri (Viertes Buch Mose), Kapitel 13

1 Und der HERR redete mit Mose und sprach: 2 Sende Männer aus, die das Land Kanaan erkunden, das ich den Israeliten geben will, aus jedem Stamm ihrer Väter je einen vornehmen Mann. 3 Da sandte sie Mose aus der Wüste Paran nach dem Wort des HERRN. Allesamt waren sie Häupter der Israeliten. 4 Und sie hießen: Schammua, der Sohn Sakkurs, vom Stamme Ruben; 5 Schafat, der Sohn Horis, vom Stamme Simeon; 6 Kaleb, der Sohn Jefunnes, vom Stamme Juda; 7 Jigal, der Sohn Josefs, vom Stamme Issachar; 8 Hoschea, der Sohn Nuns, vom Stamme Ephraim; 9 Palti, der Sohn Rafus, vom Stamme Benjamin; 10 Gaddiël, der Sohn Sodis, vom Stamme Sebulon; 11 Gaddi, der Sohn Susis, vom Stamme Josef, von Manasse; 12 Ammiël, der Sohn Gemallis, vom Stamme Dan; 13 Setur, der Sohn Michaels, vom Stamme Asser; 14 Nachbi, der Sohn Wofsis, vom Stamme Naftali; 15 Gëuël, der Sohn Machis, vom Stamme Gad. 16 Das sind die Namen der Männer, die Mose aussandte, um das Land zu erkunden. Aber Hoschea, den Sohn Nuns, nannte Mose Josua. 17 Als sie nun Mose aussandte, das Land Kanaan zu erkunden, sprach er zu ihnen: Zieht da hinauf ins Südland und geht auf das Gebirge 18 und seht euch das Land an, wie es ist, und das Volk, das darin wohnt, ob’s stark oder schwach, wenig oder viel ist; 19 und was es für ein Land ist, darin sie wohnen, ob’s gut oder schlecht ist; und was es für Städte sind, in denen sie wohnen, ob sie in Zeltdörfern oder festen Städten wohnen; 20 und wie der Boden ist, ob fett oder mager, und ob Bäume da sind oder nicht. Seid mutig und bringt mit von den Früchten des Landes. Es war aber eben um die Zeit der ersten Weintrauben. 21 Und sie gingen hinauf und erkundeten das Land von der Wüste Zin bis nach Rehob, von wo es nach Hamat geht. 22 Sie gingen hinauf ins Südland und kamen bis nach Hebron; da lebten Ahiman, Scheschai und Talmai, die Söhne Anaks. Hebron aber war erbaut worden sieben Jahre vor Zoan in Ägypten. 23 Und sie kamen bis an den Bach Eschkol und schnitten dort eine Rebe ab mit einer Weintraube und trugen sie zu zweien auf einer Stange, dazu auch Granatäpfel und Feigen. 24 Der Ort heißt Bach Eschkol[1] nach der Traube, die die Israeliten dort abgeschnitten hatten. 25 Und nach vierzig Tagen, als sie das Land erkundet hatten, kehrten sie um, 26 gingen hin und kamen zu Mose und Aaron und zu der ganzen Gemeinde der Israeliten in die Wüste Paran nach Kadesch und brachten ihnen und der ganzen Gemeinde Kunde, wie es stand, und ließen sie die Früchte des Landes sehen. 27 Und sie erzählten ihnen und sprachen: Wir sind in das Land gekommen, in das ihr uns sandtet; und wahrlich, Milch und Honig fließen darin, und dies sind seine Früchte. 28 Aber stark ist das Volk, das darin wohnt, und die Städte sind befestigt und sehr groß; und wir sahen dort auch Anaks Söhne. 29 Es wohnen die Amalekiter im Südland, die Hetiter und Jebusiter und Amoriter wohnen auf dem Gebirge, die Kanaaniter aber wohnen am Meer und am Jordan. 30 Kaleb aber brachte das Volk vor Mose zum Schweigen und sprach: Lasst uns hinaufziehen und das Land einnehmen, denn wir können es überwältigen. 31 Aber die Männer, die mit ihm hinaufgezogen waren, sprachen: Wir vermögen nicht hinaufzuziehen gegen dies Volk, denn sie sind uns zu stark. 32 Und sie brachten über das Land, das sie erkundet hatten, ein böses Gerücht auf unter den Israeliten und sprachen: Das Land, durch das wir gegangen sind, um es zu erkunden, frisst seine Bewohner, und alles Volk, das wir darin sahen, sind Leute von hohem Wuchs. 33 Wir sahen dort auch Riesen, Anaks Söhne aus dem Geschlecht der Riesen, und wir waren in unsern Augen klein wie Heuschrecken und waren es auch in ihren Augen.

Text aus der Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart. Bild: Josua und Kaleb Brunnen, Stuttgart-Rotenberg, Kunstwerk von Karl Donndorf, Foto cc0 by -Xocolatl

steinerne Brunnenfigur aus zwei Knaben, die eine riesige Weinrebe tragen