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Küstermann



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Zahl 10 vor blauem Kreis

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Erzähltheorie

oder: Die Macht des Narrativs

1. Die Identifikationsfigur ist der Seelenanker

Beim Hören einer Geschichte (beim Lesen eines Buches, beim Sehen eines Filmes, eines Theaterstückes usw) suchen sich die Hörenden eine Identifikationsfigur in dieser Geschichte und geben einen Teil ihrer eigenen Seele in diese Figur hinein, sie "identifizieren sich mit ihr". Die Gefühle der Hörenden (Lesenden, Sehenden) gehen mit dieser Figur durch die Geschichte. Alles was diese Figur erlebt, nehmen die Hörenden so ähnlich wahr, als würde es ihnen selbst geschehen. Wenn die Identifikationsfigur in Gefahr schwebt, haben die Hörenden Angst, wenn sie kämpft, sind sie aufgewühlt, geschieht ihr etwas Schlimmes werden die Hörenden traurig und niedergeschlagen, wenn sie siegt, freuen sie sich, als wäre es ihr eigener Sieg. Und am Ende der Geschichte, nehmen die Hörenden ihren Seelenteil wieder zu sich zurück mit allen Veränderungen die sich im Laufe der Geschichte ergeben hatten.

Wie heißt die Identifikationsfigur im Märchen von Frau Holle?
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Wie heißen die potentiellen Identifikationsfiguren in der Schule namens Hogwarts?
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2. Gemeinschaft der Hörenden

Wenn wir mit anderen gemeinsam eine Geschichte gehört haben, entsteht ein Gemeinschaftsgefühl. Auch wenn das Hören der Geschichte (das Lesen des Buches, das Sehen des Filmes, des Theaterstückes usw) zu anderen Zeiten und an anderen Orten stattgefunden hat, ist es, als ob man etwas gemeinsam erlebt hätte. Menschen, die die gleichen Bücher gelesen haben, sind über diese Bücher miteinander verbunden.

Von welchem Deiner Lieblingsfilme (……………………… ……… ) kennst Du weitere Fans?
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3. Virtuelle Wirklichkeit

Der Verlauf einer gehörten Geschichte bildet einen zweiten Erlebnisstrang neben dem wirklichen Leben, eine zweite, virtuelle Wirklichkeit. Dies ist typisch menschlich, denn Tiere können wahrscheinlich nur über eine am aktuellen Ort und zur aktuellen Zeit vorhandene Wirklichkeit kommunizieren. Eine Hirschkuh kann ihrem Hirschkalb nicht vom bösen Wolf erzählen. Sie kann wohl körpersprachlich sagen "Vorsicht Gefahr!", aber diese Mitteilung macht nur Sinn, wenn der Wolf gegenwärtig ist, als Geheul, als Geruch, oder in sonst einer wahrnehmbaren Form. Menschen können einander vom gefährlichen Wolf erzählen, auch wenn er gerade nicht da ist. Menschen können mit Sprache und Bildern "Wirklichkeiten" von anderen Orten und aus anderen Zeiten herbeiholen oder sogar ganz neu erfinden. Die virtuelle Wirklichkeit hat zunächst den Vorteil, dass sie nicht ganz so "wirklich" ist. Wenn die Identifikationsfigur in der Geschichte vom Wolf gebissen wird, haben die Zuhörenden noch keine blutenden Wunden.

Welche Gruselgeschichte möchtest Du auf keinen Fall in der Wirklichkeit erleben? ………… ………… ………………..…… ……………… ………………… …………………….………...

In welche virtuelle Welt würdest Du gerne einen Ausflug machen, wenn das möglich wäre? ………………………………………………………………………………………..…………………………………………………………….………...

4. Wirkung

Geschichten wirken durchaus auf die "wirkliche" Wirklichkeit, indem sie die Hörenden verändern. Die virtuellen Wirklichkeiten können helfen beim Sammeln von Erfahrungen und beim Bestehen der "wirklichen" Wirklichkeit, aber sie können auch zur Flucht werden und zum suchtartigen Ersatz. Menschen können ihre Lebenszeit versäumen und vergeuden indem sie zuviel Zeit und Kraft in virtuellen Wirklichkeiten verbringen. Menschen können aber auch aus Geschichten lernen.

Welches Buch hat Dich am stärksten zum Positiven verändert? ……………………………………………………………………………………………...………………………………………………………..

5. Spannungsbogen

Für kleine Kinder kann es schon spannendes Abenteuer sein, wenn die "Identifikationsfigur" (die Mama) kurzzeitig aus dem Gesichtsfeld verschwindet und das Wiederauftauchen der Mama ist dann das Happy End dieser 5-Sekunden-Geschichte mit einem erlösten Aufatmen und fröhlichen Lachen des Kindes. Wird dieses Happy End zu lange hinausgezögert, verliert das kleine Publikum den Glauben daran und fängt an zu heulen. Mit wachsender Erfahrung im Geschichtenhören kann der Spannungsbogen länger werden. Die Identifikationsfigur darf längere und schwierigere Abenteuer erleben, ohne dass die Hörenden den Glauben an das Happy End verlieren und aus der Geschichte aussteigen. Der Spannungsbogen der Geschichte steht in engem Zusammenhang mit der Vertrauenskraft der Seele.

