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Küstermann



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Bibel verstehen 15. Methode Formkritik.

Inannas große Reise

Inanna war die Königin des Himmels, aber sie wollte auch die Unterwelt beherrschen. Sie gab ihren Tempel auf und machte sich fertig für die Reise. Sie legte ihren Schmuck und ihre königlichen Gewänder an und nahm die sieben ME-Bänder (magische Mittel) mit. Bevor sie ging, schärfte sie ihrer Dienerin/ihrem Diener Ninšubur(a) ein, wenn sie nach drei Tagen nicht zurückkehre, in der Versammlungshalle der Götter eine Klage für sie anzustimmen. Dann solle sie nach Nippur (Heiligtum des Gottes Enlil) gehen und Enlil um Hilfe bitten, damit Inanna nicht in der Unterwelt zu Tode gebracht werde. Sollte Enlil dies ablehnen, solle sie nach Ur (Heiligtum der Göttin Nanna) gehen und Nanna um Hilfe bitten. Wenn dies ebenfalls nichts fruchte, solle sie in Eridu um die Hilfe Enkis bitten, der das Lebenswasser kenne und ihr gewiss zur Hilfe kommen werde.

Akkadisches-Rollsiegel_Goettin-Inanna

Bild: Akkadisches Rollsiegel, Göttin Innana


So gerüstet ging Inanna zum Tor des Lapislazuli-Palastes der Ereškigal (Göttin des Todes) und begehrte Einlass, sie bat nicht, sie befahl. Sie erzählte dem Torwächter Neti, dass sie gekommen sei, um mit ihrer Schwester Ereškigal, der Herrscherin der Unterwelt, um deren kürzlich verstorbenen Gatten Gugalanna zu trauern. Sie wurde eingelassen, aber an jedem der sieben Toren musste sie je eines ihrer Machtsymbole (Diadem, Lapislazulistein, Eierperlen, Brustschmuck, Armschmuck, Messstab und Messleine und Herrschaftsgewand) abgeben. Obwohl nackt und ohne Macht, kannte sie keine Demut und begehrte den Thron der Unterwelt, der ihr aber von den sieben Unterweltrichtern (Anunnaki) verwehrt wurde. Sie sahen sie mit den Augen des Todes an und hängten sie als fahles Stück Fleisch an einen Pfahl.

Drei Tage und drei Nächte wartete Ninšubura vergebens auf die Rückkehr ihrer Herrin. Daher ging sie nacheinander zu den Göttern Enlil, Nanna und Enki, um Hilfe bittend. Nur Enki aber erhörte sie. Von einem Daumennagel nahm er Dreck und schuf daraus Kurgarra. Von dem anderen Daumennagel nahm er Dreck und schuf Kalatur. Diesen beiden gab er die "Nahrung des Lebens" und das "Wasser des Lebens", die sie nach Irkalla zu Ereškigal bringen sollten, die krank und klagend darniederläge. Sie sollten ihr Mitgefühl mit den Leiden Ereškigals bezeugen (und sie vermutlich heilen), aber auf keinen Fall ihre Geschenke annehmen, keine Speise, keinen Trank. Stattdessen sollten sie um den Leichnam bitten, der da von einem Nagel hänge und ihn dann mit dem Wasser des Lebens und der Speise des Lebens besprengen und Inanna so wiederbeleben.

Die List gelang, doch verfügten die sieben Richter der Unterwelt, dass jemand anders Inannas Platz einnehmen müsse. Inanna durfte auf die Erde zurückkehren, doch die herzlosen Galla (Dämonen der Unterwelt), begleiteten sie mit dem Auftrag, sie zurück nach Irkalla zu bringen, wenn sie keinen Ersatz stellen könnte. Inanna besuchte zuerst Umma und Bad-tibira. Šarra und Lulal erschraken über ihre Ankunft, hüllten sich in Sack und Asche und warfen sich vor ihr in den Staub. Als die Galla sie in die Unterwelt zerren wollten, schritt sie ein. Dann reiste sie weiter nach Uruk, wo ihr Gatte Dumuzi, statt sie zu beweinen, königliche Gewänder angelegt hatte und hoch auf einem Thron saß. Inanna sah ihn mit dem Auge des Todes an. Dumuzi flehte Utu an, ihn zu retten, doch ohne Erfolg... Damit bricht dieser Text ab.

Sich um ein paar tausend Jahre in die Vergangeheit zu versetzen ist nicht so einfach. Das Bild von Inanna auf dem akkadischen Rollsiegel ist hoffentlich fremd und seltsam genug, um das ein bisschen anzuregen. Dann geht bitte auf die Musik-Seite von Helga Pogatschar, scrollt dort weit weit weit nach unten bis die vier Stücke zu Inanna kommen. Hört sie Euch an und fühlt Euch wie in der sumerischen Unterwelt.

Übrigens: Alle Geisterbahnen und Horrorfilme und Halloween-Bräuche könnten als Ausflüsse und späte Nachfahren der Gattung Unterweltreise interpretiert werden.

Psalm 139

8 Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da.
9 Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer,
10 so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.
11 Spräche ich: Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein -,
12 so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtete wie der Tag.
Finsternis ist wie das Licht.
13 Denn du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe.
14 Ich danke dir dafür, daß ich wunderbar gemacht bin;
wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.
15 Es war dir mein Gebein nicht verborgen, als ich im Verborgenen gemacht wurde,
als ich gebildet wurde unten in der Erde.
16 Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben,
die noch werden sollten und von denen keiner da war.

Vergleiche den Abschnitt von Psalm 139 mit den Unterweltreisen. Was sind Gemeinsamkeiten, was sind Unterschiede