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Die Sportpalastkundgebung im November 1933 wurde für die Nazis zu einem Desaster, nach ihrem bis dahin scheinbar unaufhaltsamen Siegeszug in den evangelischen Kirchen. Die Nazi-Organisation in der Kirche, die sich selbst als "Deutsche Christen" bezeichnete, hatte bei den Wahlen in vielen Synoden (= kirchliche Landesparlamente) die Mehrheit gewonnen und war dabei, die Macht in den meisten Landeskirchen zu übernehmen. Erst mit der Sportpalastkundgebung begriffen viele evangelische Christen in ganz Deutschland entsetzt, welche unbiblischen und unchristlichen Lehren diese "Deutschen Christen" verkündeten.
Mit etwa zwanzigtausend Teilnehmern war die Kundgebung im Berliner Sportpalast eine pompöse Machtdemonstration der "Deutschen Christen", und doch wurde diese Veranstaltung zum eigentlichen Startschuss des kirchlichen Widerstandes.
In Thüringen hatte sich 1927 eine Nazi-Organisation gebildet, die sich selbst zunächst als "Thüringer Kirchenbewegung Deutsche Christen" bezeichnete. Daraus war 1932 die dann in ganz Deutschland verbreitete "Glaubensbewegung Deutsche Christen" geworden, später abgekürzt als "DC". Diese Gruppierung wurde von Hitler und der NSDAP kräftig unterstützt, weil die Nazis hofften, mit diesem verlängerten Arm endlich die evangelischen Landeskirchen unter ihre Macht zu bekommen. Ziel dieser "Deutschen Christen" war die Schaffung einer einheitlichen Reichskirche, die nicht von gewählten Synoden, sondern nach dem Führerprinzip von einem Reichsbischof regiert werden sollte, und der Reichsbischof sollte direkt Hitler unterstellt sein. Von dieser "rein deutschen Volkskirche" sollten Juden und alle anderen Rassen ausgeschlossen sein. Das "germanische Christentum" solle eine "Volks- und Kampfesreligion" werden. In dieser Bewegung kursierten Theorien, dass Jesus in Wirklichkeit kein Jude, sondern der Sohn eines germanischen Legionärs gewesen sei. Die "nordische Gestalt" von Jesus müsse von allem Jüdischen gereinigt werden, damit er der deutschen Jugend als Vorbild für "männliches Heldentum" dienen könne. Die rund 20 000 Teilnehmer verabschiedeten (bei einer einzigen Gegenstimme) eine Entschließung mit folgenden Aussagen:
"Wir sind als nationalsozialistische Kämpfer gewohnt, das Ringen um die Gestaltung einer großen Idee nicht mit einem faulen Frieden abzubrechen ..."
"Wir erwarten, daß unsere Landeskirche sich freimacht von allem Undeutschen in Gottesdienst und Bekenntnis, insbesondere vom Alten Testament ..."
"Wir fordern, daß eine deutsche Volkskirche ernst macht mit der Verkündigung ... einer heldischen Jesus-Gestalt als Grundlage eines artgemäßen Christentums ..."
Viele evangelische Gemeindeglieder hörten die Rundfunkübertragung der Rede des Gauobmannes Reinhold Krause oder lasen die Entschließung und begriffen jetzt erst, wie weit sich die "Deutschen Christen" vom christlichen Glauben entfernt hatten.
Im Gefolge der Sportpalastkundgebung formierte sich bei den Evangelischen der Wille zum Widerstand gegen Hitler. Die vorher noch zaghaften Gruppen schlossen sich zusammen als "Bekennende Kirche" zur Verteidigung von Glauben, Bibel und Bekenntnis gegen die Naziherrschaft.
In manchen Landeskirchen hatten die "Deutschen Christen" 1933 keine Mehrheit erhalten, dort bestanden weiterhin Kirchenleitungen (Bischöfe, Oberkirchenräte), die nicht von den Nazis bestimmt wurden. Diese Kirchen hießen die „intakten“ Landeskirchen. Es gab nur einen handvoll davon.
Die Landeskirchen, in denen die "Deutschen Christen" die Synoden-Mehrheit hatten und die Leitungsorgane sich dem Nazi-Regime unterwarfen, galten als "zerstörte" Landeskirchen. Das waren die allermeisten.
Das sind keine christlichen Kirchen mehr, sagten die Christen, die das christliche Bekenntnis gegen die Nazi's verteidigen wollten. Und sie organisierten sich als "Bekennende Kirche" im Widerstand gegen die Nazis. Es bildeten sich Bekenntnis-Gemeinden und neu-organisierte Parallel-Kirchen gegen die Nazi-Kirchenleitungen. Damit entstanden mehrere Kirchen-Organisationen nebeneinander und gegeneinander.
Auf der Bekenntnissynode von Barmen (Wuppertal) kamen Delegierte aus den intakten Landeskirchen und aus den Bekenntnis-Gemeinden der zerstörten Landeskirchen zusammen und verabschiedeten das wichtigste Glaubensbekenntnis seit der Refomationszeit: Die Barmer Theologische Erklärung. Darin heißt es als erste These:
"Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das
eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu
vertrauen und zu gehorchen haben.
Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als
Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes
auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als
Gottes Offenbarung anerkennen."
Das war ein Angriff auf die vergötterten Mächte „Rasse“, „Volkstum“ und „Nation“. Besonders deutlich wird die vierte These:
"Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen keine Herrschaft der
einen über die anderen, sondern die Ausübung des der ganzen Gemeinde
anvertrauten und befohlenen Dienstes.
Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und dürfe sich die Kirche abseits
von diesem Dienst besondere, mit Herrschaftsbefugnissen ausgestattete
Führer geben und geben lassen."
Begründet wurde diese vierte These mit den Worten Jesus Christi in Matthäus 20, Verse 25 und 26:
"Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker niederhalten und die Mächtigen ihnen Gewalt antun. So soll es nicht sein unter euch; sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener."
Die Barmer Theologische Erklärung war die evangelische "Kriegserklärung" gegen die Nazis und ihr Führerprinzip. Der Kirchenkampf war eröffnet.
Foto: Delegierte auf einer Bekenntnis-Synode 1934 (in Barmen, aber wohl noch nicht "die" berühmte Synode von Barmen)
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