Was war der längste Film, den Du je an einem Stück bis zum Ende angeguckt hast? …………………… …………………… ……………………… …………………………...……………………… ………………………………..

Was war das schönste Happy End, das Du kennst? …………… …………… …………………………… ………………… ………………...…………… …………………… ……………………..

6. Mehrere Figuren

Mit dem Heranreifen der Seele und des Geistes kann der Hörende auch zwischen verschiedenen Identifikationsfiguren in einer Geschichte wechseln. Die Geschehnisse können dann aus unterschiedlichen Perspektiven wahrgenommen werden.

Beschreibe eine Nebenfigur, die Dir lieber ist als die Hauptfigur! ……………………………………………………………………………………………...………………………………………………………..

7. Autorenebene

Mit einer gewissen intellektuellen Reife kann der Hörende die "hinter" der Geschichte stehende Dramaturgie durchblicken und die Wahrnehmung der Geschichte erfolgt dann nicht mehr ausschließlich durch Identifikation sondern der Hörende kann auf die Metaebene wechseln und z.B. darüber diskutieren, wie der Autor/die Autorin den Verlauf hätte anders gestalten können, oder wie gut "die Regie" des Filmes war.

Zu welchem Buch weißt Du etwas über die Autorin/ den Autor? ……………………………………………………………………………………………...………………………………………………………..

Bei welchem Buch oder Film würdest Du gerne den Erzählverlauf verbessern? ……………………………………………………………………………………………...………………………………………………………..



Zahl 10

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Anmerkung für KuK / Unterrichtskonzept zur Erzähltheorie:

Als Einstieg zur Erzähltheorie kann zuerst eine Medien­biographie in Einzelarbeit gemacht werden. Die Betonung liegt auf Einzelarbeit, damit in der nachfolgenden Zweier- oder Gruppenarbeit der Effekt, Gemeinsames zu entdecken, richtig spürbar wird.

Erstelle eine Tabelle deiner persönlichen Lieblings­medien in den folgenden Abschnitten deines Lebens:
Erste Zeile Baby- und Kleinkind­alter, 0 bis 3 Jahre. Was war dein Lieblings­kuscheltier? Deine Lieblingsmusik? usw.
Zweite Zeile Kinder­garten­alter. Welche Spielzeuge, Bilderbücher usw. waren dir wichtig? In welchem Kindergarten warst du? Teletubies? ...
Dritte Zeile Grundschulalter. Welche TV-Sendungen und Zeichentrickserien mochtest du besonders? ...
Vierte Zeile mit zehn, elf, zwölf Jahren, ....
Fünfte Zeile Teeniealter bis jetzt, welche Computerspiele, welches Lieblingsbuch, Kinofilm, Theaterbesuch ....
Alle Medien, die in deinem bisherigen Leben eine wichtige Rolle gespielt haben, sollen irgendwo vorkommen, egal ob du die Teletubbies jetzt in der einen oder der anderen Zeile einsortierst.

Dann in Zweier- oder Gruppen­arbeit die individuellen Medien­biographien vergleichen und die Gemeinsamkeiten ins Plenum einbringen. Bei den meisten SuS sollte dabei ein grinsendes Wohl­gefühl entstehen, von Pawpatrol über Barbie bis Spiderman. Dieses Gemeinschafts­gefühl geniesen lassen und thematisieren: Obwohl ihr den Film zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten geguckt habt, fühlt es sich an, als hättet ihr etwas gemeinsam erlebt. Gemeinsame Medien sind wie ein Stück gemeinsame Lebens­geschichte.

Punkt 1 des Arbeitsblattes ist dann die grundlegende psychologische Erklärung, wie das Erzählen im Zuhörenden wirkt.
Punkt 2 greift das in der Medienbiographie erzeugte und erlebte Gefühl auf und bekräftigt die Erklärung.
Punkt 3 erweitert es auf die anthropologische Ebene mit Anschlussmöglichkeit zu Adolf Portmann, der Mensch ist eine physiologische Frühgeburt.
Punkt 4 schafft Anschlussmöglichkeit zur Gesamtproblematik virtueller Wirklichkeiten, dass der Homosapiens eben nicht nur ein (biologisches) Naturtier ist, sondern auch ein (soziologisches, philosophisches, religiöses) Kulturtier, das mit bloßer Naturwissenschaft nicht verstanden wird.
Punkt 5 greift zurück und vertieft die psychologische Ebene mit Anschlussmöglichkeit zu Sigmund Freud.
Punkt 6 ist ein Schritt zur intellektuellen Weiterentwicklung im Umgang mit Medien.
Punkt 7 ist die Vorbereitung zur Methode Literarkritik des historisch-kritischen Methoden-Apparates.



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